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Von Quantitäten und Prioritäten

Den Chinesen wird das Sprichwort zugeschrieben, keine Zeit zu haben bedeute, sich für etwas anderes zu entscheiden. Viele Wahrheiten sind einfach. Und vieles, was das Aroma chinesischer Philosophie verströmt, besticht durch Schlichtheit wie Tiefsinn. Eines weisen diese chinesischen Apercus alle auf: sie sind durchdrungen von einem universellen Geist, d.h. sie gelten für menschliches Erkennen und Handeln per se und sind nicht an eine bestimmte Epoche gebunden. Und sie atmen den Geist der Dialektik. Die Chinesen hatten das bereits in ihrer Denkweise, bevor es Staatsphilosophen wie den Deutschen Hegel gab. Denken Sie bei der nächsten Gelegenheit einmal über obige Weisheit nach. Dann, wenn ein Termin nicht stattfindet. Und Sie werden sehen, dass es andere Prioritäten zu geben scheint.

Das Kluge an der Dialektik ist die Möglichkeit der Transformation. Und das Schöne ist, dass die Probe aufs Exempel sofort stattfinden kann und es keiner Kapriolen bedarf, um auf die konkrete Ebene zu kommen. Ändern wird die Aussage über die Zeit und sagen: Kein Geld zu haben bedeutet, es für etwas anderes auszugeben. Selbstverständlich setzt diese Aussage voraus, dass man über Geld verfügt. Ist das der Fall, dann trifft sie jedoch zu. Und, um konkret und auch noch unverschämt politisch zu werden, wenden wir diese Erkenntnis auf den konkreten Bundeshaushalt.

Der Bundeshaushalt kratzt in seiner Dimension an der Grenze zu einer halben Billion. Man kann also davon sprechen, das Geld zur Genüge vorhanden ist, um die Geschäfte zu führen, die ein Staat zu erledigen hat. Dass ausgerechnet der Finanzminister momentan der ist, der bei vielen Projekten und Ressorts davon spricht, nicht über die notwendigen Mittel zu verfügen, ruft quasi mit lauter Stimme nach dem modifizierten Sprichwort. Kein Geld zu haben bedeutet, es für etwas anderes zu verausgaben.

Die Aufgabe, sich anzusehen, wofür es Geld gibt und wofür nicht, ist deshalb spannend, weil schwarz auf weiß zu sehen ist, wo die Prioritäten liegen und wo nicht. Vieles, und das sei eingestanden, ist immer leichter gesagt als getan und wir leben, auch das ist eine bittere Wahrheit, in einer so genannten Add-on-Gesellschaft. Dort, wohin öffentliche Gelder fließen, ob es Sinn macht, oder nicht, kann man ohne gewaltige Aufwallungen und großes Getöse die Finanzierung nicht stoppen. Stattdessen kommen immer mehr und neue Begehren nach öffentlicher Förderung auf. Und dennoch: Die Kontur ist klar und deutlich zu sehen!

Der militärische und geopolitische Aspekt mit dem bestehenden Bündnis verschlingt große Summen. Bestimmte Subventionen will man streichen, aber ein Gros von Subventionen, die die Gesellschaft weder weiterbringen noch transformieren, sollen weiter fließen. Und die Sektoren, die ein Land nach vorne bringen können, wie Bildung, Infrastruktur und Gesundheit, erhalten die Botschaft, dass Einschränkungen und Sparen das Gebot der Stunde seien.

Nun kann man sagen, und die Profiteure von militärischen Aktionen zur Sicherung der globalen Dominanz werden das tun, dass ohne diese immer noch koloniale Dominanz es vorbei sei mit dem schönen Schein. Für eine Gesellschaft, die durch Recht, Inspiration, Erneuerung, Prosperität und Bewegung Attraktivität gewinnen will, ist das nicht nur zu wenig, sondern gar nichts. Und wer sich in Bezug auf die geopolitische Formation gewaltig verspekuliert hat, sollte die Rechnung nicht denen präsentieren wollen, ohne die nichts mehr laufen würde. Geld ist da, die Prioritäten sind falsch.   

Strategie ist kein Zurück!

