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Kommt die Erlösung aus Übersee?

In den USA brodelt es. Unter der Oberfläche weitaus gefährlicher als momentan in Europa anlässlich der Griechenland-Krise. Seit der Lehman-Pleite aus dem Jahr 2008 geistern Schreckensbilder durch das Land, die das verheerende Jahr von 1929 reproduzieren. Die suizidale Situation von damals entsprach vom Muster her dem Crash von 2008. Eine Spekulationsblase, erzeugt von der Börse und hasardierenden Banken, platzte und riss auch die produktiven Sektoren der Wirtschaft mit in den Abgrund. Kurz nach seiner Wahl zum Präsidenten erinnerte Barack Obama an den Glass-Steagall-Act von 1933. Letzterer, benannt nach dem Senator Carter Glass aus Virginia und dem Kongress-Abgeordneten Henry B. Seagall, beide Mitglieder der Demokratischen Partei, versuchte das Unwesen der Banken unter Kontrolle zu bringen.

Das Wesen dieses Gesetzes wird oft verkürzt als Bankentrennungsgesetz dargestellt. Es beinhaltet die institutionelle Trennung des traditionellen Kredit- und Einlagengeschäfts vom Wertpapiergeschäft. Damit soll die Ansteckungsgefahr für solvente Kreditnehmer durch die Mithaftung bei hoch riskanten Spekulationsgeschäften verhindert werden. Die Basler Vereinbarungen zum Bankengeschäft legen diese Idee ihrem Kodex zugrunde. Dort geht es nicht nur um die strikte Trennung von Kreditgeschäft und Wertpapierspekulation, sondern auch um notwendige Solvenz beim Einsatz.

Seit der dreisten wie eleganten Kehrtwende von Goldman-Sachs nach dem Crash von 2008, als dieses Bankhaus sich über Nacht aus einem Spekulationshaus zurück in ein traditionelles Bankhaus verwandelt hatte, versuchen zahlreiche amerikanische Politiker aus unterschiedlichen Lagern, den vor allem in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts sehr aufgeweichten Glass-Seagall-Act zu reaktivieren. Sollte das gelingen, bedeutete das das Platzen vieler fauler Kredite, in die international auch Staaten und Staatsbanken verwickelt sind. Dazu gehörten auch Staatsbanken aus der Bundesrepublik und die Bundesrepublik Deutschland selbst als mit Steuermitteln haftende Partei.

Von der politischen Diskussion in den USA wurde aus guten Gründen hierzulande nicht berichtet. Sowohl das Gesetz, um das es dort geht, als auch die politische Zielsetzung der Bankenkontrolle und einer Rückgewinnung politischer Handlungsspielräume will die Bundesregierung nichts wissen. Doch sollte der Glass-Seagall-Act in den USA greifen, flöge das gesamte Geschäftsmodell, das z.B. im Falle Griechenlands Pate stand, den deutschen Steuerzahlern um die Ohren. Es würde manifest, wie windig die Kreditvergaben liefen, wohin sie gingen und wer mit wem verbandelt ist. Mario Draghi, ehemaliger Managing Director und Vice President von Goldman-Sachs, heutiger Präsident der europäischen Zentralbank, hat die Choreographie des Spekulationsgeschäftes mit staatlicher Absicherung von der Pike auf gelernt und ist heute einer der Granden im Spiel des Europa Fatal.

Tatsächlich ist es gelungen, trotz der großen Verluste in Südeuropa und trotz der Bedrohung auch Deutschlands durch die spekulativen Geschäfte globaler Dimension, die Aufmerksamkeit weg von den Ursachen der Krise zu ziehen. Während in Deutschland das politische Personal von den faulen Griechen schwadroniert, hat sich an einer Reform des Bankenwesens im Sinne einer wirksamen Kontrolle nichts getan. Obwohl die Vorgehensweise, wie so etwas zu geschehen hätte, kein Geheimnis ist, wurde den Bankhäusern die Libertinage auf Kosten des Gemeinwesens weiterhin gestattet und Sündenböcke vorgeführt, die mit den Ursachen der Krise nichts zu tun hatten.

Sollte sich die politische Bewegung zugunsten des Glass-Seagall-Acts in den USA durchsetzen, dann käme die Erlösung wieder einmal aus Übersee. Aber für ein Land und ein Kontinent, der pausenlos seine Unabhängigkeit reklamiert, wäre es doch würdevoll, aus eigener Kraft dem Hasard ein Ende bereiten zu können.

