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Desinformation: Zeit für die Umkehrung aller Werte

Während momentan die Sirenen aus allen Kanälen tönen, ich mich an die Erzählungen meiner Mutter die Bombardements erinnere und die Hunde in meinem Viertel zu einem protestierenden Rudel zusammenfinden, denke ich über eine Definition nach, die mehr und mehr unseren Alltag durchdringt und die alles aussagt über den mentalen Zustand, in dem wir uns befinden. Es ist der der Desinformation. 

Folgte man der eigentlichen Wortbedeutung, dann handelt es sich bei einer Desinformation um das gezielte Platzieren von Unwahrheiten, um bei den Empfängern der Nachricht eine Reaktion hervorzurufen. Diese wiederum behandelt den falsch dargestellten Sachverhalt als gegeben. Das Ergebnis einer Desinformation ist eine fehlgeleitete Handlung. Ob es sich dabei um eine tatsächliche, aktive Tat oder um eine Meinungsbildung handelt, sei zunächst einmal dahingestellt. Insofern ist das Vorgehen gegen Desinformation eine vernünftige Angelegenheit, wenn man der Auffassung ist, dass nur die Wahrheit das richtige Terrain für vernünftiges Handeln darstellt.

Das für mich Beängstigende, oder besser formuliert, das Verstörende bei der nunmehr vonstatten gegangenen Vergesellschaftung des Begriffes der Desinformation hat mit der vorausgeschickten Definition und Bedeutung nichts zu tun. Es handelt sich dabei um die schlichte Behauptung, dass alles, was den Statements der Regierung und dem vorherrschenden Mainstream widerspricht, als Desinformation zu werten und zu behandeln ist. Wer eine andere Meinung hat, wer Fakten anführt, die der öffentlichen Darstellung widersprechen, wer sich erlaubt, eine andere Sichtweise darzulegen, betreibt also Desinformation.

Diese Art der Deutung hat sich in den letzten Jahren eingeschlichen und wird von allen, die an ihr gearbeitet haben, weiter propagiert und von denen, die sich daran gewöhnt haben, ihr nicht zu widersprechen, weiterhin geduldet. Dass es sich dabei um die Implantierung totalitären Staatsdenkens handelt, ist noch nicht genügend kommuniziert. Wer wäre noch vor wenigen Jahren auf die Idee gekommen, sich vorstellen zu können, dass der Widerspruch zu den Aktionen einer Regierung oder der Darstellung bestimmter Sachverhalte in den Leitmedien behandelt werden könnte als eine subversive, staatsfeindliche und undemokratische Angelegenheit. Hätte man das erzählt, wäre lautes Gelächter die allgemeine Reaktion gewesen.

Kommt man zudem zu der ursprünglichen Definition von Desinformation zurück, dass nämlich das bewusste Setzen falscher Fakten zu einer bestimmten Reaktion führen soll, dann sind es gerade diese Instanzen, die sich allenthalben über die zunehmende Desinformation beklagen, genau diejenigen, die die Desinformation gesellschaftsfähig gemacht haben. Die Desinformation gehört mittlerweile zu ihrem Tagesgeschäft. Nachrichtensendungen der öffentlich-rechtlichen Anstalten sind schlichtweg nicht mehr zu ertragen, weil eine Falschbehauptung die nächste jagt. 

Das Szenario, das sich rund um den Begriff der Desinformation rankt, gehört eigentlich in das Genre der literarischen Dystopie. Das Signifikante dabei ist, das ein George Orwell in „1984“ und  „Animal Farm“ diese Phänomene so beschrieben hat, als wären sie unserem heutigen Alltag entnommen. Das Kuriose dabei ist, dass zumindest meine Generation diese Bücher noch in der Schule lesen sollte und mit Gewinn gelesen hat, mit dem pädagogischen Ziel, als Demokraten solche Verhältnisse nicht mehr zuzulassen. 

Das Recht, eine andere Meinung und Sichtweise haben zu können, kann durch die Etikettierung mit dem Begriff der Desinformation nicht genommen werden. Ein solches Vorgehen entlarvt  totalitäres Denken. So etwas ist ein Manöver derer, die im Genre der Desinformation ihrerseits zuhause sind. Es ist mal wieder Zeit für die Umkehrung aller Werte.  