Was derweilen beim Monieren über eine fehlende Strategie in der Pandemie-Bekämpfung tatsächlich in Vergessenheit gerät, ist die Strategie. Was sich paradox anhört, ist gar nicht so abwegig. Denn das, was als Strategie gefordert wird, ist ein Plan, wie das Land zu der gekannten Normalität zurückfindet. Das ist eine Illusion, denn ein Zurück wird es nicht geben. Eine Strategie, die den Namen verdiente, müsste anders aussehen.

Holen wir aus: Befragte man Menschen in anderen Winkeln der Welt, was sie als die Assets  bezeichnen würden, die dieses Land auszeichnen, kämen sehr schnell die Industrie, die Wissenschaft und die Kultur zur Sprache, vielleicht auch noch der Sport, in gewissen Segmenten. Beim Management der gegenwärtigen Pandemie, von der auszugehen ist, dass sie uns noch lange begleiten wird, muss festgestellt werden, dass selbst diese gesellschaftlichen Ressorts gelitten haben. Die Schlüsselindustrien haben zum Teil den Anschluss an die technologische Entwicklung verloren, die Wissenschaften leiden unter Investitionsmangel und die Kultur wurde im aktuellen Krisenmanagement für tot erklärt. Der Umgang mit diesen Stärken wirkt, bei Tage betrachtet, als nahezu suizidal.

Potenziale, die schlummern, jedoch nicht in dem Maße genutzt werden, wie das möglich wäre, sind die Bereiche Gesundheit, Bildung und Energie. Das Gesundheitswesen wurde durch die Regieübernahme durch exklusives betriebswirtschaftliches Denken so ramponiert, dass die Schäden der Krise irreparabel wirken, im Bereich der vor allem schulischen Bildung tritt man seit Jahren auf der Stelle und ein Konzept zu einer anderen Energiepolitik ist stecken geblieben. Auch dort, im Bereich der vorhandenen Potenziale, sind erhebliche Investitionen erforderlich

Stattdessen wurde das, was in der plakativen Sprache der Portfolio-Analyse als sterbende Hunde bezeichnet wird, mit erheblichen Summen subventioniert. Ob die Investitionen in Unternehmen wie TUI, ein Markenname für Massentourismus oder die Lufthansa, die von der Vielfliegerei lebte – das sind staatliche Gelder, die sowohl bei der Auffrischung der tatsächlichen Assets fehlen als auch bei den ungehobenen Potenzialen.

Investitionen in eine neue Zukunft müssen sich auf neue Formen der Ökonomie im Bereich der Schlüsselindustrien genauso beziehen wie auf die Vitalisierung der Wissenschaften und neue Formen der kulturellen Interaktion. Es hieße, innovativen Industrieinitiativen das erforderliche Kapital zu beschaffen, die Finanzierung der Hochschulen auf neue Beine zu stellen und sie nicht als Auftragsinstitute der Privatwirtschaft verkommen zu lassen sowie unter den gegebenen Bedingungen Museen, Theater und Konzerte über neue Vermittlungsformen wieder der Gesellschaft zugänglich machen zu können und damit den gesellschaftlichen Diskurs zu befruchten.

Bei der Forderung nach Strategie kann man sich nicht darauf beschränken, Pläne dafür zu erarbeiten, dass alles sukzessive wieder so wird, wie es einmal war, sondern sich darüber Gedanken zu machen, wie sich das entwickeln muss, was ein Land ausmacht und wo tatsächlich auch Potenziale vorhanden sind. 

Dieser Horizont ist in der Konfrontation mit der gegenwärtigen Krise ausgeblendet. Allerdings bietet er die einzige Chance, eine Perspektive zu entwickeln, die den Begriff Zukunft auch verdient. Die Slogans, die gegenwärtig an der medialen Börse gehandelt werden, wie „The Great Reset“ oder „Built Back Better“ sind Gepäckstücke, die trotz aller Politur den ganzen alten Plunder beinhalten, den niemand mehr braucht, wenn es um die Gestaltung eines neuen gesellschaftlichen Lebens geht. Das beinhaltet zudem, wenn die Ziele formuliert sind, auch noch eine kritische Revision der bestehenden Strukturen, vom Kampf zwischen Zentralismus und Föderation bis hin zu einer Bürokratie, die bereits im Jetzt als großes Hemmnis entlarvt ist. 

Wenn von Strategie gesprochen wird, kann das Klein-Klein der täglichen Routine nicht gemeint sein. Auch wenn das einige so tun.  

