John Steinbeck. Die Reise mit Charly. Auf der Suche nach Amerika
Da hat ein längst arrivierter Schriftsteller der Eindruck, dass er sein eigenes Land nicht mehr so richtig versteht. Vieles, was ihm vertraut war und worüber er geschrieben hat, scheint ihm verloren gegangen zu sein. Da taucht die Idee in ihm auf, das Land, in dem er in vielerlei Hinsicht groß geworden ist, noch einmal zu erkunden. Nicht als der international anerkannte John Steinbeck, sondern als Reisender ohne Namen und Kennung. Wir schreiben das Jahr 1960. Steinbeck baut sich einen kleinen Transporter zu etwas um, was wir heute Wohnmobil nennen und nennt das Vehikel auch noch Rocinante, nach dem Pferd aus Cervantes Don Quijote. Und sein Gefährte ist nicht Sancho Panza, sondern ein etwas in die Jahre gekommener Königspudel namens Charly. Der Kalifornier, der, ganz standesgemäß, mittlerweile in den Hamptons, nördlich von Long Island, New York lebt, macht sich auf die Reise. Das Buch, das aus diesem Abenteuer resultierte, trägt den Namen: Die Reise mit Charly. Auf der Suche nach Amerika.
Steinbeck begibt sich voller Erwartung auf diese Reise. Zunächst führt ihn die Route weiter nach Norden, dann geht es durch den Mittelwesten in den Westen, von dort wiederum in den Südosten, um von dort wieder an seinen Ausgangspunkt zurückzukehren. Interessant sind die technischen Reisedetails, weil sie zeigen, wie praktisch denkend Steinbeck veranlagt war, was sicherlich zu einer ausgezeichneten Beobachtungsgabe beigetragen hat. Steinbeck ist in der Lage, aus kleinen Details Rückschlüsse auf das Ganze zu ziehen, ohne dabei irgendeiner Spekulation zum Opfer zu fallen.
Von der Lektüre des Buches bleiben drei große Eindrücke zurück, die ihrerseits zu dem Resümee führen, dass es sich um für den Autor traurige Erkenntnisse handelt. Auf seinen vielen Stationen lernt Steinbeck, dass durch die Industrialisierung und dem damit einhergehenden Prozess der Zivilisation vieles von der Vielfältigkeit des Landes verschwunden ist. Alles ist standardisiert. Nicht nur die zu kaufenden Produkte und die angewendeten Verfahren. Bis hin zur Sprache sind bis auf wenige Ausnahmen die lokalen Besonderheiten verschwunden.
In Salinas, Kalifornien, der Heimat seiner Kindheit, nahe San Francisco und Monterrey, wo seine zur Weltliteratur avancierten Werke wie Tortilla Flat und Die Straße der Ölsardinen spielen, stellt Steinbeck fest, dass die neue Realität mit den in seinem Kopf abgespeichert Erinnerungen kollidieren. Nichts ist mehr so, wie es war. In einer Bar, in dem er noch alte Bekannte trifft und wo man ihn wegen der gemeinsamen Zeiten bittet, doch zurückzukehren, kommt es zu einem dialogischen Showdown, in dem Steinbeck den in den USA zu Mythos gewordenen Titel von Thomas Wolfes autobiographischen Roman mehrmals zitiert: You can ´t go home again! Eine bittere Erkenntnis, auch für Steinbeck. Sie ist die Bruchstelle auf der Reise. Von nun an merkt die Leserschaft, dass er die Lust verloren hat und alles hinter sich bringen will.
In Texas trifft er, nach Chicago zum zweiten Mal, seine Frau. Die Studie über das texanische Establishment, die Steinbeck liefert, könnte auch aktuell nicht treffender sein. Was ihm auf dem letzten Abschnitt jedoch in Texas wie in Louisiana an Rassismus widerfährt, gibt dem gebildeten Humanisten den Rest. Angewidert, enttäuscht und verzweifelt fährt er die Ostküste entlang in einem Ritt zurück. Obwohl immer wieder rührende, tiefgründige und bemerkenswerte Begegnungen auf dieser Reise zu verzeichnen waren, blieb doch ein bitterer Geschmack. Alles war gleich geworden, er konnte nicht zurück in sein vertrautes Zuhause und er traf auf menschenverachtende Haltungen.
Kommt einem das irgendwie bekannt vor? Ist das eine frühe Blaupause für die Globalisierung, so, wie wir sie kennen? Steinbeck’s Reise mit Charly ist brandaktuell und, das gehört irgendwie zum Fazit, von literarischer Qualität.

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