Schlagwort-Archive: Friedensbewegung

Friedensbewegung: Wie die minderjährige Witwe

Clausewitz´ Satz, dass der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sei, ist seit seiner Niederschrift unzählige Male verifiziert worden. Vorausgesetzt, die Politik, die da fortgesetzt wurde, unterlag einer Strategie, die das Erkennen einer Kontur erlaubt hat. Wenn das Ziel klar ist und es mit zivilen Mitteln und einer ihr entsprechenden Politik nicht erreichbar ist, dann liegen triftige Gründe vor, warum das so ist. Einer der wichtigsten ist das Interesse eines anderen Landes, dass dem entgegen steht. Ist der Wunsch nach Zielerreichung groß genug, dann wird zur martialischen Option gegriffen. Vorausgesetzt, die blutige Option ist im eigenen Land durchzusetzen. Denn neben dem vermeintlichen Feind zahlt auch immer das eigene Volk. Sieht dieses nicht den Sinn in dem angestrebten Ziel, kann es intern schwierig werden bei einer kriegerischen Auseinandersetzung mit dem vermeintlichen Feind.

Die Auseinandersetzungen zwischen der EU und Russland im Streitfall der Ukraine verdienen, leider wiederholt, eine kritische Reflexion. Nehmen wir das Clausewitz-Zitat, dann fragen sich viele, was denn eigentlich das Ziel der europäischen Politik sei. Eine klare, den Bevölkerungen der Europäischen Union vorliegende Zielsetzung ist den meisten in diesen Ländern nicht bewusst. Man sollte sich jedoch von dem irrationalen Glauben lösen, die Akteurinnen und Akteure der EU-Außenpolitik seien Somnambulisten, die nicht wüssten, was sie tun. Ein Blick in die Verträge, die zunächst Janukowitsch und dann einer erhofften, positiv gestimmten ukrainischen Regierung vorgelegt wurden und jetzt vorgelegt werden sollen, beinhalten sehr klare Ziele: Die Ukraine im EU-Markt, mit vollem Besteck, d.h. Euro, und das Land im aktiven Sicherheitskordon der NATO. Klarer geht es nicht, genauso wie die Verschleierung dieser Ziele nicht intensiver sein könnte, wenn es um die Mobilisierung der Aggression geht.

Die Begründung von Kriegen gegenüber der eigenen Bevölkerung, sofern es sich nicht um Verteidigungskriege, sondern um Aggressionen handelt, korrespondiert selten mit den tatsächlichen Zielen. Die probateste Legende, die in Deutschland seit dem unsäglichen Außenminister Josef Fischer verbreitet wird, ist die der moralischen Entrüstung. Sie scheint perfekt zugeschnitten zu sein auf den aus Friedensbewegung und Ökologie entstandenen neuen Mittelstand. Diese Entrüstung reichte, um Belgrad zu bombardieren, sie reichte, um Truppen nach Afghanistan zu schicken und sie soll reichen, um sich in einen Konflikt mit Russland zu stürzen, der wesentlich heißer ist als er sowieso schon erscheint. Es ist die perverseste Argumentation, die möglich ist. Die Argumente der Friedensbewegung zu konvertieren in eine Kriegsbegründung. Das ist der Schoss, der noch fruchtbar ist, die Analogien sind verblüffend.

Und nicht, dass gedacht werden könnte, in dem seit nunmehr neun Monaten schwelenden Prozess sei irgend jemand zur Räson gekommen. An der Eskalationsschraube wird weiter gedreht, schon brennt der Handelskrieg, als dürste man nach einem richtigen Krieg und könne es kaum noch erwarten. Wirtschaftliche Kontakte sind der letzte zivile Posten vor der Katastrophe. Leider sitzen die Mentoren im Westen. Und leider ist die Friedensbewegung mausetot. Sollte sie aufwachen, dann wird sie feststellen, wie geschändet sie wurde, wie in Brechts Dreigroschenoper die minderjährige Witwe. Die Begründung einer möglichen Intervention wird nicht mehr revidiert. Der Aufstand von in der Ukraine lebenden, zum Teil regional numerisch dominierenden Russen wird exklusiv als Aggression von außen umgedeutet und die Rückgewinnung einer völkerrechtswidrig von Chruschtschow an die Ukraine verschenkten Krim durch ein Plebiszit wird ihrerseits wird als Völkerrechtsbruch bezeichnet. Beides ist grober Unsinn. Beides dient der Mystifikation. Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.

