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Journalistische Erlebniswelten

Hugo Portisch. Aufregend war es immer

Die Art und Weise, wie die namenlosen Zeitzeugen ihre Geschichte erlebt haben, geht sehr oft in der Vergessenheit verloren. Die mündliche Erzähltradition hat mit den Berufsgruppen, aus denen sie erwachsen ist, zumeist ihre Kontinuität verloren. Längst passé die Zeit der fahrenden Gesellen, die mit ihren Geschichten ein Sittenbild der Gesellschaft mit entwarfen, längst passé die Zeit der familiären Überlieferung, in der abends in der Küche die Eltern den Kindern erzählten, mit welchen Geschichten sie selbst aufwuchsen. Das, was heute in Bezug auf die konkret erlebte Geschichte geblieben ist, sind die Informationsschnipsel in den sozialen Netzwerken, die zumeist geographische Angaben und Bildmaterial hinterlassen, und selten so etwas wie soziale Erfahrung kolportieren.

Existieren keine Geschichten über die konkret erlebte Geschichte, dann bleiben die Werke der Historiker, deren Anspruch genau die subjektive Tönung ausklammert und in einer Sprache verfasst sind, die Distanz und Langeweile produzieren. In diesem Kontext sind Dokumente von Zeitzeugen vielleicht die letzten Medien, die in der Lage sind, eine Brücke zwischen historischer Faktizität und Erlebniswelten zu schlagen. Die österreichische Journalistenikone Hugo Portisch, mittlerweile 88 Jahre alt, hat nun Erinnerungen zu Papier gebracht, die dieser Kategorie zugerechnet werden können. Unter dem Titel „Aufregend war es immer“, der bereits seine Stärke beschreibt, erzählt er über seinen Werdegang als Journalist im Österreich nach dem II. Weltkrieg und seinen mit dem Beruf verknüpften Erlebnissen in den folgenden Dekaden bis heute.

In einem unterhaltsamen Erzählstil erfährt die Leserschaft sehr viel über den Übergang Österreichs von einem Anschlussstaat des Dritten Reiches über eine Besatzungszone bis hin zu einem souveränen Staat. Da ist in vielerlei Hinsicht auch aus deutscher Perspektive interessant, denn der Staatsvertrag, der die Souveränität besiegelte, ist hier bis heute ein nicht einmal mehr formulierter Traum. Aber auch die Einblicke, die Portisch auf seinen unterschiedlichen Stationen als Journalist erhielt, sind aus heutiger Sicht sehr interessant. Innerhalb Österreichs zum Beispiel der Versuch der großen Parteien mittels eines ausgehandelten Proporzes die öffentlich rechtlichen Medienanstalten zu okkupieren und die damit verknüpften, erfolgreichen Initiativen der Presse, diese Vereinnahmung zu verhindern. Oder die Rundreise durch die USA, in der die jungen Journalisten des Anschlussstaates einen Einblick in den eine Demokratie kontrollierenden Journalismus erhielten. Das war vor den Zeiten, als auch dort das Konzept des Embedded Journalism der Freiheit ein Ende bereitete.

Ebenfalls kurzweilig erzählt erhält die Leserschaft einen Einblick in die Denkweise der sowjetischen Administration während des Kalten Krieges, die Besonderheiten des kubanischen Sozialismus und das amerikanische Desaster in der dortigen Schweinebucht, die Konzepte der aufsteigenden neuen Supermacht China, die Motive und Operationsweise des vietnamesischen Vietcong, die Verwicklungen der westlichen Entwicklungspolitik auf dem afrikanischen Kontinent, die innere Logik der amerikanischen Atomstrategie und die mutierenden Spezifika eines neu aufflammenden Ost-West-Konfliktes.

Die Erzählungen Hugo Portischs werden getragen von dem Willen, seine Erfahrungen einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Insofern sind sie ein gut lesbares historisches Dokument, dessen Qualität nicht zu unterschätzen ist. Die Leserschaft hat dennoch die Gelegenheit wie das Recht, sich eine eigene Meinung zu bilden. In dem einen oder anderen Fall sind die Schlussfolgerungen des Autors auch nicht die, die jeder favorisieren muss. Aber so ist das nun einmal mit persönlichen Erfahrungsberichten. Wer sich für die Weltpolitik der Zeit nach dem II. Weltkrieg bis heute interessiert, findet in „Aufregend war es immer“ eine sehr unterhaltsame und informationsreiche Lektüre.

Cuidado Cuba!

