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Der digitale Krieg

So ist das mit dem menschlichen Bewusstsein. Langsam, ganz langsam keimen Erkenntnisse auf, die sich auf neue Phänomene beziehen. Und es dauert oft lange, sehr lange, bis Gesellschaften auf eine Entwicklung reagieren können. So war es mit vielen Technologien, die die Gewohnheiten geändert haben, aber es hat lange gedauert. Die ersten Industriearbeiter lebten noch wie die Bauern, die sie einmal waren, und die späteren Angestellten ernährten sich noch wie die Industriearbeiter, von denen sie abstammten. Es mussten erst Generationen durch bestimmte Arbeitsvorgänge gesundheitlich ruiniert werden, bevor die Produktion geändert wurde oder Schutzmaßnahmen zum Standard wurden. Teils wurden derartige Erkenntnisse durch die Skrupellosigkeit des Gewinnstrebens verhindert, teils war es auch kollektive Naivität.

Als kollektive Naivität könnte auch das bezeichnet werden, womit wir es in Bezug auf die Digitalisierung der Arbeit wie aller Lebenswelten zu tun haben. Hinweise auf das Nervensystem des Individuums, auf die Entwicklung von Suchtverhalten, auf die Einschränkung der Lernfähigkeit etc. werden in großem Maße von der Digitalindustrie massiv bekämpft. Und diejenigen, die sich mit kritischer Stimme in puncto Digitalisierung zu Wort melden, sind als historische Hinterwäldler blitzschnell ausgegrenzt. Aber es existieren Erkenntnisse, die sich bereits auf erste Ansätze der Erziehung auswirken und den Umgang mit digitalen Geräten zeitlich limitieren, um den Anteil unmittelbarer Erfahrung bei der Sozialisation von Kindern und Jugendlichen wieder zu erhöhen.

Nahezu gänzlich unbemerkt vom öffentlichen Bewusstsein ist die totale Abhängigkeit der gesamten Zivilisation von der digitalen Infrastruktur. Erste Anzeichen von destruktiven Möglichkeiten fanden bereits Erwähnung in den unterstellten Aktivitäten des russischen Geheimdienstes bei der Meinungsbildung im Allgemeinen und bei Wahlkämpfen im Besonderen. Das mögen viele noch als eine Propagandafinte abgetan haben, aber hinter dem Vorwurf verbirgt sich immerhin noch die Information, das so etwas möglich ist.

Die Beeinflussung durch Kommunikationsmedien sind außer Zweifel und nichts verunsichert mittlerweile die Gesellschaft mehr als die Debatte um Fake News. Alle Kontrahenten werfen sich gegenseitig vor, Fake News zu produzieren und es macht sich das klamme Gefühl breit, nicht mehr wissen zu können, was wahr und was gelogen ist. Eine solche Orientierungslosigkeit ist existenziell. Sollte sie um sich greifen, sind die Gewissheiten, die zu einem gesellschaftlichen Konsens gehören, endgültig dahin. Daher sind diejenigen, die in öffentlichem Auftrag kommunizieren und sich der Produktion von Fake News schuldig machen, mit besonderer Vehemenz zu traktieren.

Die eigentliche Katastrophe wurde in den Meldungen der letzten Tage offensichtlich. Wie jede Technologie, so kann auch die digitale in ihr destruktives Gegenteil gewendet werden. Die unzähligen, maschinisierten Hilfsdienste in Unterhaltung, Koordination und Logistik können durch so genannte Cyber Angriffe in großem Ausmaß zerstört und lebenswichtige Institutionen schlagartig in die Handlungsunfähigkeit manövriert werden. Das geschieht nicht akzidentiell, also aus Versehen, sondern in kriegerischer Absicht. Der moderne Krieg wird ein digitaler sein, bei dem weder Panzer auf ein fremdes Territorium rollen oder Raketen auf ein bestimmtes geographisches Ziel abgefeuert werden, sondern er kann von überall geführt und ohne Schusswaffen eröffnet werden. Da brechen die institutionellen Grundpfeiler einer Zivilisation zusammen und alles mündet ins Chaos. Die Fähigkeit zur krisenbedingten Selbstorganisation ohne digitale Hilfe ist zumindest in unserer Gesellschaft nicht mehr sonderlich präsent. Der digitale Krieg klopft an die berühmte Tür. Um ihn führen zu können, bedarf es nicht einmal großer Technologiekenntnisse. Ganz archaisch gedacht reicht es auch, die Stromversorgung auszuschalten.

