Es wird viel geklagt zur Zeit. Warum? Weil die vermeintlich gute, alte Zeit endgültig der Vergangenheit angehört. Doch wir wären nicht das, was wir sind, wenn wir uns nicht kritisch mit den Erscheinungen der Vergangenheit auseinandergesetzt hätten. Alles, was uns in diesen Zeiten ermächtigte, um Veränderungen herbeizuführen, nämlich die Fähigkeit, zu identifizieren, was als eine gemeinsame Basis betrachtet werden konnte, um sich auf den Weg zu neuen Ufern zu machen, hat sich in Luft aufgelöst. Gemeinsamkeiten? Fehlanzeige! Die Individualisierung, ihrerseits eine Konsequenz von Aufklärung und Französischer Revolution, hat ihr vermeintlich letztes Stadium erreicht. Nur das große Kollektive, das Staaten wie Gemeinwohl definierte, ist aus dem Anliegen gestrichen und einer Varianz von Mikro-Identitäten gewichen, die das Denken bestimmen.
Ob es in diesem Prozess das gibt, was man Schuldige nennen könnte, ist weder genau zu identifizieren noch wird es weiterführen. Denn, wie die Klugen stets bemerken, es ist, wie es ist. Das Lamento über den Verlust bringt nichts, wenn das Bedürfnis, sich aus der mentalen Parzelle wieder heraus zu bewegen, nicht vorhanden ist. Wer, was unter der Chiffre Home Office verstanden wird, und das, jenseits der neuen Techniken, die es ermöglichen, nichts anderes ist als die Heimarbeit aus vor-industriellen Zeiten, als einen Fortschritt feiert, der oder die hat keine Vorstellung mehr davon, was kollektive Erfahrungsprozesse bedeuten.
Was den Prozess unaufhaltsam macht, ist der durch Aufklärung wie Industrialisierung entstandene feste Glaube an die Verwobenheit von technischer Innovation und gesellschaftlich sozialem Fortschritt. Das, was unter dem Namen Digitalisierung geschieht, ist technisch mit das Revolutionärste, was die menschliche Zivilisation hervorgebracht hat. In Bezug auf die in der Aufklärung propagierten Grundsätze ist es der vehementeste Rückschritt im sozialen Zusammenleben. Dieser Widerspruch muss im technokratischen Zeitalter erst einmal verkraftet werden.
Dieser Entwicklung den Spiegel vorzuhalten handelt allen, die sich dafür entscheiden, zunächst einmal den Vorwurf ein, zu den Gestrigen zu gehören. Wer sich der Technik widersetzt, der versprüht die Aura des früh-industriellen Maschinenstürmers. Dass er dann wie im absurden Theater, einem Modell der Heimarbeit gegenübersteht, tut für alle, die sich mit Geschichte grundsätzlich nicht beschäftigen, nichts zur Sache. Denn mental sind viele Zeitgenossen bereits schon auf dem psycho-sozialen Bewusstseinsstand dieser längst vergangenen Zeiten angelangt. Denn trotz aller Kommunikationstools, die sie virtuos beherrschen, schlummern in ihnen längst die Geister de Vergangenheit.
Die Probe aufs Exempel liefert ein Spaziergang durch jene urbanen Viertel, in denen die euphorischen Heimarbeiter leben. Es ist ein Flanieren durch ein Sammelsurium nostalgischer Lebensattitüden. Da wimmelt es von Manufakturen, da werden Kuchen nach Omas Rezepten gebacken und offeriert, da fahren Räder wie zu Zeiten vor der Motorisierung. Ein Verweis auf die Zukunft sucht man vergebens. Was sich einstellt, zumindest für jene, die die gewaltigen, oft brutalen Umbrüche in den Lebenswelten der letzten Jahrzehnte haben erleben dürfen, ist ein Déjà-vu, ja, entsetzliche Langeweile. Sind das, der Gedanke drängt sich auf, nicht genau die Verhältnisse, aus denen viele herauswollten, weil sie vereinzeln, isolieren, bedrängen und Enge erzeugen? Ist das nicht eine Form der Romantik, die nichts, aber auch gar nichts Protestatives mehr in sich trägt?
Fortschritt, Fortschritt bedeutet nicht, fortgeschritten sein, sondern fortzuschreiten. Insofern ist die Atomisierung der Gesellschaft, wie wir sie momentan erleben können, das größte Roll-Back seit Beginn der Moderne. Unter technisch exzellenten Voraussetzungen versteht sich.

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