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Eine SMS aus dem Lenin-Mausoleum

Noch haben die Koalitionsverhandlungen gar nicht begonnen, da geizen die Reaktionen auf das, was mittlerweile an die Öffentlichkeit drang, nicht mit heftigen Gefühlsregungen. Manche sind heftig enttäuscht, andere wiederum empört. Es kursieren Gerüchte. Was bekannt ist, ist das Ausmaß des Kreditvolumens. Aus Kreisen der Verhandler heißt es, es gehe um die notwendigen Aufwendungen für Militär und die Instandsetzung einer maroden Infrastruktur. Von CDUlern war zu hören, der schlaksige Friederikus habe sich von den Sozen schön über den Tisch ziehen lassen. Und, das sollte nachdenklich stimmen, die Sozialdemokraten feiern sich ein bisschen, weil sie auch glauben, dass der mit dem Namen, der an eine Guillotine erinnert, schlau verhandelt habe. Darauf ist noch einmal zurückzukommen.

Eine weitere, erhebliche Irritation beim Wahlvolk ist dadurch entstanden, dass der Hauptprediger der Schuldenbremse wenige Tage nach der Wahl sein Geschwätz von gestern in Windeseile über Bord warf und nun für eine Kreditaufnahme,  die von den berufsmäßigen Demagogen hartnäckig als Sondervermögen deklariert wird, von nahezu einer Billion zugestimmt hat.  Einmal abgesehen davon, dass man tatsächlich darüber diskutieren kann, ob eine Schuldenbremse in Krisenzeiten klug ist, kann das Wendemanöver des Sauerländers trotz allem nur als eine obszöne Geste gegenüber den Wählern interpretiert werden. Aber, wer der Verkommenheit nahe genug ist, der kennt auch keine Hemmungen. Das wissen die Wählerinnen und Wähler der besten Regierungsform der Welt seit langem. Und dass in dieser Gemengelage die Grünen nicht fehlen dürfen, ist folgerichtig. Nur sind diese verschnupft, weil man sie zwar braucht, um das Husarenstück noch vor der Konstituierung des neue gewählten Bundestages über die Bühne zu bringen, aber sie eigentlich nicht mehr dabei sein dürfen. Emotional ist das prekär, das sollte man verstehen.

Wobei wir aber wieder bei dem verhandelten Portfolio wären. Dass die politische Klasse jetzt auch gemerkt hat, dass das eigene Gewicht nur dann zählt, wenn man es selbst auf die Waage bringt, ist eine kolossale Erkenntnis. Dass es allerdings, sollte Russland tatsächlich der Aggressor sein, als der er bei der Begründung herhalten muss, dann ist es bereits zu spät. Bis die aufzunehmenden Kredite in Aufträge verwandelt und die Aufträge in Form tatsächlicher Produkte auftauchen, die dann auch noch adäquat bedient werden können, vergehen Jahre. Es geht also nicht um die tatsächliche militärische Befähigung, sondern ums Geschäft. Analog verhält es sich mit der Infrastruktur. Und da wären wir bei der tatsächlichen Dechiffrierung des Verhandelten.

So, wie es aussieht, werden immense Aufträge auf Pump von einem Kanzler veranlasst, der die letzten zwanzig Jahre als Advokat im Hause Black Rock angestellt war. Man sollte genau hinschauen, wieviel von den immensen Summen letztendlich dort in den verschiedenen Auftragsbüchern stehen. Wenn im Gegensatz dazu erreicht wurde, dass der flotte Lars noch das eine oder andere Sümmchen an die Lieschen Müllers der als Zivilgesellschaft getarnten Fanclubs überweisen kann, dann sieht es gar nicht mehr danach aus, als ob da jemand klug verhandelt hätte. Da war das Hemd näher als der Rock. Und es war preiswert, das Hemd. 

Ach ja, und, kurioserweise, heute kam eine SMS aus dem Lenin-Mausoleum. Darin hieß es, aus aktuellem Anlass würde der Schrift des Vaters der Revolution, „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“, noch ein weiteres Kapitel angefügt. Der Titel: Der Oligarchismus als höchstes Stadium des Imperialismus. Und, wenn man länger nachdenkt, unter diesem Aspekt leuchtet vieles dann doch wieder ein und erscheint gar nicht mehr so rätselhaft.      