Der mehr als fünf Jahrzehnte andauernde Handelskrieg, der oft an der Schwelle zu einem heißen war, soll nun beendet werden. US-Präsident Obama möchte in seiner noch verbleibenden Amtszeit einige Dinge richten, die den Republikanern nicht schmecken werden. Kuba, die Insel mit dem guten Rum und der Welt besten Zigarren, mit seinen 11 Millionen Einwohnern, soll zu seinem Nachbarn vernünftige Beziehungen bekommen. Böses haben beide Seiten einander angetan. Das sozialistische Kuba mit seinen Protagonisten Castro und Guevara hat die USA gedemütigt wie nie in seiner Geschichte. Gerade einmal einhundert Kilometer vor der Küste Floridas hatte sich ein Inselstatt zum Sozialismus bekannt und in enger Freundschaft zur Sowjetunion alle Handelsembargos überstanden. Die USA haben den Verlust des einstigen Karibik-Casinos und -Bordells emotional nie verkraftet und alles daran gesetzt, um die Revolution rückgängig zu machen. Die gescheiterten Mordanschläge allein gegen Fidel Castro gingen ins Dutzend und die Einschleusung von Saboteuren in die Tausende.

Und obwohl nicht nur amerikanische Gegner Kuba prognostizierten, es ginge in die Knie, wenn die Sowjetunion irgendwann seine materielle Hilfe einstellte, ist es nicht so gekommen. Tatsächlich sind Milliarden in US-Dollar konvertierte Rubel auf die Insel geflossen. Und tatsächlich war damit nach dem Untergang der UdSSR Schluss. Dennoch gelang es Kuba, das Land vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch zu bewahren. Nicht, dass Kuba zu einem glorifizierbaren Modell geraten wäre, aber es stellt sich dennoch die Frage, inwieweit es dort gelungen ist, eine Staatsphilosophie zu etablieren, die rein praktisch im Vergleich zu anderen mittel- oder südamerikanischen Modellen eine Lebensform realisierte, die sich als die bessere erwies. Die Statistiken, was Gesundheit, Bildung und Zufriedenheitsindizes betrifft, sprechen für die sozialistische Variante.

Die Avance Obamas an Kuba bedeutet zunächst noch gar nichts. Für Kuba interessant sollte die Lockerung des Handelsembargos sein, was zu einer Verbesserung der Außenhandelsbilanz führen dürfte. Kuba selbst wird einen Teufel tun und sich von seiner staatlichen Konstituierung zugunsten einer kapitalistischen Demokratie entfernen. Auch die viel zitierten jungen Kubanerinnen und Kubaner sehen das nicht so, wie oft suggeriert wird. Die Gefahr, die in einer Annäherung schlummert, sind die vor allem im Gürtel um Miami residierenden Exilkubaner, die sich zu einem Stronghold der Republikaner entwickelt haben und von einer Wiedervereinnahmung der Insel nach ihren Vorstellungen träumen. Sollten sie die Regie bei der Annäherung übernehmen, wird seitens Kubas sehr schnell der Rückzug angetreten, denn Vorsicht ist etwas, dass man dort in fünf Jahrzehnten der angespannten Beziehungen zu den USA gelernt hat.

Sollten allerdings irgendwann in Havanna bunte Regenschirme, orangene Seidenschals oder grüne Schirmmützen auftauchen, die als Ausdruck einer freiheitlichen Bürgerbewegung medial gefeiert werden, dann ist Vorsicht geboten. Dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass es sich um ein erneutes Design der imperialen Vereinnahmung handelt. Das Schema ist immer gleich, der Zweck auch. Diese Bürgerbewegungen und deren Unterstützung sollen den moralischen Vorwand für eine mehr oder minder deutliche Intervention liefern. Dann sind es die bedrohten Schwestern und Brüder der Freiheit, die den Fängen eines autoritären Regimes entrissen werden müssen. Das Design ist bekannt und für einen Fall wie Kuba nahezu prädestiniert. So sehr es auch angebracht ist, ein Jahrzehnte lange währendes Handelsembargo außer Kraft zu setzen und so sehr auch zu verstehen ist, dass Kuba sich wirtschaftlich aus dem Nötigsten heraus entwickeln will, so sehr ist auch Vorsicht geboten. Mancher Versöhnungskuss hatte schon tödliche Folgen. Es ist zu hoffen, dass die in der Weltliteratur so bewanderten Kubaner darum wissen.

