Schlagwort-Archive: Krise als Chance

Krise III: Die laufende Produktion von Feindbildern

Vieles liegt jetzt auf der Hand. Die Krise, die im Moment noch als eine Pandemie definiert wird, hat weit ausgreifende Konsequenzen. Jenseits der rein medizinischen Aspekte sind bestimmte strukturelle Dissonanzen an den Tag gefördert worden, die behandelt werden müssen. Dazu gehört vor allem der Irrglaube, bei den vorhandenen Produktivkräften genüge als Regulativ der Markt. Eine abseitigere Antwort auf die Herausforderungen dieser Tage ist kaum vorstellbar. Dennoch ist das Mantra nach wie vor zu vernehmen. Es wird deutlich, dass ein vernünftiges, lebenswertes Konstrukt der Zukunft dieser Maxime nicht mehr wird folgen dürfen. Dazu gehören kapitalorientierte, börsennotierte Versicherungssysteme genauso wenig wie die absolute, nur nach dem Prinzip der Gewinnmaximierung organisierte Lieferketten. Vieles muss sich ändern und alles ist zurückzuführen auf systemimmanente Funktionsweisen, die bis jetzt als sakrosankt galten.

Jedes Argument, das jetzt mit den alten Deutungsmustern angeführt wird, gehört in die Annalen dessen, was die Epoche des Wirtschaftsliberalismus so fatal gemacht hat. Dennoch ist festzustellen, dass viele Funktionsträger im politischen System und deren Begleiter im Kommunikationsgewerbe keine Anstalten machen, sich von dem desaströsen Muster zu verabschieden. Ganz im Gegenteil! Es wird nicht nur daran festgehalten, sondern es wird versucht, durch die Zementierung von Feindbildern eine Kohäsion des Bestehenden herzustellen. So stellen sich die Priester des „Weiter so!“ die Zukunft vor.

Man muss genau hinsehen. Anstatt sich auf Lösungsansätze zu konzentrieren, wird krampfhaft nach Gründen gesucht, das Handeln anderer, einem vermeintlich feindlichen Lager Angehörenden zu skandalisieren und das eigene Vorgehen als das Glorreiche darzustellen. Gestern lieferte das Auslandsjournalismus im ZDF einige Beispiele dafür, wie das aussieht. Der Bericht über den Umgang Chinas mit der Pandemie war gespickt von Häme und Hass, was dazu führt, nicht die Leistungen anzuerkennen und vielleicht daraus Schlüsse für das eigene Vorgehen, welches sich zudem zunehmend ähnelt, zu ziehen. Zweck der Veranstaltung ist die Zementierung von Feindbildern, deren Zweck allerdings in der Zukunft liegt.

Denn nach der grausamen Episode von Corona werden Folgen kommen, die mit dem historischen Begriff einer wirtschaftlichen Depression noch freundlich umschrieben sind. Da werden kleine Unternehmen en gros von der Bildfläche verschwinden, da wird in großem Maße rationalisiert werden, was ohne die Pandemie gesellschaftlich niemals durchzusetzen gewesen wäre und da werden Arbeitsplätze in bisher nicht gekanntem Ausmaß verschwinden. Und das Schlimmste, was passieren kann, wäre die politische Fragestellung nach dem tatsächlichen, systemimmanenten Warum. 

Daher ist es für die Befürworter des radikalen Wirtschaftsliberalismus vonnöten, sich an zwei Strategien abzuarbeiten. Zum einen an der weiteren Zementierung alter und der Konstruktion neuer Feindbilder und zum anderen an der Spaltung der Gesellschaft. Da werden Rassismus, Sozialneid und Schuldzuweisungen eine große Rolle spielen. Gegen das, was wir bisher erlebt haben, wird das eine neue, furchtbare Qualität annehmen. 

Weder Feindbilder im globalen Maßstab noch ebensolche innerhalb der Gesellschaft werden einen positiven Beitrag bei der Gestaltung einer Zukunft einnehmen, in der es erstrebenswert sein wird, zu leben. Die politische Konsequenz muss sein, die Organe zu stärken, die sich von derartigen Irrlichtern nicht leiten lassen und es muss eine breite Front entstehen, die dafür sorgt, dass diese irreführenden Stimmen sich nicht des mächtigen Apparates bedienen dürfen. Die Tiraden, die verbreitet werden, abzutun als das, was man bereits schon immer wusste, ist ein Fatalismus, den sich niemand mehr leisten kann, der es ernst meint mit der Einsicht, dass Krisen auch Chancen beinhalten.   