Keine Abkehr vom Industrialismus

Auch wenn ihr das Stigma des Stillstandes anhaftet: Kanzlerin Angela Merkel ist eine Virtuosin der Macht. Mit einem einzigen Streich hat sie die Koalitionsverhandlungen in eine geniale Inszenierung gebettet. Noch scheint es niemand zu merken. Noch reiben sich viele die Augen über die vermeintlich vorteilhaften Ergebnisse, die die SPD für sich erstritten hat. Programmatisch steht in dem Vertrag mehr, als man von einer Partei erwarten könnte, die prozentual in den Zwanzigern jongliert. Und auch personell ist die Anzahl der Ministerien für die Sozialdemokraten ein großer Coup. Der größte jedoch gelang der Kanzlerin.

Einmal abgesehen von den vielen Versprechungen, die das Koalitionspaket enthält, welche alle unter dem Vorbehalt der Finanzierungsmöglichkeist stehen und nur dann realisiert werden können, wenn die wirtschaftliche Entwicklung dieses zulässt. Mit der Benennung des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel zum Vizekanzler und Superminister für Wirtschaft und Energie hat die Kanzlerin die gesamte Verantwortung für die Energiewende der SPD zugeschanzt. Damit hat sie das heikelste Thema aus dem Portfolio von CDU und CSU entfernt. Endlich ist sie dieses, aus dem Gau in Fukushima und dem folgenden Wahldebakel in Baden-Württemberg entstandene Vorhaben los. Nicht, dass sie selbst keine Sympathien für dieses Thema hätte, aber in den vergangenen zweieinhalb Jahren konnte sie sich ein Bild davon machen, wie gravierend das Projekt der Energiewende in die Struktur der bestehenden Bundesrepublik eingreifen würde. Es erklärt sich von selbst, welches Depot an Verwerfung damit einhergeht.

Die in der politischen Not formulierte und wenig durchdachte Energiewende ausgerechnet einem Sozialdemokraten ins Pflichtheft zu schreiben, ist an Zynismus kaum zu überbieten. Nimmt man das Vorhaben nämlich ernst, so beinhaltet es einen Paradigmenwechsel der existierenden Industriegesellschaft, die sich über Wachstum und Export definiert. Ernst gemeint hieße das nicht nur die Abkehr von der tradierten, Energie in rauen Mengen absorbierenden Industrieproduktion, sondern auch von den von diesem Sektor lebenden Menschen. Denn nur vordergründig geht es bei diesem Projekt um den Austausch der Energieversorgung vom Atom und den fossilen Energien hin zu den erneuerbaren und der damit verbundenen Stilllegung der existierenden und der Schaffung einer neuen Energieinfrastruktur, sondern auch um eine neue Vorstellung von Produktion. Die betroffenen Wirtschaftssektoren werden radikale Veränderungen erfordern, zu der in der gegenwärtigen Bundesrepublik keine politische Kraft in der Lage sein wird, weil die damit verbundenen Verwerfungen nicht nur die Gesellschaft entzweien, sondern auch die Protagonisten zerreiben werden.

Die SPD hat sich bereits in den Koalitionsverhandlungen genau als das profiliert, was als Fürsprecherin derer gelten kann, die als die traditionellen Sektoren der Wirtschaft beschrieben werden können. Vor allem die Ministerpräsidentin von NRW, Hannelore Kraft, hat mit Rücksicht auf den Stronghold der SPD in Nordrhein Westfalen gehörig auf die Bremse getreten, wenn es an die bestehenden Strukturen gehen sollte. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Man weiß ja nie, wohin Politik führt, aber eines ist klar: Der neue Superminister wird nichts tun, was die Zerschlagung der nordrhein-westfälischen SPD bedeuten würde. Das wäre der Selbstmord. Also bleibt ihm nur die Option einer Energiewende light, d.h. er wird in die Annalen eingehen als derjenige, der eine substanzielle Energiewende verhindert hat. Das wollen CDU und CSU zwar auch, aber es wird im Zeugnis der SPD stehen. Somit ist es vorbei mit dem Image einer erneuerten Reformpartei des ökologischen Wandels. Wer ihr dafür danken wird, bleibt abzuwarten. Man kann es ja auch positiv formulieren: Die Abkehr vom Industrialismus ist vorerst verhindert.

