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Management: Impulsivität und Courage

Die jeweils kursierenden Management-Theorien sind ein beredtes Indiz für den jeweiligen Zustand der Arbeitswelt. Interessant ist nicht nur dieser Aspekt, sondern auch die Zeitversetztheit, mit der die jeweils neue Welle hier in Deutschland ankommt. Bis heute hat es keine Management-Theorien gegeben, die nicht in den USA initiiert wurden und die nach einem Zeitraum von 5 bis 10 Jahren in unsere Arbeitswelt wirkten. 

Als die Organisationen – ganz gemäß der System-Theorie – wuchsen und sich immer mehr mit einer jeweils autonomen Infrastruktur vergrößerten, um die eigene, innere Komplexität des Ganzen zu reduzieren, da kam, nahezu folgerichtig, das Theorem des Lean Management. Schlanke Strukturen, flache Hierarchien, schnelle Entscheidungen. Übrigens ein Mantra, wie viele andere auch, die nie falsch sind und immer vernünftig klingen. Bei prächtiger konjunktureller Lage, in der humane Organisationen immer dazu tendieren, sich den großen Schluck aus der Pulle zu gönnen und nicht sonderlich initiativ zu sein, kam das weiße Ross der Agilität in die Säle der Management-Trainings galoppiert und mahnte zur Initiative. Und heute, in Zeiten der systemischen Krisen, ist es da ein Wunder, dass das Mantra der Resilienz am Himmel steht? Sicher nicht, und es wundert wenig, dass die Sinnhaftigkeit, die für das Führen von Wirtschaftsorganisationen und Verbänden gilt, auch bei der Politik greifen sollte. Auch da wären, bei einem spontanen Brainstorming, schlankes Management, Agilität und Resilienz ebenso wichtig wie in den anderen Lebens- und Arbeitsbereichen. 

Obwohl die drei genannten Beispiele aus tatsächlich sehr unterschiedlichen Phasen der Managementlehre stammen, müssten sie, bei genauer Betrachtung, heute eine gleichberechtigte Rolle spielen. Organisationen, die von ihrem Apparat ausufern, werden kaum überleben. Wer eher lethargisch auf das Geschehen reagiert, d.h. keine Agilität aufbringt, wird wahrscheinlich genauso ins Hintertreffen geraten wie diejenigen, die nicht resilient sind, bei denen beim ersten aufkommenden Sturm das Chaos ausbricht und nichts mehr funktioniert.

Insofern sind die drei Beispiele nicht aus der Luft gegriffen, sondern bewusst gewählt. Sie verkörpern zwar drei unterschiedliche Phasen in den Überlegungen, wie eine Organisation zu führen ist. Sie genießen jedoch angesichts der systemischen Herausforderungen eine gleichzeitige Aktualität. Damit wird demonstriert, wie heikel die Lage ist und welche Aufgaben vor denen liegen, die mit der Führung von Organisationen betraut sind. 

Doch damit nicht genug. Was jenseits eines wirtschaftlich und von der Effizienz vertretbaren Grades der Selbstorganisation, jenseits der Fähigkeit, sich selbst zu erneuern und außer der Fähigkeit, Schläge auszuhalten, noch vonnöten ist, ist die Fähigkeit zu Impulsivität und die dazu erforderliche Courage. Bei einer Bestandsaufnahme, die sich mit dem gegenwärtigen Auftreten der Führungen von wirtschaftlichen wie politischen Organisationen befasst, sticht ins Auge, dass die erwähnten Fähigkeiten durchaus in dem einen oder anderen Fall zu verbuchen sind, es allerdings an Impulsfähigkeit und Courage mangelt. 

Es ist müßig, sich immer wieder mit der Frage zu beschäftigen, warum in den Führungsetagen vor allem jene Platz gefunden haben, die nach dem Motto „nichts anbrennen lassen“ und „nicht zu weit aus dem Fenster lehnen“ vorgehen und darauf zu verweisen, dass der Hang zur Skandalisierung und der pathologischen Furcht davor, Fehler zu machen, in einer moralisierenden Politik zu suchen sind. Entscheidend ist immer, was kommen muss, um die Situation zu verbessern. Und jetzt, um bei den Management-Theorien zu bleiben, geht es in erster Linie um Impulsivität und Courage. Nicht mehr und nicht weniger.

