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9/11 und das Schicksal der Zivilisation
Leon de Winter, Geronimo
Kein Wunder, dass es ein Ereignis wie 9/11 in die Literatur geschafft hat. Während bis heute auf dem Sachbuch-Sektor ein Faktenkrieg zwischen der offiziellen amerikanischen Darstellung und anderen Ansätzen ausgetragen wird, sind im Bereich der fiktionalen Verarbeitung vor allem die Aspekte derer im Fokus, die entweder zu den Opfern, den Helfern oder den Zaungästen gehören. Dass da ein Autor wie Leon de Winter ausschert, wenn er sich diesem Thema widmet, war nahezu zu erwarten. Unter dem Titel „Geronimo“ erschien bereits 2016 ein Roman, der sich mit einem Ende dieser Geschichte befasst, nämlich mit der Liquidierung Osama bin Ladens in seinem Versteck in Pakistan durch amerikanische Spezialkräfte.
Die Aspekte, die dieser Thriller verwebt, sind komplex. Es geht um die innere Dynamik derer, die den deklarierten Hauptfeind der USA ausschalten sollen, es geht um die Interessen des amerikanischen Präsidenten Obama, es geht um verschiedene Geheimdienste, es geht um die Dynastie der Saudis, aus der Osama bin Laden stammte, es geht um afghanische Helfer, es geht um Christen und Muslime. Es sind nicht nur die Schicksale der weltpolitisch wirksamen Protagonisten, sondern auch die Opfer und Täter auf allen Seiten. Die armen Schlucker, die an den amerikanischen Traum geglaubt haben, die Abkocher, die am Rande jeder Operation auftauchen, es geht um die Fanatiker, die auf allen Seiten ins Gras beißen und um die Gewinner.
Leon de Winter ist es eigen, dass er mit einem besonderen Coup eine Handlung in eine Richtung lenken kann, mit der niemand gerechnet hat. Im Falle von Geronimo, dem Namen eines berühmten Häuptlings, der den Codenamen für Osama bin Laden bei den Mitgliedern der Spezialeinheit liefert, setzt de Winter einen besonderen Plot. Alles dreht sich um den durch den Präsidenten formulierten Auftrag „kill or capture“, der durch einen Emissär des Präsidenten unmissverständlich präzisiert wird: Kill! Dass stösst bei den Patrioten des Sonderkommandos nicht auf Begeisterung, weil sie die Ressource Osama bin Laden gerne noch nutzen wollen. Um Informationen zu bekommen und um der Welt zu zeigen, wie ein Staatsfeind zu enden hat. Sie beschließen eine eigene Vorgehensweise, die das ganze Karussell in heftige Bewegung bringt und aus dem Roman einen Markt der politisch durchaus denkbaren Möglichkeiten macht.
Das alles ist durchsetzt mit einem irrwitzigen Konsortium aus Akteuren, das die Abstrusitäten aller Geheimen Dienste genauso zur Schau stellt wie die Skrupellosigkeit einer weltumspannenden Geschäftswelt. Wer das erwartet, wird mit dem Roman reichlich belohnt. Aber auch die Beobachtung der Welt der kleinen Leute, die an die Zivilisation glauben, die nach Wahrheit und Schönheit streben und die in dieser Welt zum Scheitern verurteilt sind. Übrigens genauso bewegend wie die Sezierung des Monsters, das neben der Bestialität auch die feinen Züge des Menschseins zulässt.
Der Roman bietet alle Klischees, die das Thema zu bieten hat, ohne selbst zum billigen Klischee zu werden. Er ist ein Gedankenspiel in einer Welt, in der die Bestien aus allen Richtungen über die Zivilisation herfallen und die trotz aller Attacken in der Lage ist, sich einen Kern zu bewahren, der das Wort Hoffnung erlaubt. Leon de Winter beherrscht as Handwerk des Schreibens und er verfügt über ein rares Gut. Es heißt Menschenbildung.
- Herausgeber : Diogenes; 1. Edition (25. Oktober 2017)
- Sprache : Deutsch
- Taschenbuch : 448 Seiten
- ISBN-10 : 3257244223
- ISBN-13 : 978-3257244229
- Originaltitel : Geronimo
