Schlagwort-Archive: Louis Begley

Asyl, Abschiebung, Deportation: Lügen in Zeiten des Krieges

Es scheint in vielen Ländern Europas ein Konsens darüber zu bestehen, dass ungesteuerte Migration ein Problem ist. Das findet sich in Parteiprogrammen wieder, es liegt den Bemühungen der Innenminister der Europäischen Union zugrunde, es reicht bis in das Regierungshandeln der Staatsspitzen. Die Ansätze sind unterschiedlich, der angestrebte Grad des Abschiebens, der Rückführung und der Abschottung unterscheidet sich. Konsens besteht offenbar in der Ablehnung des jetzigen Zustands. Nachdem das Recherche Team Correctiv von einem Treffen in Potsdam berichtete, in dem ein Referent das Wort Remigration verwendet hatte und den Kreis der Unerwünschten auch auf jene ausgedehnt hat, die bereits seit langer Zeit in den Ländern Europas leben, sind viele Dämme gebrochen. Medial wurde das Treffen von Afdlern, CDUlern, Mitgliedern der Werteunion etc. in die Nähe der Wannsee Konferenz gerückt, was aufgrund der Personen und ihres tatsächlichen Einflusses eine ausgemachte Schimäre ist. 

Es ist allerdings gelungen, Ängste bis hin in Familien zu senden, die nahezu typische Hintergründe für Verbände haben, die in den letzten Jahrhunderten als normal Deutsch galten. Immigrationswellen, ob gewollt oder nicht geplant, hat es immer gegeben, ein Spaziergang über einen Großstadtfriedhof in der Bundesrepublik Deutschland wird dieses ohne großes Aufsehen dokumentieren. Schnell drängt sich da die Frage auf, ob das Themenpaar Asyl und Immigration tatsächlich das größte Problem darstellt, mit dem man momentan zu kämpfen hat. Oder ob es sich nicht wieder einmal, wie so oft in der Geschichte, um ein Manöver handelt, um vom eigenen Handeln abzulenken. Einem Handeln, das sich in ökonomischen Feldzügen und kriegerischen Aktivitäten wiederfindet, das begründet ist in geostrategischen Schachzügen eines das eigene Land dominierenden Imperiums. Und auch in der Unzulänglichkeit, eine aus den eigenen Interessen resultierende Strategie zu entwickeln. Letztere würde und müsste auch beinhalten, wie mit der Not anderer Menschen auf diesem Globus umzugehen ist. Wenn jedoch die Politik sich generiert als das exklusive Genre von Eintagsfliegen, dann sind Nebenkriegsschauplätze nahezu eine Notwendigkeit.

Die Empörung gegenüber Provinzialität, Engstirnigkeit, Rassismus und Intoleranz ist auf diesem Globus immer von Vorteil. Sie allein reicht nicht, wenn sie sich exklusiv gegen arische Landpomeranzen richtet. Auch sie muss sich global entfalten und zu einer politischen Kraft werden, die die Protagonisten von Format in den Fokus nimmt! Es ist schon erklärungsbedürftig, wenn sich der Unmut über kulturell, rassisch und politisch unbedeutende Komparsen derartig entlädt und auf der anderen Seite die Pläne eines britischen Premier Rishi Sunak, in großem Maßstab die Asylsuchenden mit Militärmaschinen nach Ruanda zu entsorgen, auf den Kundgebungen nicht einmal erwähnt werden oder wenn die Zitate des Bundeskanzlers ( We Have To Deport People More Often And Faster) auf der Titelseite des Spiegel keine Aufmerksamkeit gewinnen. 

Es wird immer deutlicher, dass der politische Diskurs im Lande wie in allen in welcher Weise auch verbündeten Länder immer skurriler wird und unter einer Entleerung von Logik leidet. Das psychotische Glotzen auf Zustimmungsraten, verbunden mit dem Kalkül, wie viele Mandate für das eigene Interessensyndikat wohl noch herausspringen mögen, lenkt von Dingen ab, die zum Überleben unverzichtbar sind. Wer sind wir? Was wollen wir? Wie lösen wir Probleme und wie gehen wir dabei miteinander um? Wenn diese Fragen tabuisiert werden, wie die Probleme selbst, dann erntet man das, was wir zur Zeit erleben: Lügen in Zeiten Krieges! Ist übrigens der Titel eines zu empfehlenden Buches von Louis Begley. Seinerseits jüdisch-polnischer Immigrant in die USA, der heute als kulturelle Referenz seiner neuen Heimat gehandelt wird.  

