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Der Iwan und der Winter

Die Anstrengungen der EU, mit Russland über die Deeskalation des Ukraine-Konfliktes ins Gespräch zu kommen, haben eine sehr nahe liegende Ursache. Der Winter steht vor der Tür und ohne russisches Gas wird es nicht nur in der Ukraine sehr kalt werden. Selbst bei der Nachbetrachtung um die vergangenen Drosselungen von Gaslieferungen durch Russland an die Ukraine werden wilde Legenden gesponnen, die zur emotionalen Aufladung dienen, aber nicht den Tatsachen entsprechen. Die seinerzeit von Russland zu lediglich 40 Prozent des Weltmarktpreises an die Ukraine gelieferten Gaskontingente wurden von der damaligen Präsidentin, Frau Timoschenko, für den vollen Weltmarktpreis weiter ins Ausland verkauft. Als das aufflog, verabschiedete sich Russland von der Subvention eines befreundeten Nachbarstaates, weil die Unterstützung korrupter Oligarchen dort nicht zu dem Kampf gegen dieselben im eigenen Land gepasst hätte.

Die vereinnahmten Journalisten hierzulande machen daraus die Geschichte, dass der unberechenbare Iwan wie schon immer den Winter bei seinem heimtückischen Kampf gegen die Zivilisation nutzt. Dabei sind Ursache und Wirkung sehr klar und im schlimmsten Falle als völlig normales kaufmännisches Verhalten zu kritisieren. In diesem Kontext ist es geradezu frivol, wie sich die deutsche Kanzlerin in den Verhandlungen mit Russlands Präsidenten aufspielt und Bedingungen stellt, um zu normalen diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zurück kehren zu können. Auch die Rondo-artige Wiederholung des Themas der Krim macht den Wahrheitsgehalt nicht größer: Ein durch keine Wahl legitimiertes Regime der Ukraine kann allen Ernstes nicht als Anwalt des Völkerrechts zitiert werden. Wer zu tief ins Glas der Legendenbildung schaut, den bestraft das Leben.

Vielleicht sollte die Tatsache des bevorstehenden Winters die eine oder andere Figur doch mit der Nase auf die Fährte stoßen, die zu den Ursachen und nicht den Anlässen des Konfliktes führt. Denn es geht von Anfang an um die energetischen Rohstoffe, über die Russland verfügt und auf die man gerne Zugriff hätte. Russland hat zu viel eigenen Willen. Die Brain Trusts in den USA, die ihre schaurige Philosophie des European Heartlands, auf die man Zugriff haben müsse, um das Spektrum der uneingeschränkten Dominanz herstellen zu können, erwägen es, durch Krieg und Bürgerkrieg dem Ziel näher zu kommen. Diese Strategie hat hitlerische Dimensionen, der bekanntlich auf von der ukrainischen Kornkammer und den Ölfeldern um Baku faselte, bis ihm die Völker Russlands im Großen vaterländischen Krieg bei Stalingrad das Licht ausbliesen.

Dass ausgerechnet eine Kaste aus der protestantischen Pastorenopposition in staatlich zentralen Funktionen des Nachfolgestaates des deutschen Reiches an einer Rekonstruktion dieser Expansionspläne beteiligt ist, hat die Qualität, die eine revolutionäre Opposition herausfordert. Die Metamorphose des Weltherrschaftsgedanken hat allerdings derartig abstruse Phasen durchlaufen, dass es auch nicht so einfach ist, ihn zu identifizieren. Denn es ist nicht nur der ostdeutsche Protestantismus, der den Charakter eines deplatzierten Revanchismus angenommen hat. Hinzu kommt die Variante des ökologischen Moralismus, dem seit dem Bombardement Belgrads bei jeder Weltregung, die nicht den Vorstellungen der eigenen Frömmlerethik entspricht, nach einer militärischen Intervention schreit. Das ist schlecht und nicht gut, und ein gutes Ende wird es auch nicht haben. Wenn sich keine Opposition gegen dieses Hasardspiel im eigenen Land bildet, dann kann nur gehofft werden, dass uns ein langer und kalter Winter bevorsteht. Der klärt vielleicht mehr auf über die Kräfteverhältnisse in der Welt als die Berichterstattung über Konferenzen, die der Inszenierung größerer und kleinerer Märchen dienen.

Wie definieren sich Städte?

