Schlagwort-Archive: Dreigroschenoper

Politik: Zur Aktualität einer Oper

Die Streuweite bei Wahlen vergrößert sich. Von Erfurt bis Madrid wird deutlich, dass die Dominanz dessen, was als große Volksparteien bezeichnet wird, auch in den Ländern mit den vermeintlich stabilsten Verhältnissen bröckelt. Überall schießen kleine Parteien aus dem Boden, die für bestimmte Partikularinteressen stehen und dennoch zumindest temporär soviel Zustimmung bekommen, dass sie in die Parlamente kommen. Das macht es für die ehemaligen Platzhirsche, die bequeme Mehrheiten kannten, zunehmend schwerer. Hinzu kommt ein Trend, der das Maß an Veränderung noch weiter treibt: Die Renaissance einer Rechten, die machen kann, was sie will, aber dennoch gewaltige Stimmenanteile auf sich vereinen kann. Immer mehr Menschen stellen Vergleiche zur Weimarer Republik und deren Untergang an. Historische Vergleiche können, sofern das Ziel Erkenntnis und nicht Propaganda ist, sehr hilfreich sein.

Im Staccato: Die Weimarer Republik entstand aus einem verlorenen Krieg, einer verratenen Revolution und der Ermordung ihrer Führer und einer Allianz aus preußischem Großgrundbesitz, Militarismus, Industrialismus und neuem Finanzkapitalismus. Als Pendant zu einer zunächst boomenden Industrie entwickelte sich eine organisierte Arbeiterbewegung, die ihrerseits in ein sozialdemokratisches und ein kommunistisches Lager tief gespalten war. Der Metropolitan Liberalismus einer Stadt wie Berlin führte zu den geistesgeschichtlich wohl produktivsten Tagen des Jahrhunderts, lieferte allerdings auch die emotionalen Hassbilder für alle, die mit dem Höllentempo von Welthandel, sich selbst revolutionierendem Industrialismus und der damit einher gehenden Börsenspekulation nicht mehr Schritt halten konnten. Der Börsencrash von 1929 setzte allem schönen Schein ein jähes Ende. 

Das, was für viele Nachgeborene aus heutiger Sicht erst allmählich mit dem Kapitalismus identifiziert wird, war in der Weimarer Republik in Reinkultur zu beobachten. Der Kapitalismus als das Prinzip ohne Moral, oder besser, mit nur einer Moral, nämlich dem Profit als Ultima Ratio. Um diesen zu erreichen, war alles erlaubt, mit einer Brutalität, deren Charakter sich aus heutiger Sicht in vielen europäischen Ländern erst langsam im Verständnis abzeichnet. Dass es sich bei dieser These um keine Übertreibung handelt, möge ein kulturelles Indiz beweisen. 

Kein Bühnenstück der Welt hat es geschafft, mit seinen Texten dermaßen in die Köpfe einer gesamten Gesellschaft vorzudringen und über Generationen zu bleiben wie die aus Bertolt Brechts Dreigroschenoper. In seiner 1928 im Theater am Schiffbauerdamm uraufgeführten  Bettleroper, in der die geschäftsmäßige Nutzung der Armut mit dem kriminellen Geschäftsmodell des nackten Verbrechens konkurriert, wird die Quintessenz in Lieder gefasst, deren Sequenzen bis heute im Volksmund sind. Ob für dieses Leben der Mensch nicht gut genug ist, dass erst das Fressen muss und dann die Moral kommt, und dass der Einbruch in eine Bank nichts sei, im Vergleich zur Gründung einer ( gestern, bei einer Aufführung des Berliner Ensembles, bei dieser Zeile brandender Applaus aus dem Publikum!). Jede Verszeile aus dieser grotesken Persiflage auf den nackten Kapitalismus ist bis heute im kollektiven Bewusstsein, und mit wenigen Ausnahmen nur nicht im Kopf derer, die sich mit Politik befassen. 

Die ideologischen Hülsen, die von dem tatsächlichen Charakter eines Wirtschaftssystems, das die asoziale Bereicherung nicht nur begünstigt, sondern zu einem der wichtigsten Geschäftsmodelle entwickelt hat, fliegen all denen, die sie verbreiten, in voller Wucht um die Ohren. Dass sich alle, die den falschen Schein der herrschenden Erzählungen durchschaut haben, nun abwenden, sollte nicht verwundern. Um es deutlich zu sagen: wer den kriegerischen Kampf um Rohstoffe mit den humanistischen und demokratischen Werten des Westens begründet, hätte vielleicht als Figur in Brechts Dreigroschenoper eine Chance gehabt, als zeitgenössischer Kämpfer für die Zivilisation jedoch nicht. 

