Street art piece in a building of Lisbon, Portugal über Insta #28 — P e d r o L
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Vierzig Jahre Nelkenrevolution
Die Portugiesen sagen von sich selbst, sie seien immer und überall mit der Geschichte verbunden. So ist es nicht verwunderlich, dass heute, im Mai 2014, überall darüber gesprochen wird, was aus dem Land geworden ist. Denn nahezu genau vor vierzig Jahren, in der Nacht zum 25. April 1974, wurde zunächst das Lied Despois do Adeus im Radio gespielt, das als Signal vereinbart war. Danach fielen Schüsse im Lissabonner Nachthimmel und um 0.20 Uhr dann wurde wiederum aus dem Lied Grandola, Vila Morena rezitiert und damit klar, dass eine Diktatur, die 1932 mit Salazar begonnen hatte und seit 1968 durch Caetano weitergeführt wurde, vorbei war. Das Militär selbst hatte dem Spuk, der über vierzig Jahre das Land gelähmt, die Gefängnisse gefüllt und die Exilquote nach oben getrieben hatte, ein Ende bereitet. Ohne großen Widerstand wurden die wichtigsten strategischen Punkte eingenommen. Insgesamt forderte der Aufstand der Militärs vier Tote und e sollte als einer der friedlichsten von Uniformträgern in die Geschichte eingehen. Als Zeichen der Sympathie steckten die Menschen den Soldaten überall, wo sie auftauchten, rote Nelken in die Gewehrläufe.
Dass zum Zeitpunkt des Aufstands der junge Führer der sozialistischen Partei, Mario Soares, zufällig beim Vorsitzenden der Sozialistischen Internationale, Willy Brandt, in Berlin weilte, wird bis heute von den Zeitzeugen als purer Zufall beschrieben. Deutlich wurde jedoch, dass die portugiesischen Militärs keiner Demokratisierung im Weg standen und der Bildung von Verfassungsorganen nicht nur zustimmten, sondern sich diesen unterordneten. Es wurde sehr schnell deutlich, dass es einen Masterplan seitens der Sozialistischen Internationale, analog zu Spanien, auch für Portugal gab. Der sah eine verfassungsmäßige Demokratie und die Integration in die Europäische Union vor. Der Gedanke, der sich dahinter verbarg, war die nachvollziehbare Einsicht, dass das Land dringend Hilfe bei der Entwicklung einer zeitgemäßen Infrastruktur brauchte und zunächst auch Zugang zu den europäischen Märkten.
Heute, wenn sich Portugiesen über die Entwicklung seitdem unterhalten, dominiert zumeist der Zwiespalt. Der Wechsel von der Diktatur zu Verhältnissen, in denen sich die Bürger ohne Repression und politische Verfolgung äußern können, wird als großes Verdienst der damaligen Revolution und der Folgejahre bewertet, die wirtschaftliche Entwicklung ebenfalls, bis zu dem Punkt, an dem die Geldpolitik der EU einem qualitativen Wandel unterlag, unter dem das gesamte Südeuropa gelitten hat. Die Geldmenge, ins Land getrieben und nahezu gepresst von den Banken und großen Fonds des europäischen Establishments, hat die mit dem Risiko spielenden Kräfte im Land inspiriert und auch den Staat zu einem Konsumverhalten verleitet, der in keiner Relation zur tatsächlichen Liquidität stand. Bei vielen steht allerdings nicht die Sorge um die Verschuldung im Vordergrund, sondern die Unfähigkeit, in den nächsten Jahren zu investieren. Dass die EU dem Sparcredo des IMF in allen Belangen folgt, steht in umgekehrter Relation zu dem vorherigen Verhalten, als regelrecht mit dem Geldsack auf das Land eingeschlagen wurde.
Neben der mangelnden Fähigkeit, in die wirtschaftliche und wissenschaftliche Erneuerung zu investieren kommt eine Arbeitslosenquote von knapp sechzehn Prozent hinzu. Zudem ziehen viele junge, zumeist die qualifiziertesten Menschen ins Ausland ab, weil sie in Portugal selbst keine Perspektive sehen. Das ist, und da werden die Debattierenden jedesmal sanguinisch, das schlimmste, was uns passiert. Wer einem die Jugend raubt, der hat kein Herz. Das geht an die Adresse der Mächtigen in der EU, die hier, wo so vieles begann, das mit der europäischen Aufbruchstimmung beschrieben wurde, zunehmend als Problem, und nicht als Lösung betrachtet werden.
