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Der Hecht und die Zuchthauspraline

Als Friedrich Merz für viele Beobachter plötzlich, wie ein längst verendet vermuteter Hecht einen steifen Sprung über die Oberfläche des Teiches wagte, drängte sich die Frage auf, ob die Kränkung, die das Ende seiner politischen Karriere zu Anfang der Ära Merkel bedeutet hatte, so tief saß? Ob ein Mensch, der es zwischenzeitlich zu einem überaus wohlhabenden und erfolgreichen Geschäftsmann geschafft hatte, doch diese eine Kränkung nicht überwunden hatte? Es dauerte jedoch nicht lange, und dieser Interpretationsansatz wurde wegen Abwegigkeit verworfen. Schnell wurde erkannt, dass es ein anderes Motiv gab, das gewichtiger erschien. Die Supermacht jenseits des Atlantiks suchte wohl einen Garanten für die Nibelungentreue gegenüber dem Imperium, eingeschlossen der Verfechtung der dortigen Wirtschaftsinteressen. Und da fand sich kein besserer Kandidat als der Satellit aus dem kalten Brilon.

Als dann bekannt wurde, dass der eigentliche Prolongator des forschen Black-Rock-Managers ausgerechnet jener Player aus dem Schwarzwald war, der seinerseits in der vermeintlichen Beliebtheit ganz oben rangiert, weil er als Finanzzuchtmeister das Projekt Europa zwar gegen die Wand gefahren hatte, aber durch die Magie der Schwarzen Null den Spartrieb der Sicherheitsideologen bedient hatte, da tauchte wieder ein Motiv auf, das sich schon bei F.M. angedeutet hatte. Auch Wolfgang Schäuble, der einstige König der Parteispenden, war von Angela Merkel entthront worden und teilte das nicht nachlassende Gefühl der Zurückweisung mit dem erwähnten Hecht aus dem Sauerland. Zudem hatte Merkel dem sparsamen Wolfgang noch das Bundespräsidentenamt verhagelt. 

Nun haben sich zwei gefunden, die zwar seelisch die Schmach vereint, von einer Frau, einer Ostfrau! übervorteilt worden zu sein, aber sie teilen auch noch etwas anderes. beide sind Verfechter der Form des Wirtschaftsliberalismus, der mit dem Ende des Kalten Krieges einsetzte und für zahlreiche innere wie äußere Verheerungen in vielen Gesellschaften steht. Man mag über die Psycho-Kiste, die beide da spielen, wohlwollend hinweg sehen, über ihr Programm jedoch nicht. Es geht um die weitere Demontage des Gemeinwesens und das hemmungslose Versilbern von allem, was der modernen Zivilisation heilig sein sollte. In dieser Hinsicht ist die Liaison der beiden für diese Republik brandgefährlich. 

Dass Insider berichten, Schäuble spekuliere sogar noch auf eine Kanzlerschaft, wenn auch nur eine kurze, für den Fall der Wahl von F.M. zum Parteivorsitzenden der CDU und dem Austritt der SPD aus der Koalition, so lange, bis wieder gewählt wird, und dann – wird man sehen. Zuzutrauen ist einem Teil derer, die das politische Geschäft seit Jahrzehnten prägen, ein solches Spiel. Und gerade dieser Abusus ist es, der mit für die Krise des gesamten Systems verantwortlich zeichnet.

Als Kanzlerin Merkel ihren Verzicht auf den Parteivorsitz verkündet hatte und wie aus dem Nichts drei Kandidaten auftauchten, rühmte sich die CDU für die große und gute Auswahl. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich der eine, der aus dem Münsterland, als ein relativ harmloser Junger, der auch mal möchte, AKK als Merkel light und F.M. als Revisionismus des Wirtschaftsliberalismus, ausgestattet mit dem Attribut der Marionette der nicht ganz korrekt, aber dennoch immer wieder treffend als schwäbische Zuchthauspraline titulierten Figur.

Das Land tanzt einen schaurigen Makabré. Bleibt die Frage, ob sich die Zuschauer noch irgendwann zu Wort melden.   