Konsequent wie unbeugsam

Christopher Hitchens. The Hitch. Geständnisse eines Unbeugsamen

Christopher Hitchens, kurz The Hitch genannt, galt sowohl in seinem Heimatland Großbritannien als auch seiner späteren Wahlheimat, den USA, als einer der bissigsten und unbequemsten Journalisten. In Deutschland wurde er erst spät aufgrund seiner wüsten, unerbittlichen Religionskritik zur Kenntnis genommen, welche in dem Buch Der Herr ist kein Hirte (2007) Ausdruck fand. Noch bevor bei streitbaren und strittigen Journalisten Speiseröhrenkrebs diagnostiziert wurde, schrieb er seine Memoiren unter dem Titel The Hitch. Geständnisse eines Unbeugsamen. Im Jahr 2011, ein Jahr nach Erscheinen der Erstausgabe, verstarb der Autor 61jährig in Texas.

Die vorliegende Autobiographie ist für einen Deutschen Leser vor allem interessant, weil es durchweg um Politik geht, die von ihrer Wirkung auch in Deutschland eine große Rolle gespielt hat, in Großbritannien und den USA aber ganz anders diskutiert wurde. Neben der beeindruckenden Schilderung über seine frühe Sozialisation, die in einer Navy-Familie mit post-kolonialem Aroma stattfand und sich dann auf Schulen in Cambridge und einem Studium in Oxford fortsetzte, ist überaus aufschlussreich, wie sich der junge Hitchens aufgrund seines Gerechtigkeitsgefühls und seiner Kriegsgegnerschaft zu einem Trotzkisten entwickelte und aus dieser revolutionären Attitüde heraus journalistisch zu arbeiten begann.

Das Wertvollle an dem vorliegenden Buch ist die undogmatische und tabulose Herangehensweise an das Zeitgeschehen und die Vermittlung profunder Erkenntnisse in nahezu lakonischen Sätzen. Wenn Hitchens schreibt, irgendwann Ende der siebziger Jahre sei ihm aufgefallen, dass Diskussionsredner plötzlich begannen, ihrer Rede einen Exkurs über ihre Gruppenzugehörigkeit vorauszuschicken und daraus allein schon Legitimation und Verdienst ableiteten, dann ist das nahezu eine seismographische Beobachtungsgabe, die die Abkoppelung des Leistungsgedankens von der politischen Legitimation in den spätkapitalistischen Gesellschaften zum Gegenstand hat. Hitchens beschreibt sehr eindrucksvoll, wie ihm die Entwicklung in Großbritannien den Garaus gemacht hat und letztendlich welche Motive es waren, die ihn veranlassten, seiner von Margaret Thatcher kontaminierten Heimat den Rücken zuzukehren und in die USA zu emigrieren.

Doch auch dort blieb er der Kritiker und der Engagierte. Vor allem sein bedingungsloses Eintreten für Salman Rushdie, dem von der iranischen Fatwa bedrohten britischen Schriftsteller, ist ein Lehrstück über die Doppeldeutigkeit und, wenn man so will, Verlogenheit der Politik im Westen. Hitchens zeichnet unbarmherzig die Linien des Opportunismus und der Kälte, die letztendlich die Schwäche der westlichen Demokratien zunehmend hervortreten lassen. Die Inkonsequenz im Prinzip als die opportunistische Variante eines um sich greifenden Populismus ist es, die Hitchens immer wieder analysiert und anklagt.

Und richtig böse wird es in Bezug auf die Politik im Nahen Osten, vor allem den Irak. Hitchens, der selbst oft dorthin reiste und das Land des Saddam Hussein bereits in Zeiten kannte, als der Diktator noch als Verbündeter des Westens galt, rechnet sowohl mit der amerikanischen Bündnispolitik als auch mit der Linken ab, die sich später so vehement gegen den Irak-Krieg wandte. Man stelle sich vor, so schreibt er, in London hätten eine Millionen liberale und humanistische Leute aus pazifistischen Motiven gegen den Krieg gegen den Faschismus demonstriert. Hitchens nennt unzählige Beispiele, um das Grausame und Faschistoide der Hussein-Herrschaft zu illustrieren. Er plädiert für den Krieg, ohne das Schmerzhafte in seinem eigenen Erkenntnisprozess auszusparen.

Hitchens Buch ist in allen historischen Fällen, die es schildert, konsequent wie unbequem. Das sind Eigenschaften, die wir uns für Journalisten so sehr wünschen. Schade, dass The Hitch nicht mehr schreiben wird! Um sehr mehr ein Argument dafür, das zu lesen, was er geschrieben hat!