Herfried Münkler. Welt in Aufruhr. Die Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert
Wie sehr habe ich seine Ausführungen über das Wesen asymmetrischer Kriege geschätzt, wie Horizont erweiternd waren seine Erläuterungen über heroische und post-heroische Gesellschaften und wie brillant war seine Analyse über den Dreißigjährigen Krieg und die westfälische Ordnung, mit der bei den Friedensverhandlungen zu Osnabrück und Münster der Grundstein für die moderne Diplomatie gelegt wurde. Dass nun, in einer Phase großer globaler Umbrüche, ein Mann wie er sich zu Wort meldet, ist zunächst eine freudige Begrüßung wert. Herfried Münkler hat einen mächtigen Band mit dem Titel „Welt in Aufruhr. Die Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert“ auf den Markt gebracht und trifft damit natürlich den Nerv der Zeit.
Im einleitenden Kapitel steckt er die Claims ab, in denen er sich bewegt. Die Weltordnung, so wie wir sie kennen, mit einer nahezu monopolistischen Dominanz der USA, geht zur Neige. Was seinen politischen Standpunkt anbelangt, so macht er in allen Kapiteln klar, dass seine Sichtweise die des Westens, d.h. der USA und teilweise Europas ist. Das ist legitim, aber indem er allen anderen Mächten, die an den Tisch der globalen Entscheidungen drängen, düstere Absichten unterstellt, verlässt er den Standpunkt des Wissenschaftlers und offeriert sich als Berater der Politik bei der Durchsetzung ihrer Interessen.
Nicht, dass das alles platt wäre. Da flaniert ein hochgebildeter Mann durch die Gärten der Spieltheorie, da gibt es Rekurse auf politische Theorien, die allerdings geprägt sind von der jeweiligen Weltherrschaft maritimer Imperien, erst die Großbritanniens und dann die der USA und quasi subkutan werden der Leserschaft Weisheiten vermittelt, dass maritime Mächte den Geist der liberalen Demokratie in sich tragen und jede Form einer kontinental geprägten Theorie revisionistischen und imperialistischen Charakter hat. So ist es konsistent, dass jedes Vergehen gegen den bürgerlichen Begriff der Menschenrechte den globalen Konkurrenten als Wesenszug ins Schuldbuch eingetragen werden, während die mit nichts zu vergleichende Blutspur der liberal-demokratisch-amerikanischen Weltherrschaft als lässliches Kavaliersdelikt schnell aus dem Fokus verschwindet.
Nur einmal, in einem kurzen Exkurs über die jeweiligen Narrative der globalen Konkurrenten, referiert er wahrheitsgetreu über das Dogma der USA, dass die militärische Macht wichtiger als die ökonomische Potenz ist und dass folglich die ständige, immer wiederkehrende Kriegsführung erforderlich ist, um die Tüchtigkeit zu wahren, die zur Dominanz erforderlich ist. Aber schon kurz danach sind wir bei keinen geringeren als Thukydides, Machiavelli und Clausewitz und einer finalen Spekulation über das Gesicht globaler Machtkonstellation. Wahrscheinlich, so Münkler, wird es eine Pentarchie, bestehend aus den USA, China, Russland, Indien und Europa, wobei auch das nicht mit Sicherheit gesagt werden kann, denn Europa, Russland und auch Indien sind unsichere Kandidaten und können jeweils zurückfallen in die zweite Reihe. Diese Erkenntnis kann man auch kürzer fassen und sie überrascht beim besten Willen nicht.
Mich hat das Buch sehr enttäuscht, weil es mir mehr als ein hoch elaboriertes Bewerbungsschreiben für die derzeit aktive westliche Politik erschienen ist als eine wissenschaftliche Analyse der tatsächlichen Triebkräfte und Motive der einzelnen Akteure. Ich empfehle die Lektüre trotzdem, weil sie zeigt, was mit Menschen und ihren Fähigkeiten geschehen kann, in Zeiten wie diesen. In denen der Druck wächst und die Drohung, im Abseits der Aufmerksamkeit zu landen, wenn man sich den Plattitüden der gerade geltenden Herrschaftsdoktrin widersetzt, zu Handlungen motiviert, die man besser ließe.