Die Erosion der politischen Geschlossenheit ist ein Ergebnis des Kapitalismus ohne Camouflage, wie er sich nach dem viel gepriesenen Ende des Kalten Krieges gebärdet hat. Die Armut ist immer noch ein Geschäftsmodell, das demaskiert werden muss und nicht weiter als Sozialpolitik verkauft werden darf. Die Periode der Illusion neigt sich ihrem Ende. 

Was noch ruft Mac, der Verbrecher im Finale der Dreigroschenoper in die Runde?

„Denn wovon lebt der Mensch? Indem er stündlich
Den Menschen peinigt, auszieht, anfällt, abwürgt und frißt.
Nur dadurch lebt der Mensch, dass er so gründlich
Vergessen kann, dass er ein Mensch doch ist.“

Und was antwortet ihm die Spelunkenjenny?

„Wie ihr es immer dreht und wie ihr´s immer schiebt
Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.
Erst muss es möglich sein auch armen Leuten
Vom großen Brotlaib sich ihr Teil zu schneiden.“

 

Cannabis-Diplomatie

Eigentlich sollte die Figur ihren Platz in einer Dreigroschenoper der Neuzeit haben. Der libysche Präsident Muammar al-Gaddafi gilt seit Jahrzehnten als eine der schillerndsten und frivolsten Figuren aus dem Repertoire der globalen Tyrannei. Immer in langen Gewändern und etwas retardiert daherkommend, bebrillt mit einem Spiegelschaufenstermodell der siebziger Jahre, hat er eine wandlungsvolle Politik hinter sich, die nicht die seine ist. Vom aktiven Unterstützer des internationalen Terrorismus hat er sich entwickelt zu einer treibenden Kraft der arabischen Liga und seit einem Jahrzehnt zu einem neuen Freund der europäischen Staatschefs. Gerhard Schröder holte ihn heim ins Reich der westlichen Konferenzteppiche und heute sind die selbst ernannten Architekten der Entente mediterranee, Sarkozy und Berlusconi, regelrechte Freunde des Despoten geworden.

Dabei ist Gaddafi immer ein Terrorist und Diktator gewesen, dessen Unwesen nur durch die Ressource Öl und das Stillhalten des Westens finanziert werden können. Sein Land ist das im Maghreb undemokratischste, nirgendwo wird so gefoltert, die Pressefreiheit derartig mit Füßen getreten, der Korruption derartig gefrönt und nirgendwo in der Region gibt es ein besseres Refugium für Terroristen. Wer sich in seiner Einstellung zu diesem Höllenmenschen geändert hat, ist der Westen, d.h. in diesem Falle Europa, das neben der Ressource Öl immer auch Gaddafis Bereitschaft geschätzt hat, den Korridor afrikanischer Flüchtlinge nach Europa mit seinen Mitteln zu schließen.

Nun, da nach Tunesien, Ägypten, Algerien, dem Jemen und Bahrain auch in Libyen eine anschwellende Volksbewegung zu einem Tag des Zorns als Protest gegen das Gaddafi-Regime aufgerufen hat, stellt sich die Frage, inwieweit Europa aus dem ägyptischen und tunesischen diplomatischen Desaster gelernt hat. Ein erschwerender Begleitumstand für die Lernfähigkeit sind die Flüchtlingsboote, die derzeit die italienische Insel Lampedusa ansteuern und desillusionierte junge Menschen aus Nordafrika an Bord haben. Angesichts der Zahlen, die bis dato eine lächerliche Dimension haben im Vergleichen zu sonstigen gegenwärtigen Migrationsströmen auf dieser Welt, herrscht bereits eine Hysterie in den Hauptquartieren der europäischen Staaten, die nicht nur unangemessen ist, sondern auch noch eine negative Prognose auf die Handlungsbereitschaft der europäischen Diplomatie schließen lässt.

Wir werden sehen, ob wir wieder den Sermon zu hören bekommen, dass auch in Libyen der friedliche Dialog wichtig sei, dass Gaddafi sich doch im Laufe der Jahrzehnte bewegt habe und dass man nie wissen könne, ob er nicht durch radikal islamische Kräfte abgelöst werden könne. Und vielleicht wird man wieder warten, bis eine Volksbewegung den alliierten Schurken aus dem Land getrieben hat und dann im Brustton der Überzeugung verkünden, man werde das neue Libyen nun nach Kräften unterstützen.

Es ist mal wieder eine Probe aufs Exempel.