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Basic Instinct?

Ich habe mir die Rede von J.D. Vance zweimal im Original angehört. Und, im Vergleich zu dem, was ich in der hiesigen Presse und in Kommentaren lesen konnte, war da nichts von dem, was ich als eine unzulässige Einmischung oder Parteinahme hätte erkennen können. Die Quintessenz dessen, was er dort in München, auf einer Sicherheitskonferenz, auf der man gerne über Krieg und Rüstung spricht, war: Vertraut in die Weisheit des Souveräns. Wenn ihr das macht, braucht ihr nichts zu fürchten, weil ihr die Legitimation eurer Auftraggeber habt. Und kümmert euch um eure Belange. Wem das zu viel war, der verriet mehr über sich selbst als über die Ungeheuerlichkeit eines amerikanischen Konservativen, der an das elementare Grundprinzip der Demokratie erinnerte. 

Vance vergaß freilich nicht, an das furchtbare Arsenal an Begriffen und Worten zu erinnern, die mittlerweile zum Alltag gehören. Wie Desinformation, Fake News, Hass und Hetze. Das sind Begriffe aus autokratischen Gefilden, mit denen viele Regierungen in Europa ihr Tagesgeschäft begleiten. Und nähmen sie es ernst, warum laufen die größten Hetzer noch frei herum? Diejenigen, die jetzt, wo es um einen Frieden geht, von einem europäischen militärischen Alleingang reden? Die auf den Zahllisten von Rüstungskonzernen stehen, in Parlamenten sitzen und großen medialen Raum genießen? Ihr Geschäft ist die Desinformation, sind Fake News und die Verbreitung von Hass und Hetze? Wo sind die Staatsanwaltschaften, die ermitteln? Die mit ihrem bellizistisch durchtränkten Geschwafel den ganzen Kontinent in den Untergang zu treiben bereit sind? Und, das nur am Rande, sich längst von Grundprinzipien des Grundgesetzes verabschiedet haben? Ein Hinweis darauf als Ungehörigkeit und Unzulässigkeit zu bezeichnen, dokumentiert, mit wem wir es da zu tun haben.

Die amerikanische Administration hat übrigens begründet, warum sie ohne europäische Regierungen Verhandlungen mit Russland führen will. Weil sie die Minsker Vereinbarungen, die sie selbst getroffen haben, einfach nicht umgesetzt haben. Weil sie zugelassen haben, dass die Lage in diesem Ausmaß eskaliert. Aber, wir wissen es ja, das wären wieder Desinformation und Fake News, wenn das einer verbreitete.

Der deutsche Bundeskanzler hat sich im Anschluss an die Rede des J.D. Vance eine derartige Einmischung expressis verbis verbeten und sich damit, so kurz vor der Wahl, noch einmal selbst als Attrappen-Kanzler enttarnt. Als Joe Biden, der spiritus rector des ukrainischen Untergangs, im Beisein dieses Kanzlers die Zerstörung der Nord Stream Pipeline, deutscher kritischer Infrastruktur, ankündigte, stand er noch daneben und lächelte. Da wäre die Empörung angebrachter gewesen. Und der Kandidat der Union war nun in München von der Einlassung des Amerikaners so getroffen, dass es ihm die Sprache verschlug und er danach in das blamable Geheule mit einfiel. Sollte es mit ihm weitergehen, so wissen die Wählerinnen und Wähler jetzt auch, wird der freie Fall anhalten.

Die Verbreiter von Desinformation und Fake News, die uns täglich mit Hass und Hetze überziehen, sitzen bei den Grünen, bei der SPD, in der CDU und der FDP. Mit Frieden haben sie nichts am Hut. Und mit Demokratie schon gar nichts. Nie wieder? Wir sind mehr? So, wie es scheint, hat die mediale Propaganda einem Großteil der Bevölkerung, um einen Filmklassiker zu zitieren, das Hirn frittiert. Von Basic Instinct, zu spüren, was richtig und falsch ist, ist im Moment nicht viel zu beobachten. Warten wir ab, ob das ganze Theater nicht doch bei den Wahlen seinen Ausdruck findet.  

