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Manchester hin oder her!

Alles hat seine Folgerichtigkeit. Auch das Grauen. Wer vermutet, irgendwo in den letzten Winkeln dieser Welt hätten sich Desparados verschworen, um der westlichen Zivilisation aus einem nicht vollziehbaren Hass den Garaus zu machen, der hat sich seinerseits der Realität entzogen. Der Terror, der nach Europa kommt, hat eine Spur aufgenommen. Und die Spur liegt in Ländern wie dem Irak, in Syrien, in Libyen, im Jemen, im Sudan oder in den Bergen des noch gar nicht als Staat existierenden Kurdistans. Dort, in diesen Regionen, die zu einem großen Teil ihrerseits durchaus das Attribut einer Zivilisation erworben hatten, erschienen schwarze Vögel am Horizont, die ihre Todesladung abwarfen und Dörfer, Städte und Märkte dem Erdboden gleichmachten. Sie töteten genau jene Teile der Bevölkerung, die in der Regel nicht für das politische Agieren ihrer Führer verantwortlich gemacht werden können. Man nennt das Terror. Zumal wenn das Entsenden der großen schwarzen Vögel ohne die Sanktion des Völkerrechts erfolgt.

Nach dem Imperium, das seit Jahrzehnten dem Programm des Regime Change folgt und überall dort, wo die eigenen Interessen gefährdet sind, völkerrechtswidrig gewählte und nicht gewählte Regierungen wegbombt, existieren noch zwei Länder, die beide eine kolonialistische Vergangenheit haben und die immer sehr gerne bei dem Spiel dabei sein wollen. Frankreich und Großbritannien. Letzteres ist immer sehr schnell mit von der Partie. Sobald das Imperium die Absicht ankündigt, es wolle wieder einmal losschlagen, sind die Jets der Royal Air Force bereits in der Luft. In der Begründung gegenüber der eigenen Bevölkerung wird immer an die alten imperialen Gefühle appelliert. Immer populistisch, zumeist erfolgreich. Ob Thatcher oder Blair.

Die jetzige Ministerpräsidentin, Theresa May, ihrerseits aus einem besonders feinen populistischen Stoff gemacht, will nun den Anschlag auf ein Konzert in Manchester dazu nutzen, um diese alterprobte Stimmung wieder hochkochen zu lassen. Der Ausnahmezustand wurde ausgerufen, durch alle Städte marschiert kriegsbereites Militär und die Botschaft ist eindeutig: Großbritannien lässt sich nicht von irgendwelchen Attentätern einschüchtern. Wir stehen zu uns und unserer Kultur. Angesichts des Anschlagcharakters eine Aussage, die spontan auf Zustimmung stößt. Die Beschreibung derartiger Terrorakte als „feige“ und „hinterhältig“ durch das leitende politische Personal mögen ein Hinweis darauf sein, dass sie tatsächlich glauben, dass es Anschläge mit ähnliche Wirkungen geben muss, die weder feige noch hinterhältig sind. Man kann sich vorstellen, welche sie meinen.

Bei dem Entsetzen und der dieses nutzen wollenden Rhetorik fällt auf, dass ein Zusammenhang zwischen der eigenen kriegerischen Politik ohne völkerrechtliches Mandat in den Regionen der Welt, aus denen in der Regel die Attentäter kommen oder zu denen sie enge Beziehungen haben, nicht hergestellt werden soll. Es besteht nicht die Absicht, sich von einer falschen Politik zu verabschieden, die folgerichtig Terror im eigenen Land nach sich zieht. Nein, es geht, und hört man besonders Frau May gut zu, darum, noch wilder und aggressiver in der Welt agieren zu wollen. Dazu soll die Bevölkerung psychologisch vorbereitet werden.

In Frankreich, das ähnlich unter Terroranschlägen auf eigenem Territorium leidet, sieht es ähnlich aus und die Politik in Deutschland verfolgt eine analoge Logik, obwohl Deutschland bis dato nicht wegen besserer Sicherheitsbehörden noch relativ glimpflich davonkam, sondern wegen einer weniger durch direkte Angriffe auf andere Zivilbevölkerungen verfolgten Taktik. Aber wenn die Verteidigungsministerin von mehr Verantwortung redet, weiß man, was sie meint. Manchester hin oder her, die Politik wird nicht geändert. Und das ist die Botschaft. Zynischer geh es nicht.

