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Fundstück: Die Vierte Gewalt

01.12.2016

Die Kritik an der Berichterstattung in Deutschland hat die Dimension angenommen, derer es bedarf, um eine Reaktion in Form einer breiten Diskussion unvermeidlich zu machen. Das ist gut so. Wäre es nach den Protagonisten der vierten Gewalt gegangen, so hätten sie sich nicht der Diskussion gestellt. Denn eines ist klar und kann sogar als ehernes Gesetz gelten: Wer ein Monopol innehat, wird irgendwann faul und träge. Und der verfassungsrechtlich konstruierte Widersinn, einem Kontrolleur der öffentlichen Dinge selbst nicht die systemimmanente Kontrolle, aber die Konkurrenz zu nehmen, ist nicht aufgegangen. Das Monopol der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten hat zu einer gesellschaftlichen Krise geführt, die sich um Rolle und Funktion der vierten Gewalt dreht.

Ursache hierfür ist der sehr gut dokumentierbare Sachverhalt, dass sich das Gros der hier versammelten Anbieter seinerseits hinter den Positionen der Bundesregierung versammelt und deren Meinung zum Faktischen erhebt. Der Kritik gegen diese Positionen wird zumeist mit Verdächtigung und Ausgrenzung begegnet und insofern ist der Vorwurf, die vierte Gewalt sei keine vierte Gewalt mehr und näher an dem Konstrukt der Propaganda nicht aus der Luft gegriffen. Dennoch tut es keiner Diskussion gut, immer in die Kiste mit den historischen Schubladen zu greifen. Lügenpresse ist da genauso irreführend wie der von anderer Seite gern geführte Begriff der Verschwörungstheorien. Um es deutlich zu sagen, im immer schwerer werdenden Diskurs um die Grundlagen der Demokratie gehen Vertreter der Bundesregierung mit genauso vielen Verschwörungstheorien hausieren wie die AfD. Auf dem Boden bleiben wäre für alle, die es ernst meinen, eine gute Weisung.

Und es täte wie immer gut, sich an die konkreten Sachverhalte und die Berichterstattung darüber zu halten. Alles andere führt zu den Wirkungsfeldern von Feindbildern, die längst aufgebaut sind und fleißig auf gewaltsame Konflikte hinarbeiten. Dass daran die offiziellen Organe der vierten Gewalt mitarbeiten, ist der Skandal. Noch heute Morgen wurde im Tone der Empörung darüber berichtet, dass in Aleppo sowohl die Strom-,  als auch die Wasserversorgung endgültig versagen und die Bevölkerung unsäglich darunter wie unter den Bombardements darunter leiden. Verantwortlich dafür wird das „Regime“ Assads gemacht. Was verschwiegen wird, sind die gezielten Bombardements auf Wasser- wie E-Werke von Aleppo vor gut einem Jahr durch die USA und deren Alliierte, die die Stadt als finalen Austragungsort für den Kampf gegen Assad und dessen Position in der Pipeline-Politik auserkoren hatten. 

Und gestern noch wurde die Argumentation der russischen Seite angegriffen, die an der Grenze zu den baltischen Staaten stationierten Raketen seien eine Reaktion auf die durch die NATO an der russischen Grenze aufgestellten Raketensysteme. Fällt den Vertretern der vierten Gewalt eigentlich noch auf, dass Russland auf seinem eigenen Territorium auch militärisch machen kann, was es will? Wer bedroht hier eigentlich wen? Sind diese Fragen gar nicht mehr präsent?

So, wie es aussieht, wird das Debakel weiter gehen. Die Vertreter der sich mehr und mehr monopolisierenden Politik sehen nicht die Ursache für den vielen Unmut in ihrer eigenen Handlungsweise, sondern in den Formen der Vertretung des Unmutes. Und die attackierten Vertreter der vierten Gewalt sehen nicht ihr eigenes Versagen in Bezug auf eine ausgewogene Berichterstattung als das Problem, sondern sie prangern die ungebildeten, verblödeten Massen an, die zudem die sozialen Netzwerke fluten. Dass eine Diskussion um die Rolle der vierten Gewalt entbrannt ist, kann als ein gutes Zeichen gewertet werden. Die Protagonisten treten allerdings nicht so auf, als hätten sie gelernt. Sie wollen es auch nicht.

