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Attraktivität: The West and the Rest

Letzte Woche fielen in Mexico die Brüllaffen von den Bäumen wie reifes Obst. Der Grund war die übermäßige Hitze. Selbst diese Spezies, die durchaus an hohe Temperaturen gewöhnt ist, war überfordert. Menschen versuchten die armen Teufel durch zahlreiche Maßnahmen vom Hitzetod zu retten, was nur in begrenztem Maße gelang. Ebenfalls war zu lesen, dass beim jährlichen Haddsch zu Mekka mehrere hundert Menschen durch Hitzschläge den unbeabsichtigten  Übergang ins Paradies beschritten hatten. Trotz zahlreicher Maßnahmen der Veranstalter von Wassersprühanlagen über Schutzdächer bis hin zu unzähligen Wasserspendern war es für viele zu viel. Allein diese beiden Meldungen müssten aufhorchen lassen.

Nicht, um Panik zu machen und unabhängig von der Wahl einer Überschrift, die gleich wieder zu verhärteten Fronten führt. Das Spiel kennen wir und es hilft heute weder den Brüllaffen und Pilgern noch morgen den nächsten Opfern von klimatisch bedingten Veränderungen. Dass man sich in deutschen Landen momentan auf der sicheren Seite wähnt, weil bis dato das Frühjahr nicht durch Hitzewellen geprägt war und es reichlich geregnet hat, ist trügerisch. Die nächste Periode der Quälerei wird kommen. Dennoch ist es so, wie immer. Man blendet aus, was akut nicht zu beobachten ist und konzentriert sich auf das, was man meint auf jeden Fall richtig zu machen.

Unabhängig von den Temperaturen sind wir konfrontiert mit anderen Nachrichten. Die eine war die, dass im Bundestag beschlossen wurde, die Serviceleistungen der Post auf eine verminderte Leistungsfähigkeit festzuschreiben. Die andere ist die, dass beabsichtigt ist, die dringend notwendigen Investitionen in die bestehende Infrastruktur um 20 Prozent zu kürzen. Und diese beiden Meldungen sind sind nur der Anfang. Der Haushalt muss dem Krieg angepasst werden. Die Gesellschaft wird auf Kriegswirtschaft umgestellt. Viele, die immer noch meinen, alles sei halb so schlimm, werden noch früh genug aus ihrer Gutgläubigkeit aufgeschreckt werden.

Der Krieg und das globale Kräftemessen mit militärischen Mitteln hat eine Eigendynamik entwickelt, die jede Form einer friedlichen, einigermaßen ökologischen Entwicklung und jeder Version von Zivilisation entgegensteht. Es sei noch einmal auf die Dimension der Militärausgaben im Verhältnis zu denen der ökologisch-zivilisatorischen Investitionen hingewiesen. Das Ergebnis ist niederschmetternd. Dass nahezu das gesamte westliche politische Establishment hinsichtlich dieses Trends Hurra schreit, dokumentiert, dass die alten Stärken dieses Lagers keine Rolle mehr spielen. 

Der britische-amerikanische Historiker Niall Ferguson hat in einer neuen, umfangreichen Publikation (Civilization: The West and the Rest) diese Stärken beschrieben und sich mit ihrem gegenwärtigen Zustand befasst. Diese sind nach ihm Wettbewerb, Wissenschaft, Eigentum, Medizin, Konsum und Arbeitsmoral. Jede Leserin und jeder Leser mag diese Punkte einmal aus eigener Erfahrung begutachten und dann zu einem Ergebnis kommen. 

Was über jeden Zweifel erhaben ist, kann mit der Relation der genannten ehemaligen Stärken und dem jetzigen Aufwand hinsichtlich militärischer Hegemonie am besten beschrieben werden. Nicht nur die globalen Lebensbedingungen leiden unter diesem Verhältnis, sondern mit jedem Euro oder Dollar, der in Rüstung und Krieg investiert wird, sinkt die potenzielle Attraktivität des Westens. Es ist das, was bereits im alten Rom als Circulus vitiosus, als ein Teufelskreis, gegolten hat. Man muss ja nicht gleich schreien, wir wollen prima Klima, deshalb ergeben wir uns. Aber sich zumindest um den Frieden bemühen, das wäre mal ein Anfang und vielleicht gar nicht so dumm. Oder?