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Strategie ist kein Zurück!

Was derweilen beim Monieren über eine fehlende Strategie in der Pandemie-Bekämpfung tatsächlich in Vergessenheit gerät, ist die Strategie. Was sich paradox anhört, ist gar nicht so abwegig. Denn das, was als Strategie gefordert wird, ist ein Plan, wie das Land zu der gekannten Normalität zurückfindet. Das ist eine Illusion, denn ein Zurück wird es nicht geben. Eine Strategie, die den Namen verdiente, müsste anders aussehen.

Holen wir aus: Befragte man Menschen in anderen Winkeln der Welt, was sie als die Assets  bezeichnen würden, die dieses Land auszeichnen, kämen sehr schnell die Industrie, die Wissenschaft und die Kultur zur Sprache, vielleicht auch noch der Sport, in gewissen Segmenten. Beim Management der gegenwärtigen Pandemie, von der auszugehen ist, dass sie uns noch lange begleiten wird, muss festgestellt werden, dass selbst diese gesellschaftlichen Ressorts gelitten haben. Die Schlüsselindustrien haben zum Teil den Anschluss an die technologische Entwicklung verloren, die Wissenschaften leiden unter Investitionsmangel und die Kultur wurde im aktuellen Krisenmanagement für tot erklärt. Der Umgang mit diesen Stärken wirkt, bei Tage betrachtet, als nahezu suizidal.

Potenziale, die schlummern, jedoch nicht in dem Maße genutzt werden, wie das möglich wäre, sind die Bereiche Gesundheit, Bildung und Energie. Das Gesundheitswesen wurde durch die Regieübernahme durch exklusives betriebswirtschaftliches Denken so ramponiert, dass die Schäden der Krise irreparabel wirken, im Bereich der vor allem schulischen Bildung tritt man seit Jahren auf der Stelle und ein Konzept zu einer anderen Energiepolitik ist stecken geblieben. Auch dort, im Bereich der vorhandenen Potenziale, sind erhebliche Investitionen erforderlich

Stattdessen wurde das, was in der plakativen Sprache der Portfolio-Analyse als sterbende Hunde bezeichnet wird, mit erheblichen Summen subventioniert. Ob die Investitionen in Unternehmen wie TUI, ein Markenname für Massentourismus oder die Lufthansa, die von der Vielfliegerei lebte – das sind staatliche Gelder, die sowohl bei der Auffrischung der tatsächlichen Assets fehlen als auch bei den ungehobenen Potenzialen.

Investitionen in eine neue Zukunft müssen sich auf neue Formen der Ökonomie im Bereich der Schlüsselindustrien genauso beziehen wie auf die Vitalisierung der Wissenschaften und neue Formen der kulturellen Interaktion. Es hieße, innovativen Industrieinitiativen das erforderliche Kapital zu beschaffen, die Finanzierung der Hochschulen auf neue Beine zu stellen und sie nicht als Auftragsinstitute der Privatwirtschaft verkommen zu lassen sowie unter den gegebenen Bedingungen Museen, Theater und Konzerte über neue Vermittlungsformen wieder der Gesellschaft zugänglich machen zu können und damit den gesellschaftlichen Diskurs zu befruchten.

Bei der Forderung nach Strategie kann man sich nicht darauf beschränken, Pläne dafür zu erarbeiten, dass alles sukzessive wieder so wird, wie es einmal war, sondern sich darüber Gedanken zu machen, wie sich das entwickeln muss, was ein Land ausmacht und wo tatsächlich auch Potenziale vorhanden sind. 

Dieser Horizont ist in der Konfrontation mit der gegenwärtigen Krise ausgeblendet. Allerdings bietet er die einzige Chance, eine Perspektive zu entwickeln, die den Begriff Zukunft auch verdient. Die Slogans, die gegenwärtig an der medialen Börse gehandelt werden, wie „The Great Reset“ oder „Built Back Better“ sind Gepäckstücke, die trotz aller Politur den ganzen alten Plunder beinhalten, den niemand mehr braucht, wenn es um die Gestaltung eines neuen gesellschaftlichen Lebens geht. Das beinhaltet zudem, wenn die Ziele formuliert sind, auch noch eine kritische Revision der bestehenden Strukturen, vom Kampf zwischen Zentralismus und Föderation bis hin zu einer Bürokratie, die bereits im Jetzt als großes Hemmnis entlarvt ist. 