Medialer Bellizismus

Zwar ist das Ende des II. Weltkrieges fast siebzig Jahre her, aber wohl kaum ein Volk hat ihn so in der mentalen Präsenz wie die Deutschen. So zumindest glaubten die meisten. Von innen wie außen aus betrachtet haben die Deutschen seit dem Desaster, das der Faschismus mit seinen kriegerischen Exzessen auf fremden Territorien und den terroristischen Orgien im eigenen Land begangen hatte, eine nahezu psycho-pathologische Beziehung zur Politik schlechthin. Das schlechte Gewissen wie die noch vorhandenen Traumata haben dafür gesorgt, dass sich in diesem Land eine Friedensbewegung herausgebildet hatte, die vor allem in den heißen Phasen des Kalten Krieges zum Ausdruck brachte, dass zumindest hier niemand eine durchschaubare und vordergründige Kriegstreiberei würde betreiben können. Kriegserfahrungen, Exil und diese psychische Disposition der Deutschen im Rücken führten auch zu der einzigartigen Friedensarchitektur eines Willy Brandt, der es verstand, Behutsamkeit in waffenklirrenden Zeiten zu kultivieren.

Es bedurfte gerade einmal acht Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung, als ausgerechnet ein grüner Außenminister während der Bürgerkriege auf dem Balkan der deutschen Friedensbewegung den Todesstoß versetzte: Mithilfe von Marketingagenturen wurden vermeintliche und tatsächliche Kriegsverbrechen propagandistisch so aufbereitet, dass die Positionen der Nichteinmischung und Neutralität sowie der Weg von Verhandlungen und politischen Sanktionen durch das Momentum der moralischen Verpflichtung ersetzt wurde. Der Moralismus ersetzte die in Jahrzehnten wieder erworbene Politikfähigkeit in den internationalen Beziehungen und wurde der Schlüssel zu einer neuen Politik militärischer Präsenz.

Seit dem Balkankrieg ist die Bundeswehr wieder weltweit unterwegs und es ist bereits ein geflügeltes Wort, dass die deutsche Freiheit auch am Hindukusch verteidigt werden muss. Dass sich eine ökonomische und damit auch politische Macht wie die Bundesrepublik nicht aus den Wirrungen und Kalamitäten der Weltpolitik heraushalten kann, wie sie das lange unter dem Schutzschild der USA durfte, ist die eine Seite der Medaille. Die andere besteht aber wohl in der Frage, wie die Grundlagen für eine bellizistische Intervention politisch definiert werden. Das ist bis heute nicht der Fall und somit haben wir es mit einem Roulette zu tun. Um genauer zu sein: Dem Anlass entsprechend mit einem russischen Roulette.

Die Bundesregierung ist gut beraten, ihre gegenwärtigen Aktivitäten eher im Verborgenen vonstatten gehen zu lassen, denn eine deeskalierende Strategie sei ihr unterstellt. Was in öffentlich rechtlichen Medien dagegen gegenwärtig geschieht ist eine Form der bellizistischen Mobilmachung, die in der Geschichte dieses Landes seit den Nazis nicht mehr stattgefunden hat. Die – und das ist die Kritik an der Friedensbewegung wie an der ökologisch durchtränkten Demokratietheorie – moralistische Begründung von Politik hat dazu beigetragen, die alten Aggressionspotenziale erneut zu mobilisieren. Für das Gute holt der Deutsche die Sense heraus, heißt es, da ist er der berüchtigte Meister aus Deutschland. Nur stelle man sich da bloß keinen Sensenmann vor oder eine Schlägertype in Nazi-Uniform. Heut erschienen junge Frauen im besten Alter in ansprechender Garderobe und propagieren unverblümt die Aggression. „Haben wir die Krim schon aufgegeben?“ (Maybrit Illner), „Geben wir die Krim schon auf?“ (Anne Will) oder wir bekommen in einer Didaktik für IQ-Downer von Marietta Slomka die Welt erklärt, natürlich mit der Konklusio, dass Truppen auf die Krim müssen.

So kompliziert die Lage sein mag, so archaisch der russische Präsident mit dem Gestus der militärischen Stärke auch spielen mag, können und wollen wir uns eine öffentlich rechtliche Propaganda-Abteilung leisten, die derart verkommen unsere Geschichte negiert?