Der tränenreiche Aufstieg eines Hillbillys

J.D. Vance, Hillbilly-Elegie: Die Geschichte meiner Familie und eine Gesellschaft in der Krise

Besser geht es nicht. Wenn man demonstrieren will, dass mit einer real existierenden Gesellschaft und ihrem Selbstverständnis etwas nicht zusammenpasst. Aber der Reihe nach. Spätestens nachdem J.D. Vance zum Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten nominiert wurde, steht er aufgrund seiner politischen Aussagen im Kreuzfeuer der bundesrepublikanischen Kritik. Man muss dazu sagen, dass sich die breite deutsche Öffentlichkeit im amerikanischen Wahlkampf seit langem zur Partei erklärt hat. Ob das klug, ist, wenn man sich das einseitige Abhängigkeitsverhältnis gegenüber den USA ansieht, steht auf einem anderen Blatt.

Nun, der heute vierzigjährige J.D. Vance, seinerseits Jurist und Senator, wurde vor bereits acht Jahren durch die Publikation eines Buches bekannt, in dem er seinen Lebensweg und die großen Probleme seiner Klasse beschrieb. Unter dem Titel „Hillbilly-Elegie: Die Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft in der Krise“ beschrieb er den leidvollen Weg eines Menschen, der im proletarischen Milieu in Kentucky aufgewachsen ist und mit allem konfrontiert war, was einer gedeihlichen Entwicklung im bürgerlichen Sinne entgegensteht: zerrüttete Familienverhältnisse, Drogensucht der Mutter, ständig wechselnde Partner derselben, chronische Geldsorgen, kein Herauskommen aus der eigenen sozialen Blase. Die so genannten Hillbilly’s, ethnische Ulster-Schotten, die längs der Appalachen gesiedelt hatten, gehören zu jenem Segment der amerikanischen Arbeiterklasse, das mit dem wirtschaftlichen und technologischen Wandel in den letzten sechzig Jahren abgewickelt wurde. Unterstützt wurden die Verlierer von keiner politischen Partei. Was blieb, ist Zerrüttung, Hoffnungslosigkeit und eine große Portion Gewalt, nach innen wie nach außen.

Wären da nicht Instanzen gewesen, die ganz konkret dem Individuum J.D. Vance bei großen Gewittern die Stufen zum Aufstieg gehalten hätten: eine liebende Großmutter, die Ausbildung zum Marine beim Militär, Studienkollegen und der eine oder andere Professor. Das alles ist nach Vance nur scheinbar reiner Zufall, sondern auch das Werk der eigenen Zielsetzung, die sich aus der mit jedem Schritt erhärtenden Erkenntnis gebildet hat, dass das eigene Zutun, die eigene Disziplinierung und die eigene Leistung die Voraussetzung für die sich anbietenden reichenden Hände ist.

Es ist entwaffnend, wie offen und ehrlich der Autor über die Verhältnisse, aus denen er stammt wie über die eigenen Schwächen schreibt. Wer einen Einblick in die strukturellen Probleme der amerikanischen Gesellschaft bekommen möchte, dem sei diese Lektüre unbedingt empfohlen. Die Rede ist von einer numerisch nicht zu unterschätzenden Gesellschaftsschicht, die von ihrer eigenen politischen Vertretung, den Demokraten, nicht mehr wahrgenommen wurde und die sich aus ihrer Wut und ihrem Frust bei der letzten Wahl einem Donald Trump zugewandt haben, während sie von einer Hillary Clinton noch verspottet wurden.

Vieles, was J.D. Vance in diesem 2016 erschienen Buch über die Hillbilly’s schreibt, kommt einem bekannt vor. Die Phänomene sind auch in unserer Gesellschaft präsent: auch hier gibt es Verlierer und auch hier werden sie zum Teil von ihrer eigenen tradierten politischen Vertretung verspottet und verachtet. Und auch hier wenden sie sich Alternativen zu, die mit Sicherheit ihre Belange nicht verbessern werden.

Um auf die Eingangsbemerkung zurückzukommen: Seit der Bekanntgabe der Nominierung von J.D. Vance steht dieses Buch bei den politisch gut Situierten hierzulande auf dem Index. Dabei ist eine solche Dokumentation als ein Geschenk an die politische Klasse insgesamt aufzufassen. Dagegen wird sogar davon gesprochen, dass der Ullstein Verlag das Buch aus dem Programm nehmen will. So frei ist der Weg zum Totalitarismus. Wer die amerikanische Politik besser verstehen will, lese dieses Buch. Wie er oder sie den Autor als heutige politische Figur bewerten möchte, hat damit nichts zu tun. Nur für Sektierer ist das höhere Mathematik.