Wenn von Strategie gesprochen wird, kann das Klein-Klein der täglichen Routine nicht gemeint sein. Auch wenn das einige so tun.  

Ersäufen wie die Katzen

Vor gut zwei Wochen trat etwas ein, das nicht untreffend mit der Formulierung „Duplizität der Ereignisse“ beschrieben wird. Denn zeitlich parallel wurde im nordenglischen Yorkshire wie im Ruhrgebiet die letzte Schicht auf den jeweils letzten aktiven Zechen gefahren. Für alle, sowohl im Norden Englands als auch im Ruhrgebiet, war das ein denkwürdiger Tag, weil er eine Epoche beendete, die die Entwicklung Europas nahezu 200 Jahre geprägt hatte. Der Bergbau als Energieversorger Nummer Eins ermöglichte die Industrialisierung und den Aufstieg Europas zu einer ökonomischen Weltmacht. Im XX. Jahrhundert bekam der Energieträger Kohle Konkurrenz durch andere Energielieferanten wie Öl, Kernenergie und regenerative Energien, aber auch durch billigere Kohle aus anderen Ländern der Welt. Der Bergbau selbst war nahezu zu 100 Prozent gewerkschaftlich organisiert, viele Betriebsräte waren kommunistisch.

Während der Niedergang von Kohle und Stahl in Deutschland und dort vor allem im Ruhrgebiet dramatisch, aber eskortiert wurden von Sozialplänen und Projekten regionaler Neukonzeption, die den Untergang nicht schön reden konnten, aber zumindest Strohhalme der Hoffnung bildeten, hatte sich bereits die ehemalige britische Premierministerin Margaret Thatcher das Ziel gesetzt, erst die englischen Bergarbeitergewerkschaften zu zerschlagen und dann die Zechen zu schließen. Lief das Szenario im Ruhrgebiet über das Arbeitsamt, so in Nordengland über die berittene Polizei. Im Großbritannien der Achtziger Jahre konnte bereits registriert werden, welche Physiognomie bei der De-Industrialisierung und der Verwertung einzelner Herzstücke an der Börse herauskommen würde. Der Kampf gegen die englische Arbeiterbewegung war die Kampfansage gegen das europäische Proletariat insgesamt. Nur verstanden es die Gewerkschaften in den anderen Teilen Europas nicht so ganz.

Es ist ratsam, genau hinzuschauen, um zu sehen, wie die Geschichte weitergeht. Um eine Idee davon zu bekommen, was mit der Schließung der letzten Zeche in Yorkshire einhergeht, reichte es auch, sich den europäischen Wetterbericht und seine Folgen anzusehen. Dort wurde über Weihnachten vermittelt, dass ungeheure Regenfälle in Englands Norden zu Überschwemmungskatastrophen geführt hätten. Premier Cameron ordnete den Einsatz des Militärs an, um der Lage Herr zu werden. Was nicht berichtet wurde, ist, analog zu der Katastrophe, die vor einigen Jahren der Sturm Katrina nach einem ähnlich kriminellen Verhalten der Bush-Administration in New Orleans angerichtet konnte, ist die rigorose Streichung von notwendigen Investitionen in Deichanlagen durch eben diese Regierung Cameron.

Angesichts der Tatsache, dass in der Region keine Industrieanlagen mehr in Betrieb sind, die aus Sicht Camerons schützenswert wären, wurden alle angeforderten Investitionen gestrichen und die ehemaligen, nun arbeitslosen Bergleute und ihre Familien dem Schicksal preisgegeben. Oder, um es auf den Punkt zu bringen: Die englische Regierung schreibt die Reste des Proletariats, für die keine Verwendung mehr herrscht, nicht nur ab wie in der Bilanz, sondern versucht sie noch zu ertränken wie ein Wurf unwillkommener Katzen.

Der Rest Europas sollte sehr genau verfolgen, was in Großbritannien vor sich geht. Längst ist das Land in der Hand des spekulativen Finanzkapitals, längst hat sich die Ideologie des absolut freien Marktes dort etabliert und längst ist aus dem Land der ehemaligen Wertschöpfung ein Ressort geworden, in dem die vereinigten Coupon-Schneider das Sagen haben. Für Sentimentalitäten ist da kein Platz. Und eine Arbeiterklasse ohne Wertschöpfung braucht niemand. Entweder, sie werden ersäuft wie die Katzen, oder, ja, oder man entsorgt sie im Krieg. Wie gesagt, genau hinschauen, was in der City of London noch ausgeheckt wird.

