Die Geister, die gerufen wurden, sind so wach wie nie. Dabei war es ein schleichender Prozess. Von der Idee, Wirtschaftsbeziehungen zu pflegen, um Frieden fühlbar zu machen, lässt sich immer noch vieles abgewinnen. Sie hat aber ihre Attraktivität im Laufe der Jahrzehnte verloren. Der Krieg in Europa ist lange her und viele haben keine Vorstellung mehr davon, was ein Krieg bedeutet. Selbst die Konstrukteure des heutigen Europa sehen in der Retrospektive vieles anders. Nur eines muss klar sein: Die Gründungsidee war eine den Frieden schaffende. Mit der Entwicklung der EU zu einem militärisch agierenden Bündnis, dass auf Expansion setzt, hat sie nicht nur schön lange ihre Unschuld verloren, sondern ihren Geist ins Pfandhaus getragen. Eine Entschuldigung dafür gibt es nicht. Und das Empörende bei der Entwicklung ist die Tatsache, dass die Akteure dachten, sie könnten diesen fundamentalen Paradigmenwechsel über die Bühne bringen, ohne in kommunizieren zu müssen.
In ihrer Geschichte stand auch die EU vor Fragen, die sich irgendwann jeder wachsenden Organisation stellen. Die entscheidende ist die nach Wachstum und Expansion. Wie wichtig ist es, groß und einflussreich zu werden und wie notwendig ist es, das Wachstum mit Qualität und Befähigung zu paaren? Wen kann die Organisation aufnehmen, um sich als Organisation weiterzuentwickeln und welches neues Mitglied treibt sie in eine neue Richtung? Als viele Länder en gros aufgenommen wurden, die a priori ökonomisch mit den Anforderungen heillos überfordert waren, müssen die machtpolitischen, expansiven Ziele bereits eine Rolle gespielt haben.
Der Kurs der EU wurde immer in starkem Maße von Deutschland und Frankreich und in nicht sichtbarer Linie von den Niederlanden und Dänemark bestimmt. Bis dato hat es keine Koalition jenseits dieser Länder vermocht, diese zu überstimmen respektive einen anderen Kurs zu bestimmen. Die Verantwortung für den Status Quo der EU in Berlin und Paris zu suchen, ist nicht falsch. Die Nachsicht, mit der diese Koalition seit Jahrzehnten auf britische Impertinenzen, die immer auf Eigeninteressen reduziert werden konnten, hat zu dem jetzigen Brexit geführt. Auch eine Lehre: Wer die Konsequenz fehlen lässt, wird irgendwann bestraft.
Böse würde es, als das ökonomische System den Mittelmeerländern zum Verhängnis wurde. Der Flutung mit billigem EU-Geld folgte der Zahltag und dem Zahltag, der ausblieb, die Sanierungskonzepte durch den IWF mit seiner traditionellen Austeritätspolitik. Es war die Geburtsstunde des neuen, bösen Ressentiments in Europa. Kein Regierungsmitglied, auch in Deutschland, hielt sich mehr zurück. Es ist zu degoutant, um es hier zu wiederholen, aber die alten Vorurteile, die die europäischen Kriege des 20. Jahrhunderts beflügelt hatten, waren plötzlich wieder da. Und viele wussten, dass sich damit der mentale Bankrott ankündigte, bis auf die Akteure, die sich vor laufenden Kameras auch noch schlau vorkamen.
Die Rechte wird es nichT richten. Sie würde, bekäme sie das Mandat, die Fehlentwicklung konsequent zu ende führen. Es sind jedoch nicht die Fehler, die exekutiert werden müssen, sondern die originäre Idee muss reaktiviert werden. Wer derzeiten denkt, das wäre der Fall, hat sich vom realen Geschehen sehr entfernt. Das Gezocke um Subventionen und Sonderrechte bezieht sich momentan nur noch auf den machtpolitischen Gegenwert, den die EU daraus ziehen könnte. Aus Polen, aus Ungarn und vom Balkan. Es ist das Ende einer Dienstreise, die in die falsche Richtung geführt hat. Orientierung kann nur gewinnen, wer eine klare und mehrheitsfähige Idee hat.