EU: Bizarre Nummer

Einmal ehrlich: Da treffen sich die Regierungschefs der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und verhandeln bis in die Nächte mit dem britischen Premier, damit der mit sichtbaren Zugeständnissen zurück auf die Insel reisen kann, um den Skeptikern daheim zu demonstrieren, dass sich die Mitgliedschaft auch weiterhin lohnt. Der Apparat der Organisation läuft auf Hochtouren, der dazugehörige Journalismus auch und es ist ein tatsächlicher Ernstfall, wie er immer wieder einmal vorkommt. In Brüssel. Dieser Ernstfall sagt allerdings mehr aus über die Befindlichkeit des Bündnisses und einige seiner Mitglieder als über den Zustand Europas. Letzteres ist und bleibt ein rein geographisches Gebilde mit unterschiedlichen Staaten, die nach wie vor unterschiedliche Interessen haben. Gemeinsame Ideale scheinen eine kurze Episode gewesen zu sein, sie wurden nur so lange bemüht, wie es um einen gemeinsamen Markt ging. Die Dominanz auf diesem Markt schloss sehr schnell Gemeinsamkeiten aus.

In Großbritannien hat sich sehr viel getan in den letzten siebzig Jahren. Von der einstigen Weltmacht, in der nie die Sonne unterging stürzte dieses Land politisch ab zu einem Vorposten US-amerikanischer Interessen und wirtschaftlich zu einer Güterproduktion, die nie über die Manufaktur herausreichte. Als dieses erkannt wurde, schloss man alle Stätten der Wertschöpfung mit brutaler Konsequenz und schickte die historische Arbeiterklasse in Millionenzahl in die verwaltete Untätigkeit. Gleichzeitig wurde London zu einem Eldorado der globalen Finanzspekulation ausgebaut, das wirkt wie eine Raumstation auf einem zunehmen unwirtlicheren Planeten. In diesem Kontext wird Großbritannien keine großartigen wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Schübe mehr zustande bringen und notwendige Alimentationen seitens der EU für eine weitere Privatisierungswelle gerne entgegen nehmen wollen.

Das, was seitens der nocturnen EU-Verhandler als sich sehen lassender Erfolg gefeiert wird, steht wahrscheinlich monetär in keinem Verhältnis zu dem betriebenen Aufwand. Allein das Beispiel, dass EU-Bürger, die in Großbritannien leben, in Zukunft vier Jahre auf Sozialleistungen warten müssen, ist mit einem Rechtsbegriff, der auf Gleichheit beruht, nicht vereinbar. Wie viele davon betroffen sind und was das unter dem Strich an britischen Staatsrevenuen ausmacht, ist abzuwarten. Ähnlich die ebenso gefeierte Regelung, dass das Kindergeld, das EU-Bürger in Großbritannien erhalten sollen, sich an den Maßstäben ihres Heimatlandes bemessen soll. Zudem handelt es sich um eine rein symbolische Handlung.

Wenn die symbolische Handlung allerdings darin besteht, es Großbritannien schmackhaft zu machen, in der EU zu bleiben, wenn man ihm erlaubt, Bürgerinnen und Bürger aus anderen EU-Ländern schlechter zu behandeln als die eigenen, dann ist das Signal fatal. Der pädagogische Inhalt dieser schlechthin als bizarre Nummer zu bezeichnenden Aktion ist die Erkenntnis, dass die EU ein Laden ist, in dem unterschiedliche Leistungen an unterschiedliche Kunden zu unterschiedlichen Preisen abgegeben werden. Das ist so töricht, das es weh tut und eignet sich eigentlich nur noch als Symptom für die gar nicht mehr so überraschende Diagnose, dass es um diese Organisation wie viele ihrer Mitglieder nicht gut bestellt ist.

Manchmal, wenn die Nebel sich gesenkt haben und sich jeder wiederfindet in einer milchigen Ungewissheit, kann der Entwurf des Einfachen wieder Orientierung geben: Ein Zusammenschluss verschiedener Individuen wie Staaten hat zum Zweck, gemeinsame Interessen wirkungsvoller zu verfolgen. Sollte dieses nicht mehr der Fall sein, können entweder die Mitglieder ihre Mitgliedschaft aufkündigen oder, sollten alle der Meinung sein, dann können sie das Bündnis auflösen. Bestehen solche Organisationen fort, ohne dass eine Gemeinsamkeit noch sichtbar wäre, vielleicht nur weil eine Art von Eigendynamik ganz andere, jeweils individuelle Vorteile vermittelt, dann bahnt sich etwas an, ziemlich häßlich enden kann.