Die Rezension unterstreicht die Notwendigkeit der Existenz

Richard David Precht, Harald Welzer, Die Vierte Gewalt

Manchmal sind die Dinge doch recht einfach, auch wenn sie kompliziert erscheinen. So ist die Notwendigkeit der Existenz des vorliegenden Buches mit der Art und Weise seiner Rezension unterstrichen. Der Philosoph Richard David Precht und der Sozialpsychologe Harald Welzer haben zusammen ein Buch geschrieben, das sich mit der Entwicklung des Journalismus in diesem Land auseinandersetzt. Unter dem Titel „Die Vierte Gewalt. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, die keine ist“ untersuchen sie die unterschiedlichen Mechanismen, die zu dem geführt haben, was vielleicht noch am neutralsten mit dem Begriff des Aufregungsjournalismus beschrieben ist.

Um es vorweg zu nehmen: Die meisten Rezensionen aus dem Metier, das zur Betrachtung stand, sind negativ und sie machen genau das, was die beiden Autoren treffsicher in dem Buch beschreiben. Sie reißen Zitate aus dem Zusammenhang und sie polemisieren gegen die Personen. Und sie belegen ausführlich, dass sie intellektuell mit dem Buch wohl überfordert waren.

Die Überforderung kommt allerdings nicht von ungefähr. Die beiden Autoren zwingen die Leserschaft bereits im ersten Kapitel in eine Auseinandersetzung mit dem Öffentlichkeitsbegriff in der bürgerlichen Gesellschaft, ihrem Strukturwandel und ihrer Idealisierung und den daraus abzuleitenden Notwendigkeiten einer tatsächlichen Demokratisierung. Erst dann begeben sie sich in die Niederungen des real existierenden Journalismus, vor allem den des Politischen, der von einer Aufmerksamkeitsökonomie getrieben und den damit innewohnenden Marktmechanismen bewaffnet die gründliche Recherche genauso verhindert wie den Perspektivenwechsel. Da bleibt von der Politik nicht mehr viel übrig als die sie verkörpernden Figuren, um die es dann exklusiv geht.

Aus diesem Amalgam entsteht ein so genannter Cursor-Journalismus, in dem geringfügige Abweichungen vom Mainstream noch geduldet, aber unterschiedliche Positionierungen, dem Humus des in Demokratien notwendigen Diskurses, bis zur Vernichtung von Reputation und Existenz bestraft werden. Zu gut und zu präsent sind die Beispiele, die als Beleg angeführt werden und zu nah sind noch die Ereignisse wie die Immigrationswelle von 2015/16, die Corona-Krise 2020/22 und der Ukraine-Krieg seit 2022. 

Der konstatierte Vertrauensverlust in die Vierte Gewalt ist durch unterschiedliche Untersuchungen und Befragungen belegt und keine originäre These des vorliegenden Buches. Es untersucht lediglich die Ursachen und verweist auf einen desaströsen Verfall des journalistischen Handwerks.   Und es räumt auf mit dem immer wieder sich aufdrängenden Eindruck, die Politik, schlimmer noch, die Regierung steuere eine gleichgeschaltete Presse. Ganz im Gegenteil. Es wird sehr plausibel dargelegt, dass eine Machtverschiebung dafür gesorgt hat, dass die Politiker von einer effektsüchtigen wie meinungsuniformen Presse getrieben werden wie das Wild im Herbst.

Aufgrund der anspruchsvollen Argumentationsführung, die immer wieder theoretische Exkurse erfordert, stellt sich die Frage, wen das Buch erreichen soll? Diejenigen, die der Beweisführung folgen können, werden sich schlicht bestätigt fühlen. Andere wiederum sind vielleicht zu schnell verschreckt und legen das Buch beiseite. Und die Kritisierten werden sich nicht überzeugen lassen. Vielleicht ist es ja auch ein Hinweis darauf, dass man der gesellschaftlichen Wahrheit ohne Mühen nicht nahekommen kann. Das wäre, neben den vielen guten Beobachtungen und Argumenten, eine wertvolle pädagogische Intervention. Die Lektüre sei unbedingt empfohlen!

  • Herausgeber  :  S. FISCHER; 2. Edition (28. September 2022)
  • Sprache  :  Deutsch
  • Gebundene Ausgabe  :  288 Seiten
  • ISBN-10  :  3103975074
  • ISBN-13  :  978-3103975079
  • Abmessungen  :  13.2 x 2.79 x 21 cm