Schlagwort-Archive: HARTZ-IV

Vom Bürgergeld und der unsichtbaren Hand des Marktes

Hartz IV war der Versuch, die Verantwortung für eine längere Arbeitslosigkeit von den Marktmechanismen abzukoppeln und die Verantwortung für einen solchen Zustand exklusiv mit der Motivationslage des betroffenen Individuums zu begründen. Das verursachte irreparable Schäden im Bewusstsein vieler, die davon betroffen waren. Sie hatten ihre Arbeitskraft, die qualifiziert und entsprechend bezahlt war, Jahrzehnte zu Markte getragen und wenn die Firma Pleite ging oder sich in ein Land mit billigeren Arbeitskräften oder niedrigeren Steuern davonmachte, dauerte es nicht lange, und aus dem am Lohn orientierten Arbeitslosengeld wurde eine so genannte Mindestsicherung, die aus einem einstmals selbstbewussten Individuum einen Almosenempfänger machte. 

Nicht die einzelnen Restriktionen, nicht die durchaus vernünftige Überlegung, dass Arbeit vor Alimentierung gehe, nein, die Demütigung der qualifiziertesten Teile des noch existierenden Proletariats war die politische Sünde, die sich hinter dem grausamen Kürzel Hartz IV verbarg. Der Preis für die Sozialdemokratie war genauso hoch wie die Schäden der Demütigung. Aus dem Kapitel einer Reform des kapitalistischen Arbeitsmarktes wurde ein einziges Debakel für Partei wie Klientel. Es profitierten die Repräsentanten des vermeintlich alles regelnden freien Marktes.

Vielleicht ist es der noch leise klingende, aber bereits vernehmliche Ton aus verschiedenen Richtungen, der dazu führt, dass daraus ein Kampfgesang gegen die ausklingende Epoche des Wirtschaftsliberalismus entstehen kann. Aus dem Lager der SPD ist zu vernehmen, sich von „dem Regime Hartz IV“ verabschieden zu wollen, die LINKE ist seit langem dieser Auffassung und die GRÜNEN sprechen nun von einem Bürgergeld, dass die Funktion eines Ausgleichs für das zuweilen desaströse Wirken des Marktes für die schaffen soll, deren Chancen auf dem globalen Arbeitsmarkt gegen Null gehen. 

Für die gesamte politische Konstellation in der Republik ist es wichtig, diesen Punkt nicht zu unterschätzen. Das, was sozial längst vonstatten gegangen ist, die unglaublich krasse Spaltung der Gesellschaft, kann zu einer politischen Koalition führen, die es in sich hat. Wenn es gelingt, die sozial Diskriminierten und die politischen Kritiker an dem finanzspekulativen Ausschlachten des Planeten in eine Koalition zu bekommen, dann entsteht eine neue Qualität, vor der sich viele fürchten werden. Jetzt ist es wichtig, gut und genau zuzuhören. Wer äußert sich wie zu der Idee von einem bedingungslosen Bürgergeld? Wer in diesem Kontext von einer äußerst teueren Angelegenheit spricht, ignoriert die gesellschaftlichen Verwerfungen, die der bereits erreichte Zustand der Spaltung die Gesellschaft kostet. 

Schneller als viele gedacht haben, kann sich alles wieder um die Frage drehen, ob es möglich ist, ein System, das dem infernalischen Zirkel von Raubbau, Wertschöpfung, Wachstum und Vernichtung folgt, tatsächlich reformiert werden kann. Eine von diesem Zirkel, zu dem der globale Arbeitsmarkt mittlerweile gehört, abgekoppelte Zahlung durch den in den Zirkel eingreifenden Staat ist zwar keine Revolution, aber es ist die Rückmeldung an das beschriebene Wirtschaftssystem, verstanden zu haben, dass ihm destruktive Kräfte innewohnen, die die Gesellschaft nicht mehr bereit ist hinzunehmen. Insofern wäre ein Bürgergeld ein erstes, markantes Zeichen dafür, dass die unselige Epoche des Wirtschaftsliberalismus eben doch nur eine Epoche ist und nicht das erhoffte Ende der Geschichte. 