Studien zur Befindlichkeit des Journalismus

Uwe Krüger. Mainstream. Warum wir den Medien nicht mehr trauen

So, wie es einige Zeit gebraucht hat, um den verschiedenen kontroversen Themen der jüngsten Vergangenheit ein wenig Raum zur näheren Betrachtung zu lassen, so war das auch erforderlich, die Art und Weise, wie über die kontroversen Themen in den Leitmedien berichtet wurde, kühleren Kopfes zu untersuchen. Angefangen hatte vieles mit der Weltfinanzkrise und der Rettung systemrelevanter Banken, es ging weiter mit der EU-Kreditpraxis und der Verschuldung Portugals, Spaniens und Griechenlands, daran daran an schloss sich eine nie dagewesene Austeritätspolitik, es ging weiter mit dem Junktim der EU-NATO-Osterweiterung, vor allem in der Ukraine, und es setzt sich fort mit der Position der Bundesregierung in der Frage von Massenmigration und den damit verbundenen europäischen Verwerfungen in der EU und dem Verhältnis zur post-putschistischen Türkei und deren Interventionen in Syrien, es gab und gibt genug Themen, über die heftig gestritten werden kann. Was sich quasi zeitgleich entwickelte, war der große Unmut über die Berichterstattung in den so genannten Leitmedien, und dort wiederum besonders in den öffentlich-rechtlichen, die bekanntlich in Deutschland mit einem Monopol ausgestattet sind.

Nun liegt eine Untersuchung von Uwe Krüger vor, die den Titel trägt: Mainstream. Warum wir den Medien nicht mehr trauen. Und, um das gebührende Lob gleich vorneweg auszusprechen, Uwe Krüger erliegt nicht der Versuchung, durch Simplifizierung zu einem schnellen Urteil zu kommen. Wohltuend geht er vom Beginn der, wie er es nennt, Vertrauenskrise zwischen den Produzenten von Nachrichten und deren Konsumenten aus und versucht, Prozess wie Apparat der Meinungsmache im Alternativlos-Deutschland zu dechiffrieren.

Zum einen verfolgt er eine die einzelnen Institutionen untersuchende soziologische Linie, in der vor allem deutlich wird, dass mit der wirtschaftslibertären Ideologie auch die Zeiten für Aufsteiger aus dem Lager der sozialen Underdogs zum Top-Journalisten vorbei sind. Anhand der Auswahlpraktiken der renommierten Journalistik-Schulen zeigt er, dass dort der Prototyp des Mittelklassen-Talentes die besten Chancen zur Annahme besitzt. Zum anderen dokumentiert er, vor allem anhand zahlreicher Beispiele aus den oben genannten Themenkrisen, dass sich innerhalb der Institutionen bestimmte Netzwerke und Lobbys festgesetzt haben, die den dort zu produzierenden Mainstream definieren. Nahezu alle Alpha-Tiere aus den Leitmedien sind Mitglieder us-amerikanischer Think Tanks, die durch Einladungen, Privilegien und Karrieresprünge so manches bewirken können.

Damit einher geht der bereits seit vielen Jahren sich fortsetzende Trend, sich als eine die Politik der Regierenden erklärende, und nicht kritisch zu durchleuchtende Institution zu begreifen. Verdeutlicht wird dieses durch das Phänomen, dass in der Berichterstattung über von der Regierung noch nicht thematisch besetzte Sachverhalte durchaus kritische Ansätze noch zum Vorschein kommen. Hat die Regierung jedoch ein Thema okkupiert, erfolgt Hofberichterstattung. Ebenfalls interessant ist der Proporz von Zustimmung und Kritik in den einzelnen Beiträgen. Der Verweis der kritisierten Medien, sie produzierten ebenso viel Kritisches wie Affirmatives, trifft sogar zu. Nur sind die kritischen Kommentare nie im Zentrum, sondern immer an den Rändern der Zeitung oder bei Rundfunkbeiträgen mitten in der Nacht.

Krügers Studie ist auf jeden Fall die Lektüre wert, wenn der Satz stimmt, dass die Reduktion von Komplexität schnell zu propagandistischen Formen des Urteils führen kann. Es ist sachlich und informativ, nur zum Schluss wirkt er ein wenig hilflos, wenn er vor allem an die Journalisten appelliert, die Nutzer als mündig zu betrachten und mit ihnen auf Augenhöhe zu kommunizieren. Bei denen, die den Weg zur Propaganda eingeschlagen haben, wird das wenig nützen. Und diejenigen, die das begrüßten, fristen mit journalistischen Minijobs ihr Dasein.

