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Verbrennt die Narrative!

Das Leben ist eine Aneinanderreihung von Geschichten. Das, was man selbst erlebt hat. Unmittelbar. Nicht, was andere erzählen, sondern was selbst erfahren wurde. Die Hand auf der Herdplatte, der Sturz vom Dach, die Reise in ein fremdes Land, das Gericht mit fremden Gewürzen, die Geschichten anderer Individuen, die einem über den Weg laufen, die Anstrengungen, bis etwas erlernt wurde, seine Beherrschung, der Erfolg, der sich einstellt, wenn etwas gelungen ist. All das und vieles anderes mehr prägt einen Menschen, formt eine Persönlichkeit. Alles Vermittelte ist schönes Beiwerk, aber es kann das Fühlen, Schmecken, Leiden und Genießen nicht ersetzen, das die unmittelbare Erfahrung vermittelt.

Eigene Erfahrung sorgt für das, was so treffend als Bauchgefühl beschrieben wird. Die Summe der Erlebnisse sorgt für eine Skala im eigenen Befinden, die anzeigt, ob etwas richtig oder falsch ist, inwieweit etwas den eigenen Interessen dient oder ob es ihnen widerspricht. Menschen, die nur von vermitteltem Wissen leben, können dieses Bauchgefühl nicht entwickeln. Sie müssen entweder ein kalten Logik folgen, was sie zu einer Maschine macht, oder sie lieben das Vabanque. Vertrauen in das eigene Wesen, die eigene Kraft, kann sich nicht herausbilden. Die einzige Bestätigung, die bleibt, ist der Applaus oder das Missfallen anderer Instanzen. 

Der Mangel an Selbstvertrauen und daraus resultierender Selbstachtung verleiht dem, was Mainstream genannt wird, eine Macht, die für alle Beteiligten lebensgefährlich ist. Weil dieser Mainstream eine fremde Geschichte zur eigenen macht. Auf diese Geschichte hat das geschichtslose Individuum keinen Einfluss. Der von diesem Vulgärkonsens vorgetragene Begriff des Narrativs ist das Symptom, das dieses Defizit beschreibt. 

Ein Narrativ ist eine Geschichte synthetischen Charakters. Es ist artifiziell und wird nicht von der Lebenserfahrung der Menschen, denen es präsentiert wird, gedeckt. Man kann das Narrativ glauben, oder man lässt es sein. Mein Rat: Lassen Sie es sein!

Momentan werden heftige Diskussionen geführt über die Chancen und Gefahren künstlicher Intelligenz. Es ist wichtig, sich darüber Klarheit verschaffen zu wollen. Was allerdings bisher versäumt wurde, ist die Frage, inwieweit eine künstliche Sozialisation, die durch die Verabreichung von in Ideologie-Laboren gezüchteten Narrativen die Menschen zu bis zur Perversion manipulierbare Masse macht. Was du selbst nicht erlebt hast, kannst du nicht mit deinen Sinnen auf richtig und falsch überprüfen.

Angesichts der vielen missglückten Versuche, die destruktiven Kräfte dieser Welt durch einen logischen Diskurs zu entlarven, scheint der einzige Ausweg nur darin zu liegen, sich selbst wieder hinaus in die Welt zu wagen, die ganzen Assistenten, die ständig mit irgendwelchen Narrativen daherkommen und die immer wieder Betrachtungsweisen suggerieren, die zu nichts anderem führen als zu Bestätigung der Interessen der Abkocher und Plünderer. Egal, in welchem Kostüm sie daherkommen, egal, mit welcher Technik sie faszinieren, es sind Räuber, die von der Zerstörung leben. Von ihnen ist keine Erlösung zu erwarten.

Der Mensch, um den es geht, der Mensch, der überleben will, muss sich dem Leben stellen. Er muss seine eigenen Erfahrungen machen und wissen, woher er kommt und herausfinden, wohin er will. Das kann er nur alleine vollbringen. Und die beste Schule sind die eigenen Erfahrungen und die Geschichten derer, die dabei sind, ihrerseits eigene Erfahrungen zu sammeln. Verbrennt die Narrative! Vertraut dem eigenen Leben. 