Jedes Gemeinwesen steht vor der Frage, welchem Umstand es seine Existenz verdankt und wohin es in Zukunft will. Es ist eine nahe liegende, weil existenzielle Frage. Deshalb verwundert es so sehr, dass sie oft weder gestellt wird noch im Bewusstsein der Protagonisten verhaftet ist. Doch die Bürgerschaft ist für diese Frage bei allem sonstigen Desinteresse in hohem Maße zugänglich. Bei aller möglichen Abstinenz bei Kommunalwahlen, diskutiert man diese Frage mit Bürgerinnen und Bürgern, dann wird deutlich, dass so etwas vorherrscht wie ein strategisches Interesse an der eigenen Stadt.

Die wachsende Komplexität moderner Städte macht es zuweilen nicht leicht, die wesentliche Frage nach der Existenzgrundlage zu stellen. Die bestimmenden Faktoren sind jedoch sehr einfach und deutlich zu benennen. Entweder eine Stadt verdankt Existenz und Bedeutung aus der einfachen Tatsache, dass sie das Zentrum der politischen und wirtschaftlichen Macht ist. Dann versteht sich vieles von selbst. Das Geld fließt in die Stadt, in der Stadt werden Entscheidungen getroffen, die weit über die Stadtgrenzen viele betreffen. Meistens korrespondiert dieser Umstand mit einer sehr konzentrierten Ansammlung kultureller Einrichtungen, da sich die Mächtigen so etwas leisten können oder sich durch die Macht schlichtweg von anderen leisten lassen.

Die wesentlich weiter verbreiteten Grundlagen kommunaler Existenz sind allerdings entweder eigene Wertschöpfungsprozesse wie Güterproduktion und Güterverarbeitung oder der Handel mit Gütern und das Anbieten von Dienstleistungen. Die Aktivitäten, die von der Bürgerschaft ausgehen und zu den Mitteln führen, die in einer Kommune zur eigenen Gestaltung verausgabt werden können, führen nicht selten zur Definition der Stadt durch die Bürger. So existieren Stahl- und Automobilstädte, Städte bestimmter Handelsorganisationen, Porzellan- wie Börsen und Marktzentren. Analog funktioniert es mit der Macht, da sind es Herrschersitze oder politische Metropolen. Interessant bei dieser Definition sind die Strategien, die daraus resultieren. Sie fokussieren auf den Erhalt des Status Quo. Eine Orientierung an einer Qualität, was urbanes Selbstverständnis anbetrifft, sind eher selten. Aber es gibt sie.

Ein Phänomen jedoch steht der positiven kommunalen Entwicklung im Wege. So sehr bürgerschaftliches Engagement den Lebensnerv eines Gemeinwesens illustriert, so sehr kann es auch seine Verwahrlosung dokumentieren. Und zwar dann, wenn unter dem Mantel des bürgerschaftlichen Engagements ein eindimensionaler Lobbyismus betrieben und die Weiterentwicklung der Kommune in einem angenommenen Gesamtinteresse blockiert wird. Nicht selten verbergen sich hinter diesen Bewegungen die sozialen Eliten einer Kommune, die Besitzstände sichern wollen und mit der Art und Weise ihres Vorgehens dokumentieren, dass sie kein Interesse an einem Ausgleich mit anderen Bevölkerungsgruppen haben. Wie im vermeintlich Großen, so ist es auch im tatsächlich Elementaren: Dem Sozialverhalten der Eliten ist zu entnehmen, welche Zukunftsprognose das Gemeinwesen ohne gravierende Verwerfungen noch zu erwarten hat.

Die Situation, vor der viele metropolitane Städte stehen, hat etwas Absurdes: Die Eliten kämpfen um ihre partikularen Interessen und verweisen dabei auf die sozialen Ränder einer Stadt, in denen die Arbeitslosen und neuesten Migranten versammelt sind und bezichtigen sie der Ursachen für die wirtschaftlichen wie sozialen Probleme. Ihre Funktion hinsichtlich innovativer Impulse wird ausgeblendet und das Ganze entpuppt sich als Ablenkungsmanöver von den eigenen Sicherungsaktivität. Und verdutzt reiben sich die Teile der Bürgerschaft die Augen, die durch ihr tägliches Dasein direkt den Reichtum und Wohlstand schaffen, auf dem eine Stadt gegründet ist. Da stellt sich die Frage, welches politische Konzept und welche Akteure in der Lage sind, eine an die gute alte Dekadenz erinnernde Situation politisch aufzulösen. Fortsetzung folgt!