Der Konnex von Subvention und Mut

Es liegt in der Natur der Sache, dass Pressemeldungen verkürzen. Nähme man sie als Maßstab für die hinter ihnen verborgene Komplexität, so käme man zu einer Interpretation der Welt, die nur unter der Überschrift „Irrtum“ Bestand hätte. So ist es auch in diesen Tagen, in denen über eine große Koalition in Deutschland verhandelt wird. Beide Parteien, die momentan am Pokertisch sitzen, haben ihre Agenda. Und beide Parteien verfügen über Programme, mit denen sie einerseits nach ihren Vorstellungen das Land weiterbringen und zum anderen ihre eigene Klientel bedienen wollen. Darüber zu lamentieren ist zwecklos. So funktioniert die Veranstaltung, die für sich den Namen Demokratie reklamiert.

Eine Frage jedoch sollte beunruhigen. Betrachtet man die Verhandlungslisten der beiden Parteien, dann steht dort vieles, was selbstverständlich in Angriff genommen werden sollte, aber nichts, was als eine Investition in die Zukunft bezeichnet werden könnte. Auch Themen wie Bildung und Infrastruktur, zweifelsohne die Zukunftsthemen par excellence, stehen nur deshalb auf der Liste, weil sowohl die bundesrepublikanische Infrastruktur einen beträchtlichen Investitionsstau aufweist als auch der Bildungssektor als ein System bezeichnet werden muss, in dem in den letzten Jahrzehnten die Partikularinteressen diverser Lobbygruppen kollektiv eine Veränderung zu mehr Qualität verhindert haben. Es handelt sich um Nachholbedarf, um Versäumtes, das vielleicht dafür sorgt, dass bereits heute vieles nicht mehr ohne gewaltige Kraftakte gerichtet werden kann. Mit der Frage nach Zukunft hat das dennoch alles nichts zu tun, dieses Feld wird nahezu systematisch gemieden, da Investitionen in Zukunft die Frage aufkommen lassen müssen, wie man das finanziert. Und da könnten aktuelle Besitzstände gefährdet sein, da ginge es an die Heiligtümer des Zeitgeistes.

Aber auch die gegenwärtigen Agenden der Parteien müssen finanziert werden. Glaubt man den Pressemeldungen, dann will die CDU das mit Haushaltsdisziplin, die SPD hingegen mit Steuererhöhungen. Der Akt der Steuererhöhung wiederum soll eine Geste der Gerechtigkeit sein, weil die Besserverdienenden zur Kasse gebeten werden sollen. Alles d´accord, so könnte man sagen, wäre letzteres nicht ein Indiz für die Unlust, sich mit einem Zeitgeist auseinanderzusetzen, der letztendlich eine Weiterentwicklung des Landes verhindert. Die Volksfront nämlich, die sich dafür einsetzt, dass alle Formen der Zuwendung für immer so bleiben, seien es Steuervorteile oder Abschreibungsmöglichkeiten, seien es direkte oder indirekte Subventionen, seien es Aufwandspauschalen oder Sonderrechte. Wenn man so will, ist die Republik im Laufe ihrer Entwicklung zu einem subtilen System der Massenkorruption verkommen, das kaum noch etwas mit dem ursprünglichen Gedanken der sozialen Intervention zugunsten der Schwachen zu tun hat. Da sind regelrechte Industrien entstanden, die sich mit misslungener sozialer Integration oder dem Versagen des Bildungssystems und im Bildungssystem beschäftigen. Und diese Subsysteme sind so stark geworden und haben eine solche Eigendynamik entwickelt, dass sie jegliche konstruktive Veränderung verhindern.

Unabhängig von der Einkommenssituation hat sich eine Erwartungshaltung gegenüber den Leistungen des Staates etabliert, die es sehr schwer macht, auf das Eigentliche zu verweisen: Welche Investition aus Steuern bringt das Gemeinwesen voran, und welche ist nur dazu da, den Futterneid der anderen Subventionsempfänger zu beruhigen. Leider findet sich im Moment keine Partei, die das offen artikuliert. Es wäre sinnvoller, dem System der Massenkorruption den Kampf anzusagen als sich über neue Geldbeschaffungsmethoden Gedanken zu machen. An Geld fehlt es nicht in diesem Land. Aber an Mut.