Es kann jetzt alles sehr schnell gehen. Und es besteht die Möglichkeit, den unsäglichen Gesängen von der unsichtbaren Hand des Marktes ein Ende zu bereiten.  

Der revolutionäre Charakter des Almosens

Die Art und Weise, in der ein politisches Konsortium die vermeintliche Nachbesserung der HARTZ IV-Regelsätze verkündete, war enthüllend. Sowohl von Regierungsseite als auch aus dem sozialdemokratischen Kanon wurden die erzielten Verbesserungen mal als eine Aktion der mildtätigen Anteilnahme und mal als ein revolutionärer Akt der Chancengleichheit gepriesen. Mit dem eigentlichen Problem, das sich hinter der massenhaften Alimentierung von Bürgern und deren Familien verbirgt, die keinen Zugang mehr zum Arbeitsmarkt mehr bekommen, hat beides gar nichts zu tun.

Kein Staat der Welt kann die wachsende Verarmung derer, die keine Arbeit finden, mit seinen dirigistischen Mitteln auf Dauer befriedigend lösen. Das Dilemma ist in der Republik seit Jahrzehnten bekannt. Entweder sind die Sätze zu gering und die Staatskassen zu klamm, oder das Leistungsgefüge zwischen denen, die arbeiten und denen, die alimentiert werden, gerät gewaltig in Schieflage. Das Problem liegt jedoch woanders.

Der globalisierte Markt hat ein Konkurrenzsystem geschaffen, das von den qualifizierten bis zu den nicht qualifizierten Arbeitskräften reicht. Es existieren seit Jahren große Kohorten von Berufsgruppen und Ungelernten, die in der freien Konkurrenz der Märkte in den Metropolen nie wieder Arbeit finden werden. Es ist die Aufgabe von Politik, mit diesem Faktum umzugehen. Es muss darüber gesprochen werden, welche Folgen die Erosion von Bildung in diesem Land hinterlassen hat und es ist eine Art Marshallplan erforderlich, der sowohl die Wegmarken einer kollektiven Anhebung von Bildung und Qualifizierung beschreibt als auch aufzeigt, wie die momentan Arbeitslosen durch Arbeit in einen analogen Prozess kommen. Es sind Bündnisse und Initiativen notwendig, die eine solche duale Planung und Realisierung ermöglichen.

Da darf es keine Tabus geben und private wie etatistische Programme können durchaus nebeneinander existieren. Die gegenwärtige, kollektiv von der Politik betriebene Verschleierung der Tatsache, dass eine Vollbeschäftigung durch das Wirtschaftssystem nicht erreicht werden kann, ist nicht nur eine kollektive Lebenslüge, sondern gleichzeitig die Garantie für die beklagten Verhältnisse.

An keinem Beispiel lässt sich besser belegen, inwieweit die gegenwärtigen politischen Muster angewiesen sind auf eine immer größer werdende Abhängigkeit und Unselbständigkeit großer Gruppen der Bevölkerung. Politik speist sich aus der systematisch betriebenen Entmündigung großer Bevölkerungsgruppen, die immer weniger für sich sorgen können.

Nichts ist erregender als die Wahrheit. Dieses geflügelte Wort Egon Erwin Kischs beweist sich wieder als treffend. Die Arbeitslosen brauchen Arbeit und keine Megären, die sich in hysterisch-weinerlichen Tönen gegenseitig vorrechnen, was man mit fünf beziehungsweise acht Euro im Monat machen kann. Das ist Almosenarithmetik. Nicht die Armen sind würdelos, sondern die Zyniker, die sich an ihr delektieren und weder Charakter noch Haltung besitzen, um sich dem wahren Problem zu widmen.