Avantgarde und Mainstream

Thelonious Monk, einer der prägenden Jazzmusiker des 20. Jahrhunderts, brachte es auf den Punkt. Nach seinem Prinzip gefragt, wie er spiele und was er komponiere, antwortete er: Spiele deine Musik und nicht das, was die Leute hören wollen. Vielleicht brauchen sie zehn, fünfzehn Jahre, bis sie es mögen. Das war schlicht und einfach das Bekenntnis eines Avantgardisten zu einem alten Prinzip des künstlerischen Schaffens, dem die eigene Idee und Kreativität innewohnt. Monk richtete sich nicht gegen etwas, sondern er sprach sich für eine Selbstverständlichkeit aus, die große Künstlerinnen und Künstler immer wieder ausgezeichnet hat. Um sie zu leben, nahmen sie Armut und Exil in Kauf, um sie zu vollenden, verzichteten sie teilweise sogar auf ihr soziales Leben. Das Streben nach Einzigartigkeit schuf das Große, mit dem wir sie bis heute in Verbindung bringen. Als Resümee könnte der Satz stehen, dass gute, ausdrucksvolle, forminteressante und inspirierende Kunst immer Avantgarde und nie Mainstream ist.

Die Avantgarde, historisch eine Entwicklung in der Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, war die Antwort auf ein bürgerliches Zeitalter, das es sich bequem gemacht hatte und darauf hinstrebte, sich in Kriegen zu zerfleischen. Der Kunstbetrieb war es, gegen den sich die Avantgarde richtete, der so tat, als sei alles in Ordnung und der Standards entwickelt hatte, die Kunst als Konsumartikel auf den Warenmarkt warf. Die Avantgarde war sehr politisch und wollte mittels des Schocks das bürgerliche Publikum zum Nachdenken bringen. Die wohl spektakulärste Strömung der Avantgarde war Dada. Und gerade Dada ist das beste Dokument dafür, wie der Kunstmarkt funktioniert. Selbst die revolutionärsten Appelle gegen den Mainstream schockieren zunächst, aber ihr rebellischer Gehalt wird dadurch entleert, als auch für sie das Prinzip der Vermarktung gilt. Da unterscheidet sich Dada nicht vom Punk.

Die Kritik an den Funktionsmechanismen des Warenmarktes in Bezug auf die Kunst ist nicht neu. Neu ist allerdings die Dimension der Anstrengungen, die auf den Prozess der Waren-Werdung der Kunstwerke ausgerichtet sind. Immer mehr Institutionen fokussieren sich darauf, jungen Menschen, die sich künstlerisch betätigen wollen, die Techniken, Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln, derer es bedarf, um Erfolg zu haben, d.h. Waren zu produzieren, die auf dem Markt absetzbar sind. Das ist skurril, weil es einer Vorstellung entspricht, als könne man den Prozess des künstlerischen Schaffens erlernen, ohne eine Idee zu besitzen. So sieht dann vieles, was aus diesen Institutionen kommt, auch aus: Es ist technisch gut, es ist von der Vermarktungsstrategie pfiffig gemacht, aber es ist oft inhaltsleer und fade, geschweige denn inspirierend und weiterführend. Die leitende Idee der Produktion ist der Absatz und der Absatz wird dem etablierten Geschmack auf dem Markt zugesprochen.

Um bei der Musik zu bleiben: Viele Produkte aus der marktkonditionierten Retorte haben keine Seele. Soul, an dem sich nach den anfänglichen Erfolgen einer Amy Winehouse eine ganze Generation junger Frauen in Lehranstalten abarbeitete, ist ein Genre, das von den sozialen Erfahrungen eines Milieus lebt. Entweder sie werden mitgebracht oder nicht. Wer aus dem Mittelstand oder der Upper Class kommt, wird die Melancholie, die aus der Ausgrenzung und Verweigerung resultieren, immer nur artifiziell, aber nie authentisch zum Ausdruck bringen können, es sei denn, die eigene Biographie wiese diese Erfahrungen aus. Der Mainstream versucht es, aber er besitzt keine Spiritualität, die aus dem Streben resultiert, etwas Einzigartiges schaffen zu wollen, auch um den Preis, dass es sich nicht gleich vermarkten lässt. Der göttliche Mönch hat es gewusst.