Living in the Past

Das mit der Modernität ist so eine Sache. Unzählige Definitionen konkurrieren miteinander und es könnte gegensätzlicher nicht zugehen. Fest steht, dass mit der Moderne die Bewertung derselben einherging. Diejenigen, die von der rasanten Entwicklung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, der Allzugänglichkeit von Wissen und der Gewerbefreiheit profitierten, interpretierten die Moderne als das Endziel der Gattung, und diejenigen, die Privilegien verloren oder der messerscharfen Konkurrenz nicht standhalten konnten, verfluchten sie von Anfang an. Seit langem, spätestens seit dem, was Adorno und Horkheimer in ihrer Schrift „Die Dialektik der Aufklärung“ benannt hatten, gilt die Moderne als eine bereits historische Epoche, die potenziell Grausames wie Befreiendes hervorbringen konnte und die vorbei ist. Was wir heute durchleben, ist zwar noch umstritten, aber die Moderne mit ihrer großen Erlösungsbotschaft ist es nicht mehr, aber modern, so das gemeinsame Urteil aller, modern sind die Zeiten immer noch.

Ja, es ist widersprüchlich, und ja, an dem Begriff der Modernität scheiden sich immer noch die Geister. Für die einen ist es eher eine Denkweise, die sich in den radikalen, aber toleranten Kategorien der Aufklärung bewegt. Für die andern ist es die sich ständig revolutionierende Technik, die mit ihren Halbwertzeiten atemberaubende Erneuerungen mit sich bringt. Fest steht, dass zu viel polarisiert wird, und das Maß zwischen technischer Machbarkeit und Vernunft eine zu geringe Rolle spielt. Der Mensch in der Moderne an sich ist ein überfordertes Rudiment aus dem Dreißigjährigen Krieg, das sich anmaßt, mit elaborierter Technik Prozesse steuern zu können, deren Ende offen ist. Die Offenheit wiederum hält es nicht aus, deshalb wird aus der Steuerung noch ein besonderes Desaster.

Aber die Aporien der Moderne sind bekannt, und es wird noch vieler Erfahrungen und glücklicher Umstände bedürfen, um sie und ihre Folgeperioden vernünftig beurteilen zu können. Was jedoch heute bereits gelingt, sind bestimmte diagnostische Versuche auf bestimmte konkrete Erscheinungen. So schnell, wie die Technik entwickelt wird und diese auf die konkreten Lebens- und Arbeitsumstände wirkt, genauso schnell werden Theorien geboren, die die Menschen auf die konkreten Existenzbedingungen einschwören sollen. Vor allem die Managementtheorien sind ein unerschöpflicher Fundus für Erkenntnisse über das Verhältnis von Produktionsbedingungen zu den in ihnen zu beobachtenden menschlichen Unzulänglichkeiten.

Als versucht wurde, durch Regulierung und Bürokratisierung der Dynamik Herr zu werden, kam der Zeigefinger mit der Propagierung des Lean Management, als zu sehen war, dass die wachsende Komplexität der Prozesse dazu führte, die partikularen Interessen in den Vordergrund zu schieben und eine Eigendynamik zu entwickeln, wurde mit dem Management By Objectives daran gemahnt, die Ziele nicht aus den Augen zu verlieren. Ein ganzer Wald von Theorien durchzieht die jüngere Geschichte, und alle beschreiben eher die Defizite, an denen die Entwicklung leidet, als dass sie analytisch eine Lösung böten. Sie wirken eher wie Appelle an die Vernunft, als Konzepte für ein anderes Vorgehen.

Der Appell, der momentan als jüngste Theorie durch die Werkshallen, Büros und Labors hallt, ist der der Agilität. Und wenn ein Theorem diagnostischen Charakter hat, dann ist es dieses. Es appelliert an die Beteiligten, durch Aktivität und Impulsivität die Arbeit zu bereichern und die Prozesse voran zu treiben. Wenn so etwas gefordert wird, dann scheint es nicht mehr präsent zu sein. Das ist der eigentliche Befund. Produktive Prozesse erfordern prinzipiell agile Subjekte, sonst sind sie nicht produktiv. Aber die zur Theorie erhobene Tautologie macht deutlich, dass die Konstellationen eher so sind, dass die Subjekte zu sehr dominiert werden von Faktoren, die menschliche Kreativität unmöglich machen. Und das wäre alarmierend.