Gouvernance und Change

In den Sphären des Managements offenbart sich das Leid der Gesellschaft. Kaum eine Erscheinung der Sozial- und Psychopathologien schafft es nicht in die Welt des Managements. Das ist gut so, weil es somit zu einem Labor für den Zustand der Gesellschaft wird. Denn über die individuellen Erscheinungsformen hinaus, die sich äußern in Egozentrismus, Statusdenken, bürokratischem Kannibalismus und Haftungslogik, aber auch in intelligentem Funktionsdenken und strategischer Kompetenz, sind es vor allem die verschiedenen historischen Wellen, die das Management durchziehen, die einen hohen diagnostischen Wert haben.

Und bitte keine Ausreden! Bitte nicht der Verweis auf das für alles verantwortliche Amerika. Denn nur allzu zuverlässig ist die Kopie der Moden aus den Management-Lehren der USA, zeitversetzt um ein halbes bis ein Jahrzehnt. Da wäre immer genug Zeit, um sich auch für ein Nein zu entscheiden. Aber meistens ist es ein beherztes Ja, das dürftig wirkt in der Dimension der eigenen Souveränität. Das deutsche Management folgt den Lehren aus Übersee. Daran hat sich nichts geändert.

Die damit verbundenen Anglizismen sind damit erklärt und sollten nicht von deutsch-nationalen Sprachtümlern skandalisiert werden. Zumeist ist die Kritik dann auch noch doppelbödig. Aber das steht auf einem anderen Blatt. Wichtig ist, dass die Retrospektive der einzelnen Wellen eine radikale Reduktion von Komplexität zulässt und somit deutlich macht, welche Slogans des Zeitgeistes das Arbeitsleben dominieren sollten.

Da wurde in den letzten Dekaden von einem Management by Objectives gesprochen, als das strategische Denken als defizitär empfunden wurde. Lean Management wiederum war der Auftakt für die Finanzkapitalisierung, d.h. nicht nur Arbeitsvorgänge, sondern auch alle Betriebsteile wurden taylorisiert. Die partizipativen Strömungen setzten im Management ein, als die Demokratisierungstendenzen in den Gesellschaften bereits Eingang gefunden hatten und die Legitimation von Entscheidungen in den Betrieben einen immer höheren Stellenwert einzunehmen begannen. Dem folgte das Zeitalter der Transparenz, welches sich unter Termini des Management by Open Door etc. bekannt wurde. Es symbolisiert den Bankrott des Vertrauens in Funktionen und Institutionen, welcher das digitale Zeitalter kennzeichnet. Der Konnex von Gesellschaftspolitik wird mit jeder der erwähnten Epochen deutlich.

Somit ist die andere Welt, als die das Wirtschaftsleben so gerne beschrieben wird, doch Teil dieser einen Welt, in der alle leben. Die Produktionsweise bestimmt das gesellschaftliche Bewusstsein. So lautete das Axiom der politischen Ökonomie. Und der notwendige Zusatz kam ein Jahrhundert später aus der Psychoanalyse. Er besagte, dass das gesellschaftliche Bewusstsein seinerseits auch wieder die Produktionsweise bestimme. Die Theorien des Managements reflektieren somit nolens volens einen gesellschaftlichen Zustand, der in der betrieblichen Realität aufschlägt. Die Auseinandersetzung damit ist sehr aufschlussreich, dokumentiert sie doch die Konzeption derer, die die Macht haben, wie sie sich mit den wandelnden Phänomenen auseinandersetzen wollen.

Die Periode des Change Management, als die die gegenwärtige beschrieben werden muss, weist dabei eine Besonderheit auf. Umschrieb sie zunächst nur Anpassungsprozesse an technische Innovation, ist sie längst zur Bezeichnung eines Paradigmenwechsels in der Steuerungslogik mutiert. Politisch korrespondiert das Change Management mit dem Wandel der Theorie des Gouvernments hin zur Gouvernance. Das ist die Verinnerlichung der Regierungslogik auf die praktischen Handlungsfelder eines jeden Individuums. Michel Foucault hat diese Betrachtungen sehr dezidiert beschrieben. Im Change Management unserer Tage schlagen sie in der Betriebsrealität wieder auf.