Das fatale Design Europas

Jürgen Roth. Der stille Putsch

Jürgen Roth gilt als einer der prominentesten Vertreter des Enthüllungsjournalismus in Deutschland. Sein Name steht für das Aufdecken krimineller, wirtschaftlicher und politisch motivierter Netzwerke. Immer dann, wenn Schreckliches geschieht und die Öffentlichkeit sich nicht sonderlich erklären kann, wie so etwas zustande kommen konnte, wartet Jürgen Roth mit einer Publikation auf, die in der Regel aufzeigt, wo die Macher des Ereignisses sitzen und wie sie seit Jahren darauf hingearbeitet haben. 

Auch Roths jüngstes Buch folgt diesem Muster. „Der stille Putsch. Wie eine geheime Elite aus Wirtschaft und Politik sich Europa und unser Land unter den Nagel reißt“  erschien 2014 und liegt mittlerweile in der vierten Auflage vor. Die Ereignisse um Portugal, Spanien und vor allem Griechenland und die sehr holzschnittartige Berichterstattung darüber haben dazu geführt, dass ein großes Interesse an Aufklärung besteht. 

„Der stille Putsch“ ist ein Buch voller Fakten, die wie immer sehr gut aufbereitet sind und deren Präsentation gut lesbar ist. Im Wesentlichen besteht das Buch aus zwei Teilen. Der erste breitet die Netzwerke aus, die in der EU die Geschehnisse planen und durchführen und der zweite Teil beschreibt die Sicht der Opfer, hier vor allem Griechenlands und Portugals. 

Die Akteuere der Wirtschaftspolitik in Europa werden schonungslos nicht nur als interessengeleitete Karrieristen beschrieben, sondern es lässt sich auch das Muster des Plans identifizieren, dem sie folgen. Dabei handelt es sich um eine neoliberale Strategie, die darin  besteht, alle erkämpften und rechtlich fixierten Arbeitnehmerrechte zu schleifen, die Staatshaushalte durch die radikale Privatisierung staatlicher Leistungen zu privatisieren und die Steuern für Gewinne zu senken. Hoch interessant in dieser nachvollziehbaren Dokumentation sind Einflüsse wie der der Unternehmensberatung McKinsey durch einen stetigen Personalabfluss in die EU-Bürokratie, das Wirken von Netzwerken wie dem European Round Table of Industrialists und die Karriere eines Mario Draghi, die am Saum eben dieser Netzwerke und der italienischen Mafia entlang lief.

Mit den Wirkungsmechanismen der neoliberalen Strategie ist der Einstieg in die Lebenswelt der Opfer gewährleistet und Roth schildert eindringlich die Auswirkungen dieser Politik auf Länder wie Portugal und Griechenland. Es bedeutet ganz konkret die Zerstörung der Sozial- und Gesundheitssysteme, den Niedergang bezahlbarer Bildung, eine rasante Erhöhung der Arbeitslosigkeit und eine mit ihr einhergehende Intoleranz gegenüber Zuwanderern. An zahlreichen  Beispielen belegt Roth seine Thesen und vermittelt dadurch eine Vorstellung davon, was das Wirken der so genannten Troika vor allem in den beiden genannten Ländern angerichtet hat. Auch  Gewerkschafter kommen zu Wort, die auf den Zusammenhang zwischen diesen Strukturveränderungen im Süden Europas und den Rechten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland hinweisen. Entweder kommen die Kohorten direkt aus dem Süden als billige Konkurrenz oder man geht auch hier im Zentrum und im Norden an die systematische Zerstörung des Sozialstaates.

Der stille Putsch ist ein lesenswertes Buch. Es ist ein guter Beitrag, um das verzerrte, ideologische Bild des so genannten freien Europas, welches uns in der Diktion von Politik und Presse immer wieder präsentiert wird, durch ein realistischeres Bild zu ersetzen. Es ist notwendig, dieses zu tun, weil ansonsten die Propaganda von den faulen Griechen zu einem Symptom der Volksverhetzung wird, die auch noch greift. Manchmal kommt beim Lesen das Gefühl auf, dass hier und da ein Faktum zu viel aufgeführt und eine politische Deutung zu wenig angestellt wird. Das schmälert aber nicht den Gewinn der Lektüre.