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Vier Jahrzehnte Wirtschaftsliberalismus: Diebe und Narren wollen fliehen!

In einem Kommentar benutzte jemand die Formulierung, es sei immer noch so: All Along The Watchtower. Ein von Bob Dylan 1967 komponiertes Stück, das durch die spätere Interpretation Jimi Hendrix´ zu Weltruhm kam und bis heute von vielen Radiostationen immer wieder gespielt wird. Der Kommentator bezog sich auf den Text, der eine Situation beschreibt, die eine biblische Aura besitzt und immer wieder auch als eine Beschreibung des Untergangs von Babylon gewertet wurde. Hauptfiguren, und da kommt Shakespeare ins Spiel, sind ein Narr und ein Dieb, die an der Verwahrlosung der Sitten und der Umkehrung aller Werte verzweifeln. Keine Beschreibung ist in der Lage, das Original in seiner literarischen Güte zu überbieten. 

Der Bezug auf All Along The Watchtower, das das Universalthema des Untergangs einer Gesellschaft einfängt, ist die Beschreibung dessen gewesen, was heute in vielen Teilen der Welt und der Gesellschaft zu erleben ist. Ob ein Wort wie die Zeitenwende das einfängt, ist fraglich, weil es gleich eine neue Epoche suggeriert, bevor die alte die Zeit hatte, zur Neige zu gehen. 

Im Original beklagen sich Dieb wie Narr über die Gier der Kaufleute, den Landraub der Besitzenden und die Libertinage der Eliten. Sie suchen nach einem Fluchtweg und wollen diese Welt, die nicht mehr die ihre ist, hinter sich lassen. Transponiert man die beschriebenen gesellschaftlichen Zustände auf die Jetzt-Zeit, so muss nicht viel interpretiert werden, um die Umgangsformen und Gewohnheiten von Gesellschaften wieder zu erkennen, die nahezu vier Jahrzehnte des ungebändigten, schamlosen Wirtschaftsliberalismus hinter sich haben und eine Bilanz aufweisen, wie Babylon vor dem legendären Untergang. 

Das Gemeinwohl ist als gesellschaftlicher Konsens nur noch rudimentär vorhanden. Das Vokabular einer politischen Ethik wird benutzt, um Raub und Betrug zu legitimieren, die Kluft zwischen Pauper und Prinz hat einzigartige historische Dimensionen angenommen, die Delinquenten haben kein Auskommen mehr, den Spaßmachern fehlt das Sujet und nur die bodenlose Libertinage sinnentleerter Eliten findet noch ein üppiges Auskommen. Scham empfindet niemand mehr und die gesellschaftlichen Outlaws, die früher in den Nischen hausten und existieren konnten, denken an Flucht.

Insofern hat der Kommentator mit dem Verweis auf All Along The Watchtower mehr als Recht. Wenn es eine musikalische Beschreibung der Situation gibt, in die vier Jahrzehnte Wirtschaftsliberalismus den gelobten freien Westen gebracht haben, dann muss man nicht nach Bayreuth fahren, um im dekadenten Elitenpfuhl nach Spuren altdeutscher Dekadenz zu suchen, sondern es reicht, sich Bob Dylans Text in der Version von Jimi Hendrix anzuhören, um gut informiert und à jour zu sein.

In einem Punkt muss ich dem Kommentator, den ich wegen des treffenden Verweises ausdrücklich loben will, dennoch widersprechen. Er schrieb davon, dass er es nicht für möglich gehalten hätte, dass die in dem Song beschriebenen Zustände einmal so aktuell sein könnten. Ich erachte es vielmehr als folgerichtig, dass eine Entwicklung dorthin führt, wenn Charakter, Courage und Haltung exklusiv durch den Zins ersetzt werden.