Muttis Tage sind gezählt

Unabhängig davon, wie sich die Delegierten auf dem SPD-Parteitag in Bonn entscheiden werden, ob sie sich noch einmal in eine große Koalition begeben wollen oder nicht, die Ära Merkel ist bereits zu Ende. Wie heißt es noch so treffend in der Revolutionstheorie? Nach einem Zustand relativer Ruhe folgt eine Phase rascher Veränderung. Und genau so wird es kommen. Das, was jetzt als endlos lange Zeit nach der Wahl bezeichnet wird, ist die Vorglut für politisch gravierend andere Verhältnisse. Und die Diskussion, die in diesen Tagen heftig um die Rolle der Sozialdemokratie geführt wird, geht am Thema vorbei. Das Thema ist der Sekundentod von Frau Merkel. Ihre Kanzlerschaft ist, betrachtet man ihre politischen Einflussmöglichkeiten, bereits beendet. Wenn sich die Sozialdemokratie von dem Bundespräsidenten aus den eigenen Reihen den Trugschluss aufoktroyieren lässt, es ginge bei der Rettung um Merkel gleich um die ganze Republik, dann ist das sehr bedauerlich, denn es geht einzig und allein um Merkel.

Bei der Rückschau auf die Reihe der deutschen Bundeskanzler ist es bemerkenswert, dass bei jedem sofort Stichworte aufblitzen für die Politik, die sie vertraten. Adenauer stand für die gnadenlose Einfügung der Republik in den Westen und für die Aussöhnung mit Frankreich, Erhard für die Theorie des Marktes, Willy Brandt für mehr Demokratie wagen, Helmut Schmidt stand vor allem für die Vermittlung demokratischer Pflichten und die Legitimation durch Verfahren. Bei Kohl, dem politischen Ziehvater Merkels, wird es bereits schwierig, irgend etwas zu finden, für das er stand, wäre da nicht das historische Geschenk der Wiedervereinigung gewesen, das er ohne Wenn und Aber entgegennahm. Doch wofür steht Merkel? In einer Welt, die sich während ihrer Regentschaft verändert hat wie selten zuvor. Bei der Antwort sollte man sich etwas Zeit nehmen.

Verlässt man sich auf die richtige Reaktion des eigenen Unbewussten, dann ist die Antwort: für nichts. Spontan fällt mir nichts ein, für das die Kanzlerin Merkel steht bzw. das als die politische Tat oder Einstellung genommen werden könnte. Stattdessen drängt sich die Beschreibung auf, dass sie unzählige Prozesse moderiert hat, und viele davon sicherlich auch zielführend und erfolgreich. Wären da nicht politische Tatsachenentscheidungen, die als solche nicht sonderlich erkenntlich waren, die jedoch die Realität in der Republik, in Europa und in der Welt verändert haben.

Da ist das Primat der wirtschaftliberalistischen Theorie, welches sich in der Rettung unseriöser Banken und in der Knebelung betroffener Volkswirtschaften äußerte. Da ist der US-NATO-Aggressionskurs gegen Russland, der das deutsch-russische Verhältnis nachhaltig ruiniert hat. Da ist die Allianz mit terroristischem Gesindel in Syrien, um wiederum den Eruptionen der US-Imperiums loyal zu folgen. Da ist die Schwarze Null, die zwar die Augen ihres dogmatischen Finanzministers haben glänzen lassen, die aber verhinderte, dass notwendige Investitionen in die Zukunft vorgenommen wurden etc. etc..

So, wie es scheint, gibt es für diese Politik im Land keine Mehrheit mehr. Darüber sollte man sich freuen und daraus keine staatspolitische Krise machen. Der Anteil der AFD-Stimmen im Parlament ist dieser Politik zu verdanken. Diese Politik jetzt fortzusetzen hätte zwei Dinge zur Folge. Die gesellschaftlichen Verwerfungen nähmen zu und die Sozialdemokratie wäre in dieser Form verschwunden. Der Wind wird kalt über die Hügel kommen. Muttis Tage sind gezählt. Nach einem Zustand relativer Ruhe folgt eine Phase rascher Veränderung.