Lügen in Zeiten des Krieges

Nein, das ist keine Buchbesprechung. Es geht nicht um den lesenswerten Roman des Louis Begley, der seine Kindheit als Jude im kriegsverwickelten Polen reflektierte. Obwohl Polen bei dem aktuellen Anlass ebenfalls eine gewichtige Rolle spielt. Nebenan, in Frankreich, da existieren noch Menschen, die trotz oder gerade wegen der allgemein im westlichen Europa euphorischen Kriegsstimmung ihre Stimme erheben und sich nicht scheuen, ihre Sichtweise kundzutun. Erst kürzlich hatte ein Enkel von Charles de Gaulle, seinerseits ein erfolgreicher Banker, die geostrategischen Verschiebungen beschrieben, die sich durch die Stellvertreterrolle der EU im Konflikt der USA mit Russland vollziehen. Kurz gesagt, die zumindest vehemente ökonomische Schwächung Europas und Russlands. Das Kalkül der USA beschrieb er so, dass die Lahmlegung Europas als Ganzem, und dazu gehört eben auch Russland, den USA den Rücken freimache, um den aus ihrer Sicht Hauptfeind China ins Visier nehmen zu können. Und dass bei der Achse der Willigen eine Machtlinie von Washington über London nach Warschau entstanden sei, bei der weder Paris noch Berlin eine größere Rolle spielen, sei mittlerweile mehr als deutlich geworden.

Nicht allen, könnte man schlussfolgern, bevor man noch den französischen Historiker Emmanuel Todd zitierte, der ebenfalls kürzlich in einem langen Interview an prominenter Stelle seine Sichtweise zu Protokoll gab, ohne auf die zunehmend schwächere Disposition nicht nur Europas, sondern auch der USA zu verzichten. Die weltweit zu beobachtenden neuen Allianzen, die in gewisser Weise an die Bewegung der Blockfreien aus dem letzten Jahrhundert erinnern, sind insofern für die Hegemonie der USA gefährlicher, als dass sie über nicht zu unterschätzende Mittel verfügen, um den Dollar als Weltwährung zu stürzen und damit der grenzenlosen Kreditwürdigkeit der USA ein Ende setzen könnten.

Was aus der Bewegung der Blockfreien geworden ist, steht in den Geschichtsbüchern. Jenseits des unmittelbaren Interesses seitens Europas wurde ein Staat nach dem anderen destabilisiert, durch Putsch, Mord oder direkte militärische Intervention. In Indonesien, Mitbegründerstaat der Bewegung, 1965 durch einen Putsch mit mehr als 1,5 Millionen Toten bis hin zur endgültigen Zerschlagung Jugoslawiens im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Vielleicht auch noch einmal soviel zu dem Argument, man könne den Völkern nicht vorschreiben, welchen Weg sie wählen.

In der öffentlichen Wahrnehmung Deutschlands bleiben diese Stimmen ungehört. Genauso wenig wird darüber berichtet, was nicht in die Serie der Erfolgsmeldungen passt. Jedes Revirement im russischen Militärapparat wird als Indiz der dortigen Probleme gewertet, dass nun gleiches in der Ukraine geschieht und oberste Militärs gar wegen Korruption entfernt werden müssen, ist den Propagandaabteilungen hierzulande keine Meldung wert. Ebensowenig die Tatsache, dass die Türkei trotz williger Auslieferung von Kurden seitens des NATO-Anwärterlandes Schweden nach wie vor ihr Veto zur Aufnahme Schwedens einlegt. Wohl weil der Menschenpreis bis dato zu niedrig ist. Und deshalb wird in Finnland darüber nachgedacht wird, alleine und nicht zusammen mit Schweden der NATO beitreten zu wollen. 

Lügen in Zeiten des Krieges haben den Zweck, auf Biegen und Brechen die Illusion des eigenen Sieges solange wie nur möglich aufrecht zu erhalten. Ist diese Illusion in Gefahr, dann erhält die einzige Wahrheit, die Kriege hervorbringen, die Möglichkeit ans Licht zu kommen: Im Krieg verlieren alle Seiten, bis auf die, die gut daran verdienen und möglichst weit vom Geschehen entfernt sind. 

Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht!

In seinem Roman „Lügen in Zeiten des Krieges“ beschreibt Louis Begley, durchaus autobiographisch gefärbt, von dem Elend seines Jahrhunderts. Es bestand, so die unstrittige Quintessenz, in der Täuschung. Zum einen in einer Täuschung, die aus den eigenen, gesicherten, sorgenfreien und von Ästhetizismus durchtränkten Verhältnissen gespeist wurde. Sie führte zu dem Trugschluss, die Welt sei so, wie die eigenen Lebensumstände erlebt wurden. Und zum anderen in dem daraus resultierenden Unglauben, dass die Welt da draußen so bestialisch sein könnte, wie sie sich tatsächlich herausstellte. Begleys schmerzvolles Fazit aus seinem eigenen Leben wurde nahezu von einer gesamten Genration geteilt. Sie glaubten an die Dichotomie der Welt, an die Teilung vom Selbstbild und der Eigendynamik des Bösen, ohne davon betroffen zu sein. Für diesen Trugschluss wurden alle bestraft. Und als die großen Lehren gezogen wurden aus den Lügen in Zeiten des Krieges, da waren sich viele Menschen aller Nationen einig, so etwas dürfe sich nicht wiederholen.

Um Allen, die sich im Heute unsicher fühlen, einen Eindruck zu geben, was gemeint ist, kann nur der gut gemeinte Ratschlag gegeben werden, Begleys Roman zu lesen. Und zwar schleunigst. Vielleicht führt ja die Lektüre zu dem Schluss, dass es nichts bringt, im Gegenteil, dass es ins Verderbnis führt, wenn man die Lüge in der Verkleidung der bequemen Wahrheit weiter ehrt und sich nicht um die Wahrheit schert. Es ist an der Zeit, den Schein zu durchbrechen und die Wahrheit ans Licht zu bringen.

Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Sowohl die USA als auch ihre britischen Vasallen haben den Irak-Krieg basierend auf einer Lüge begonnen. Sich dazu bekannt oder es bereut zu haben, das ist bis heute unbekannt. Freunde der Impertinenz und der Menschenverachtung, in diesem Falle Frau May und Herr Trump, für wie dumm haltet ihr das Konsortium Menschheit? Und Mutti, die ewige Kanzlerin, spricht von „schweren Indizien“, die dafür sprächen, dass die Lügner von Gestern Recht hätten.

Liebe Frau Bundeskanzler, was spricht für die Transformation der Kriegstreiber vom Irak zu den Jüngern der Wahrheit in Syrien? Da wären ein paar ganz profane Indizien hilfreich, und vielleicht noch ein kleiner Tipp an die Vertreterin des neuen Deutschlands, das jetzt endlich soweit ist, „Verantwortung zu übernehmen“, in dem es Fake News folgt und Kriege mit inszeniert: Wer mit den Wölfen heult, wird allenfalls als Hund überleben. Gerade als Mädchen des Ostens solltest du das wissen.

Und noch ein Ratschlag: Nimm dein ganzes Kabinett, das sich so trefflich streitet um Quoten und Tagessätze, um Identitäten und vor allem um Symbole, und lass ihnen von irgendjemandem Kompetenten erklären, dass das Dasein ohne Frieden keines ist. Indem sie den Kriegstreibern das Wort reden, unterminieren sie ihre eigene Existenz, denn der Krieg wird vor allem jene treffen, die selber keinen führen können. Wer sich bei dieser Nummer behaupten will, der muss das Handwerk des Tötens beherrschen. Da helfen weder KITAS noch familienfreundliche Arbeitszeiten für die Soldaten, da hilft nur einsatzbereites Material und eine Mentalität, die beim massenhaften Töten nicht erodiert.

Sollte das klar sein, dann fragt sich, wieso so geredet wird, als wären die Verhältnisse so, wie sie sein müssten, um in diesen Zeiten zu bestehen? Die Antwort liegt nicht nur bei der Regierung, sondern bei einer ganzen Klasse von Politikern. Wer jetzt nicht nach der Wahrheit ringt und das Theater beenden will, der wiederholt den Trugschluss. Bei den Lügen in Zeiten des Krieges.