Traditionell und zeitgenössich
Mariza. Fado Tradicional
Marisa dos Reis Nunes, heute in ganz Portugal und vielen Teilen der Welt schlicht unter dem Namen Mariza bekannt, wurde 1973 in Mozambique geboren. Sie ist Tochter eines Portugiesen, ihre Mutter stammt aus Mozambique, insofern trägt sich die Geschichte des portugiesischen Kolonialismus in sich. Mit drei Jahren kam sie nach Portugal, wo sie aufwuchs wie die dortige Generation. Früh wurde sie entdeckt als passionierte Sängerin, ihre ersten Erfahrungen machte sie mit Jazz und Soul. Erst auf einem Konzert in Kanada entdeckte sie die Wirkung des Fado auf sich. Seitdem ist sie ihm verfallen.
Fado, abgeleitet aus dem Lateinischen Fatum, ist die künstlerische Entsprechung Portugals auf alles, was mit Schicksal bezeichnet wird. Zum Tragen kommen im Fado, der deutliche Zeichen arabischer Tonfolgen aufweist und in der typischen Besetzung, wie beim benachbarten spanischen Flamenco, aus Gitarre und Gesang besteht, die Gefühle um Saudade, d.h. alles, was den Weltschmerz betrifft. Daher wurde der Fado auch immer wieder mit dem Blues verglichen, was sicherlich aufgrund der thematischen Analogien wie der musikalischen Melancholie nicht von der Hand zu weisen ist.
Mariza eroberte Portugal im Sturm. Ihr gelang es, vor allem auch junges Publikum für diese Musikform zu begeistern, die zwar immer noch in den Bars und Kneipen von Lissabon und Coimbra lebt, aber nicht den Sprung in die neuen Distributions- und Konsumformen der Musikindustrie geschafft hat. Mit Fado Curvo, Transparente und Terra brachte sie im Laufe des letzten Jahrzehnts Alben heraus, die den Bogen von der alten Botschaft zur neuen Befindlichkeit vermochten zu spannen. Das Concerto Em Lisboa im Jahre 2006 verschaffte ihr endgültig den Durchbruch. Heute wird ihr Name bereits in gleichem Atemzug mit der historischen Ikone des Fado, Amalia Rodrigez, genannt. Mariza gilt als die heutige, zeitgenössische Stimme des Fado.
Ihr neuestes Album, Fado Tradicional, ist folglich das, was sie sich aufgrund ihrer Position leisten kann. Sie darf es wagen, die alten Weisen des Fado anzustimmen, ohne Blasphemie zu betreiben. Denn, ähnlich wie im Blues, es gelten strenge Gesetze, was die Inszenierung anbetrifft und das Publikum ist in großen Teilen wertkonservativ. So gehen die insgesamt 11 Titel durch das Kompendium des traditionellen Fado wie eine pädagogische Führung. Der Auftakt beginnt mit Fado Vianinha, einer Hommage an die Melancholie schlechthin. Promete, Jura, das zweite Stück, beschreibt den Lauf der Welt, der sich nicht von der Banalität des Individuums beeinflussen lässt. As Meninas Dos Meus Olhos verweist auf die Nonchalance, die dem Individuum zur Verfügung steht, um durch den Alltag zu kommen. Mais Uma Lua wiederum verweist auf den Gestus der Unausweichlichkeit des Schicksals. Die Stücke, die nicht nur unterschiedliche Themen des Fado aufgreifen, sind aus den verschiedenen Hochburgen des Fado entlehnt und geben somit eine beeindruckende Kartographie dieses Genres. Boa Noite Solidao zum Beispiel demonstriert, wie weit es der Fado gebracht hat, denn dieses Stück könnte nächtens an einem brasilianischen Strand spielen, und Desalma hat Qualitäten, den der benachbarte Flamenco bietet.
Wer sich dem Fado nähern will, oder sich einmal der ganzen Gemütslage dieses Genres auszusetzen bereit ist, ohne sich wie in einem muffigen Archiv zu fühlen, der sollte sich in die Arme Marizas begeben, wenn sie den Fado Tradicional intoniert.

