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Das fatale Design Europas

Jürgen Roth. Der stille Putsch

Jürgen Roth gilt als einer der prominentesten Vertreter des Enthüllungsjournalismus in Deutschland. Sein Name steht für das Aufdecken krimineller, wirtschaftlicher und politisch motivierter Netzwerke. Immer dann, wenn Schreckliches geschieht und die Öffentlichkeit sich nicht sonderlich erklären kann, wie so etwas zustande kommen konnte, wartet Jürgen Roth mit einer Publikation auf, die in der Regel aufzeigt, wo die Macher des Ereignisses sitzen und wie sie seit Jahren darauf hingearbeitet haben. 

Auch Roths jüngstes Buch folgt diesem Muster. „Der stille Putsch. Wie eine geheime Elite aus Wirtschaft und Politik sich Europa und unser Land unter den Nagel reißt“  erschien 2014 und liegt mittlerweile in der vierten Auflage vor. Die Ereignisse um Portugal, Spanien und vor allem Griechenland und die sehr holzschnittartige Berichterstattung darüber haben dazu geführt, dass ein großes Interesse an Aufklärung besteht. 

„Der stille Putsch“ ist ein Buch voller Fakten, die wie immer sehr gut aufbereitet sind und deren Präsentation gut lesbar ist. Im Wesentlichen besteht das Buch aus zwei Teilen. Der erste breitet die Netzwerke aus, die in der EU die Geschehnisse planen und durchführen und der zweite Teil beschreibt die Sicht der Opfer, hier vor allem Griechenlands und Portugals. 

Die Akteuere der Wirtschaftspolitik in Europa werden schonungslos nicht nur als interessengeleitete Karrieristen beschrieben, sondern es lässt sich auch das Muster des Plans identifizieren, dem sie folgen. Dabei handelt es sich um eine neoliberale Strategie, die darin  besteht, alle erkämpften und rechtlich fixierten Arbeitnehmerrechte zu schleifen, die Staatshaushalte durch die radikale Privatisierung staatlicher Leistungen zu privatisieren und die Steuern für Gewinne zu senken. Hoch interessant in dieser nachvollziehbaren Dokumentation sind Einflüsse wie der der Unternehmensberatung McKinsey durch einen stetigen Personalabfluss in die EU-Bürokratie, das Wirken von Netzwerken wie dem European Round Table of Industrialists und die Karriere eines Mario Draghi, die am Saum eben dieser Netzwerke und der italienischen Mafia entlang lief.

Mit den Wirkungsmechanismen der neoliberalen Strategie ist der Einstieg in die Lebenswelt der Opfer gewährleistet und Roth schildert eindringlich die Auswirkungen dieser Politik auf Länder wie Portugal und Griechenland. Es bedeutet ganz konkret die Zerstörung der Sozial- und Gesundheitssysteme, den Niedergang bezahlbarer Bildung, eine rasante Erhöhung der Arbeitslosigkeit und eine mit ihr einhergehende Intoleranz gegenüber Zuwanderern. An zahlreichen  Beispielen belegt Roth seine Thesen und vermittelt dadurch eine Vorstellung davon, was das Wirken der so genannten Troika vor allem in den beiden genannten Ländern angerichtet hat. Auch  Gewerkschafter kommen zu Wort, die auf den Zusammenhang zwischen diesen Strukturveränderungen im Süden Europas und den Rechten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland hinweisen. Entweder kommen die Kohorten direkt aus dem Süden als billige Konkurrenz oder man geht auch hier im Zentrum und im Norden an die systematische Zerstörung des Sozialstaates.

Der stille Putsch ist ein lesenswertes Buch. Es ist ein guter Beitrag, um das verzerrte, ideologische Bild des so genannten freien Europas, welches uns in der Diktion von Politik und Presse immer wieder präsentiert wird, durch ein realistischeres Bild zu ersetzen. Es ist notwendig, dieses zu tun, weil ansonsten die Propaganda von den faulen Griechen zu einem Symptom der Volksverhetzung wird, die auch noch greift. Manchmal kommt beim Lesen das Gefühl auf, dass hier und da ein Faktum zu viel aufgeführt und eine politische Deutung zu wenig angestellt wird. Das schmälert aber nicht den Gewinn der Lektüre.