Schluss mit dem Quatsch!

Es mutet schon fast wie ein Gassenhauer an, dass Krisen nicht nur negative Wirkungen beinhalten, sondern auch Chancen bieten. Aus einer Misere heraus etwas Neues zu wagen, ist vielleicht einfacher, als aus dem Wohlbefinden die Verhältnisse zu ändern. Denn wer sich wohlfühlt, möchte diesen Zustand erhalten, obwohl dabei verdrängend, dass gerade das Veränderung benötigt. Im persönlichen, privaten Bereich ist das Verständnis der Krise als Chance oft schon kein leicht zu erwerbendes, auf dem Feld der Politik, gar im Verhältnis von Volk und Regierung, ist das alles ungleich komplizierter. 

Der Zustand, in dem sich aktuell die Regierung befindet, kann ohne Dramatisierungseffekt als kritisch beschrieben werden. Alleine das Zustandekommen dieser Regierung war bereits ein zeitraubender Kraftakt, und nun, kaum hat sie ihre Geschäfte aufgenommen, ist ein vehementer Streit zwischen historischen Bündnispartnern entbrannt, der allenfalls symbolischen Charakter hat, aber dennoch das Regierungshandeln lähmt. Denn längst ist es Konsens im gesamten Regierungslager, dass sich ein Zustand wie 2015 nicht wiederholen darf und die Einreise von Migranten in das deutsche Staatsgebiet so weit wie möglich limitiert werden soll. 

Worum geht es also? Die Frage zu beantworten ist nahezu unmöglich, weil es nicht um Wirkungen von Politik geht, ein Streit darüber ist eine klassische, aber nachvollziehbare Verwerfung. Feststellen zu müssen, dass es lediglich um Wahlspekulation und Ämtererlangung und nicht um politische Inhalte geht, ist Grundlage für die Erkenntnis, dass die Krise der Regierung gleichzeitig die Krise des Systems ist. Und jetzt wird es brenzlig: Die Sinnentleerung des politischen Diskurses und seine Reduktion auf symbolische Handlungen ist eine Entwicklung, die in Zusammenhang steht mit einer anhaltenden Entmündigung des Souveräns und einer zunehmend propagandistisch verkauften Staatspolitik. Wem da der alte Ostblock einfällt, als die selbst ernannten Volksdemokratien selbst redend für das Volk sprachen und es keinen Kampf mehr um politische Inhalte, sondern allenfalls noch um die Formulierung der Politik gab, der hat ein gutes Gedächtnis.

Der demokratische Prozess dieses Landes leidet unter genau so einer Sinnentleerung, die kaschiert wird durch eine abstrakte Diskussion um mehr Verantwortung, bei der das Wofür keine Rolle spielt, und die gekennzeichnet wird durch Attribute wie „alternativlos“, aus denen der Geist der alten Staatsparteien sprüht. Dass der Kampf gegen jede Form des Andersseins gespickt ist mit Verdächtigungen „mutmaßlicher“ und „vermeintlicher“ Missetäter, macht die Angelegenheit schon beinahe als Modell attraktiv. Nichtsdestotrotz dokumentiert dieser Zustand eine Krise, die auch ihre Möglichkeiten bietet.

Jetzt, in dem Augenblick des möglichen Strauchelns, die alte Selbsttäuschung des kleinen Übels zu bemühen, ist nur noch abgegriffen und führt nicht weiter. Die große Chance, die diese Krise bietet, ist die radikale Fokussierung politischer Inhalte. Schluss mit dem Quatsch, so könnte ein alter Bänkelsänger zitiert werden, jetzt wird diskutiert! Das, was zunächst nur als der Wechsel eines Denkmodells erscheint, nämlich das Abwenden von Strukturen (mehr Geld für das Militär, mehr Geld für die Bildung) und das Zuwenden zu den beabsichtigten Wirkungen (und jetzt wird es heikel: Landesverteidigung oder Intervention, analytische Fähigkeiten oder Konditionierung?), kann zu einem großen Wurf werden, der die Politik und den Streit darüber zu einer Qualität zu heben, die den Namen verdient hat. 

Nutzen wir die Krise eines ermüdeten Systems! Reden wir über die beabsichtigten Wirkungen von Politik. Ganz konkret!