Ein Plädoyer für die humane Erzählung

Ein Mantra, das sich verbreitet hat, lautet, die Welt sei zu komplex geworden, als dass sie einfache Antworten zulasse. Dagegen ist generell nichts zu sagen, denn jede Erscheinung, die mit unterschiedlichen Kausalitäten verbunden ist sich in einem Netz von Interdependenzen befindet, muss gründlich analysiert und differenziert beurteilt werden. Was nicht dazu passt, ist die Tendenz der zunehmenden Verarmung der Texte. Nicht, dass es auch Texte gäbe, die schwer zu lesen oder gar unlesbar sind. Es sind jedoch zumeist Konvolute mangelnder Struktur, die als Symptom einer wachsenden Unfähigkeit gelten müssen, gut strukturierte, gedanklich geordnete und sprachlich interessante Schriftstücke zu verfassen. Der Rückschluss ist beklemmend: Die Welt wird komplexer und die Fähigkeit, sie darzustellen, schwindet.

Die Suche nach Ursachen ist nicht schwer. Immer weniger wird von den Menschen, die in den komplexen Strukturen tätig sind, verlangt, dass sie in der Lage sind, die besagten Zusammenhänge schriftlich darzustellen. Stattdessen hat sich ein Modus breit gemacht, der gerade auf die unzulässige Vereinfachung abzielt. Statt wohl dosierter Sätze sind Skizzen, Bilder oder einfache Formeln gefragt, die die besagte Komplexität vereinfachen sollen. Dass gerade diejenigen, die sich auf die Komplexität der Welt berufen, genau dieser Fährte folgen, macht sie nicht glaubwürdiger.

Ist es tatsächlich so einfach, die Reduktion der verschriftlichten Komplexität auf die zunehmende Kommunikation im Maschinenmodus zurückzuführen? In Ansätzen sicherlich. Wenn bereits von jungen Menschen, die erlernen sollten, mit welchen geistigen Werkzeugen sie die Welt erfassen und mit denen sie sich ausdrücken können, nicht mehr darin gefordert werden und es stattdessen zum Alltagsmodus gehört, in fragmentierten Sätzen, gespickt mit Emoji, zu kommunizieren, kann nicht vorausgesetzt werden, sich mit komplexen Texten auseinanderzusetzen zu können. Es geht hier nicht um die Hegel´sche Rechtsphilosophie, aber ein Roman wie Umberto Ecos Foucaultsches Pendel sollte es schon sein. Und diejenigen, die den politischen Diskurs via Amt führen, sollten auch das können, aber auch noch mehr.

Neben der abnehmenden Sprach- und Schreibkompetenz ist zudem zu beklagen, und das ist interessanterweise ein breiter Konsens, dass es dem gesellschaftlichen Diskurs an Narrativen mangelt. Es geht darum, dass Geschichten gewoben werden, die von allen verstanden werden und die die Probleme fokussieren, an denen sich eine Gesellschaft abarbeitet. Politische Kommunikation kann nur dann gelingen, wenn alle wissen, worüber geredet wird und wenn sich ein gemeinsamer Wille entwickelt, an einer Strategie zu arbeiten. Es bedarf der Fähigkeit, diese Geschichten zu weben. Mit bloßen Statistiken und Grafiken ist das nicht zu leisten.

Die hohe Kunst der Erzählung ist es, anhand einfacher Dinge und Begebenheiten die Komplexität der menschlichen Existenz zu verdeutlichen. In der Vergangenheit konnten das einige. Das ganze Ensemble der europäischen Realisten gehörte dazu, ebenso die großen russischen und amerikanischen Erzähler. Sie trugen dazu bei, den Menschen sowohl ihre Epoche zu erklären, ihnen zu verdeutlichen, worauf es ankam und was dem Gestaltungswillen der Menschen unterlag, als auch zu beschreiben, welche menschlichen Aporien nicht einfach durch welche Maßnahmen auch immer aufzulösen sind. Sie trugen dazu bei, auch die politische, die gesellschaftliche Kommunikation in ihren Kultur- und Zivilisationsräumen aufrecht zu erhalten.

Bis auf wenige Ausnahmen sind diese Erzähler von der Bildfläche verschwunden. Nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Politik. Es ist an der Zeit, dem restringierten Maschinencode wieder etwas entgegenzusetzen. Es ist ein Plädoyer für die humane Erzählung.