Ein aberwitziges Synonym

Es ist seltsam. Immer wieder kursieren dieselben Zeilen in den Nachrichten. Die internationalen Geldgeber sind mit ihrer Geduld am Ende. Es werde endlich Zeit, dass Griechenland mit ernst gemeinten Reformen beginne. Vor allem der Internationale Währungsfonds betont unablässig die Notwendigkeit einer Neustrukturierung der staatlichen Verwaltung. Der deutsche Finanzminister versendet analoge Botschaften. Die griechische Regierung hingegen wird dargestellt als ein Konsortium von Verweigerern, die genau das Gegenteil von Reformen im Sinn haben und auf Zeit spielen. So entsteht der Eindruck, dass das Land der Schuldenmacher in den falschen Händen liegt und es so nicht weitergehen kann. Der Grexit, d.h. das Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro, wird nicht mehr als Schreckgespenst, sondern als Lösung angesehen.

Die Darstellung über die griechischen Verhältnisse, wie sie hier in der Öffentlichkeit existiert, steht in einem seltsamen Kontrast zu dem, was z.B. Vertreter der griechischen Regierung zum Besten geben, wenn man sich die Mühe macht, diese auch einmal zu fragen. Mittlerweile belegbar sind verschiedene Ersuchen seitens der griechischen Regierung an die Kreditgeber, sie bei strukturellen Reformen der Verwaltung mit Expertise und Know-how zu unterstützen. Denn tatsächlich ist sich auch Syriza bewusst, dass ineffektive Sektoren der Verwaltung ebenso existieren wie überflüssige. Das ist übrigens keine griechische Besonderheit, man sehe sich nur die jährlichen Berichte des Bundes der Steuerzahler hierzulande an.

Syriza geht allerdings davon aus, dass ein demokratisches Staatswesen, das den Namen verdient, zumindest gesellschaftlich notwendige Leistungen bereitstellt, von denen der freie Markt einen Großteil der Bevölkerung ausschließen würde. Die Leistungen, die laut der griechischen Regierung dazu gehören, sind die Versicherungssysteme bei Gesundheit und Alter, das Gesundheitssystem, Bildung und Infrastruktur. Die Regierung möchte auch diese Sektoren effektiveren und stellt den Rest der Verwaltung für weitere Reformierungen zur Disposition.

Nun sollte man meinen, dass ein derart differenzierter und vernünftiger Standpunkt von den Geldgebern honoriert werden müsse. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Antwort der Troika-Unterhändler ist auf die wiederholten Anfragen nach Unterstützung immer gleich geblieben: Reformen, wie ihr euch das vorstellt, können wir nicht. Wir kennen nur Kürzen! Damit ist die Strategie des freien Westens wieder einmal recht deutlich konturiert. Es geht darum, die essenziellen Funktionen eines demokratischen Staatswesens auszubeinen und zu filetieren, um sie danach zu privatisieren. Deregulierung, Liquidierung und Privatisierung sind die Maximen, nach denen das griechische Gemeinwesen momentan zerschlagen werden soll. Die Strategie folgt dabei einem Muster, mit dem vorher ein Großteil des alten Ostblocks saniert wurde.

Für die südeuropäischen Länder, denen momentan eine Sanierung á la Troika anempfohlen wird, ist es sinnvoll, ihren Blick auf Ökonomien wie die Polens zu werfen, um zu sehen, wie die eigene Zukunft aussehen könnte. Das Musterland des nach-kommunistischen Wirtschaftsliberalismus befindet sich längst in einer tiefen Stagnation. Es ist politisch erpressbar und nicht umsonst eines der aggressivsten Elemente hinsichtlich der NATO-Osterweiterung. Große Teile der Bevölkerung fristen ihr Dasein unter prekären Arbeitsverhältnissen und ohne gesellschaftliche Teilhabe, die Trennung zwischen Stadt und Land, Arm und Reich ist so brutal wie noch nie. Die Sanierungsprogramme der Troika folgen diesem Muster, eine Reform im Sinne einer positiven Gestaltung des Gemeinwesens ist von ihr nicht zu erwarten. Es wird höchste Zeit, die Täuschungsmanöver zu kompromittieren, in denen die Begriffe Reform und Zerschlagung synonym gebraucht werden.