Gouvernance und Change

In den Sphären des Managements offenbart sich das Leid der Gesellschaft. Kaum eine Erscheinung der Sozial- und Psychopathologien schafft es nicht in die Welt des Managements. Das ist gut so, weil es somit zu einem Labor für den Zustand der Gesellschaft wird. Denn über die individuellen Erscheinungsformen hinaus, die sich äußern in Egozentrismus, Statusdenken, bürokratischem Kannibalismus und Haftungslogik, aber auch in intelligentem Funktionsdenken und strategischer Kompetenz, sind es vor allem die verschiedenen historischen Wellen, die das Management durchziehen, die einen hohen diagnostischen Wert haben.

Und bitte keine Ausreden! Bitte nicht der Verweis auf das für alles verantwortliche Amerika. Denn nur allzu zuverlässig ist die Kopie der Moden aus den Management-Lehren der USA, zeitversetzt um ein halbes bis ein Jahrzehnt. Da wäre immer genug Zeit, um sich auch für ein Nein zu entscheiden. Aber meistens ist es ein beherztes Ja, das dürftig wirkt in der Dimension der eigenen Souveränität. Das deutsche Management folgt den Lehren aus Übersee. Daran hat sich nichts geändert.

Die damit verbundenen Anglizismen sind damit erklärt und sollten nicht von deutsch-nationalen Sprachtümlern skandalisiert werden. Zumeist ist die Kritik dann auch noch doppelbödig. Aber das steht auf einem anderen Blatt. Wichtig ist, dass die Retrospektive der einzelnen Wellen eine radikale Reduktion von Komplexität zulässt und somit deutlich macht, welche Slogans des Zeitgeistes das Arbeitsleben dominieren sollten.

Da wurde in den letzten Dekaden von einem Management by Objectives gesprochen, als das strategische Denken als defizitär empfunden wurde. Lean Management wiederum war der Auftakt für die Finanzkapitalisierung, d.h. nicht nur Arbeitsvorgänge, sondern auch alle Betriebsteile wurden taylorisiert. Die partizipativen Strömungen setzten im Management ein, als die Demokratisierungstendenzen in den Gesellschaften bereits Eingang gefunden hatten und die Legitimation von Entscheidungen in den Betrieben einen immer höheren Stellenwert einzunehmen begannen. Dem folgte das Zeitalter der Transparenz, welches sich unter Termini des Management by Open Door etc. bekannt wurde. Es symbolisiert den Bankrott des Vertrauens in Funktionen und Institutionen, welcher das digitale Zeitalter kennzeichnet. Der Konnex von Gesellschaftspolitik wird mit jeder der erwähnten Epochen deutlich.

Somit ist die andere Welt, als die das Wirtschaftsleben so gerne beschrieben wird, doch Teil dieser einen Welt, in der alle leben. Die Produktionsweise bestimmt das gesellschaftliche Bewusstsein. So lautete das Axiom der politischen Ökonomie. Und der notwendige Zusatz kam ein Jahrhundert später aus der Psychoanalyse. Er besagte, dass das gesellschaftliche Bewusstsein seinerseits auch wieder die Produktionsweise bestimme. Die Theorien des Managements reflektieren somit nolens volens einen gesellschaftlichen Zustand, der in der betrieblichen Realität aufschlägt. Die Auseinandersetzung damit ist sehr aufschlussreich, dokumentiert sie doch die Konzeption derer, die die Macht haben, wie sie sich mit den wandelnden Phänomenen auseinandersetzen wollen.

Die Periode des Change Management, als die die gegenwärtige beschrieben werden muss, weist dabei eine Besonderheit auf. Umschrieb sie zunächst nur Anpassungsprozesse an technische Innovation, ist sie längst zur Bezeichnung eines Paradigmenwechsels in der Steuerungslogik mutiert. Politisch korrespondiert das Change Management mit dem Wandel der Theorie des Gouvernments hin zur Gouvernance. Das ist die Verinnerlichung der Regierungslogik auf die praktischen Handlungsfelder eines jeden Individuums. Michel Foucault hat diese Betrachtungen sehr dezidiert beschrieben. Im Change Management unserer Tage schlagen sie in der Betriebsrealität wieder auf.