Der Dschihad aus dem deutschen Kriegsministerium

Steffen Kopetzky. Risiko

Mit dem I. Weltkrieg wurde deutlich, dass die Machtverhältnisse auf dem Erdball in der bestehenden Weise nicht mehr unverändert würden fortbestehen können. Der Unterschied zwischen Heute und Damals bestand wohl vor allem darin, dass zu Beginn des XX. Jahrhunderts offen über die Interessen gesprochen wurde, um die es ging. Nämlich um den Zugriff auf Rohstoffe und die Beherrschung der globalen Infrastruktur. Heute steht der Artikulation von Interessen eher eine moralisch gefärbte, auch idealistische Betrachtungsweise entgegen, ohne dass die Gier nach dem Wesentlichen gestillt wäre. Am Vorabend des I. Weltkrieges jedoch stand vor allem Deutschland bereit, sich in das Konsortium der imperialen Weltmächte einzuordnen und dem britischen Löwen gehörig seine Schranken zu zeigen.

Vor diesem Szenario entfaltet Steffen Kopetzky seinen Roman „Risiko“. Akteur ist zunächst die Besatzung der Fregatte BRESLAU, die im Mittelmeer vor der albanischen Küste einen eher als begrenzt um bezeichnenden Einsatz fährt und von der kleineren Räubergeschichte durch den Ausbruch des I. Weltkrieges überrascht wird. Geschickt webt Kopetzky ein Netz über mehrere Handlungsebenen, die ein sehr gutes, präzises, und in vielerlei Hinsicht auch historisch verbürgtes Bild ergeben über die Wirkungszusammenhänge im Kriegsvorfeld wie die ersten Operationen, die diesem Ereignis zugerechnet werden können. Der Erzähler versteht es vor allem, die eher profanen, aber handlungstragenden Figuren, die einen solchen Krieg ausmachen mit bekannten Namen zu verbinden. Da tauchen Namen wie Dönitz oder Camus auf, allerdings jenseits ihre späteren Bekanntheitsgrades, sondern in ihrer tatsächlichen Funktion während des Ereignisses.

Ohne die Handlung bemühen zu müssen, ist es gestattet, eines der deutschen Strategeme auszuplaudern. Sich der maritimen Übermacht des Britischen Empire bewusst, hatten die deutschen Strategen aus dem Kriegsministerium eine Idee entwickelt, unter der bis heute alle ihre Epigonen bereits gelitten haben. Es sollte versucht werden, vor allem von Afghanistan, also im Rücken des englischen Kolonialkoloss Indien, einen Dschihad auszurufen, der die ganze islamische Welt erfassen und den englischen Kolonialherren das Leben unmöglich machen sollte. Um dieses zu realisieren, wurde eine Expedition ins Leben gerufen, die sich von Konstantinopel aus über Bagdad und Isfahan auf dem Landweg nach Afghanistan bewegen sollte. Der Großteil des Romans schildert diesen Weg.

Mit der sehr interessanten politischen Konstellation und den durchaus realistischen Einblicken in die Spiele der damaligen Diplomatie kollidiert in diesem nie langweiligen Roman, der immer mit sehr durch die Erfahrungen eines Erzählers geprägt ist, der weiß, worüber er berichtet, mit einem Szenario, das sehr an Karl May erinnert. So wird der berühmte Autor, konkret in der Erzählung mit seiner Schrift „Von Bagdad nach Stambul“ nicht nur erwähnt, sondern irgendwann, zunächst kaum merklich, übernimmt der viele Generationen geprägt habende Erzähler selbst die Regie und aus einem Narrativ, das zunächst schien wie eine epische Re-Inszenierung des I. Weltkrieges mit dem Schwerpunkt auf dem durch die Deutschen ersonnenen Dschihads, wird langsam aber sicher eine Abenteuergeschichte aus dem Morgenland, in der vieles zwischen Realität und Träum verschwimmt.

Auch diesen Wandel in dem Romankonstrukt kann die vereinigte Leserschaft hinnehmen, wenn sie nicht der Illusion anhaftet, dass ein Roman bei den Fakten bleiben muss und nicht ins Spekulative abgleiten darf. Kopetzky schert sich darum nicht, ganz im Gegenteil, er setzt letztendlich auf die Hypothese, was hätte geschehen können, wenn der deutsche Dschihad erfolgreich gewesen wäre. Auch diese Frage ist durchaus berechtigt. Es ist ein lesenswerter, gut erzählter und geistreicher Roman. Aber es ist ein Roman.