Organisationskultur

Der Terminus alleine hat schon einen artifiziellen Geschmack. Dennoch ist er aus kaum einer Diskussion wegzudenken, die sich mit dem Fortschritt in der Arbeitswelt wie im politischen System der Demokratie befasst. Zumeist taucht der Begriff auf, wenn das real Angetroffene als Krise begriffen wird und man sich Erlösung wünscht. Die Rede ist von Organisationskultur. Wenn, so die allgemeine Auffassung, im positiven Sinne eine Organisationskultur erkennbar ist, dann ist vieles gut bestellt. Dann stimmt nicht nur die Atmosphäre, dann resultieren aus dieser auch gute Leistungen und eine erhöhte Produktivität. Organisationskultur ist ein Gütesiegel und Organisationskultur ist ein Credo. Und wie so oft, steht der Begriff der Kultur im Deutschen für das Gute, Wahre und Edle. Der hehre Anspruch birgt aber auch das Vage.

Wie immer ist es wohltuend, genauer hinzusehen und den frommen Wunsch nach einem Gütezustand der Kultur zu entmystifizieren. Denn egal wie schlimm der zu betrachtende Zustand auch sein mag, jeder Zustand in einer Organisation weist eine bestimmte Kultur auf. Die kann barbarisch sein, aber sie hat ihre Werte, Regeln und Rituale, das eigentliche Wesen von Kulturen. Das Ausblenden von Organisationskulturen, die keinen Konsens hervorbrächten, gehört zu den epistemologischen Krankheiten, an denen die deutschen Diskussionen erkrankt sind. Das Hineindeuten des Guten in die Kultur per se entbindet nämlich vermeintlich von der Pflicht, die erstrebte Kultur definieren zu müssen.

Dabei wäre es gar nicht so schwer, eine Organisation zu definieren die viele Ansprüche an eine gute Kultur aufwiese. Natürlich müsste sie ein attraktives Ziel haben, sie müsste transparent und effizient sein, was ihre Entscheidungen betrifft und sie müsste eine sehr hohe soziale Kohärenz aufweisen, was in der Regel heißt, dass Aufrichtigkeit und Solidarität gelebt werden. Nun reklamieren nicht wenige Unternehmen, Verbände und politische Parteien genau das für sich. Viele, die sich in diesen Spähren bewegen oder bewegt haben, verfügen über eigene Erfahrungen, die von dieser Darstellung abweichen. Das wundert nicht, wissen wir doch alle, wie groß der Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit zuweilen sein kann.

Um herauszufinden, in welchem Zustand sich Organisationen befinden, die für sich eine positive Kultur reklamieren oder auch nicht, sind diagnostische Instrumente erforderlich, die leicht und schnell zu handhaben sind. Ohne einer populistischen Version der Diagnose das Wort reden zu wollen sei dennoch vorgeschlagen, sich eine menschliche Verhaltensweise genauer anzusehen, die in allen sozialen Systemen von Relevanz ist und war. Es handelt sich um den sozialen Vergleich, d.h. die Reflexion der einzelnen Glieder einer Organisation über ihre eigene Stellung und Wertigkeit innerhalb der Organisation in Beziehung zu den anderen. Dass dieses geschieht, ist so sicher wie eine Bank. Wie dieses geschieht, das sagt mehr aus über die Kultur der Organisation als alles andere.

Wahrscheinlich müsste hier gar nichts mehr ausgeführt werden, weil alle Leserinnen und Leser bereits wissen, wovon die Rede ist. Je mehr Zeit, Energie und Emotion in einer Organisation aufgewendet wird, um den sozialen Vergleich anzustellen und je mehr darüber kommuniziert wird, umso weniger ist der eigentliche Zweck der Organisation noch im Fokus. Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, wie groß die Aufwände sind, die in Unternehmen, Verbänden, Vereine und Parteien betrieben werden, um den sozialen Vergleich anzustellen. Zum Teil handelt es sich um schreckliche Kulturen, die sich durch das Ausmaß von Neid und Missgunst derartig diskreditieren, dass man ihre Zweckbestimmung gar nicht mehr ernst nehmen kann.