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Das Schreiben über Krieg, Demokratie und die Wahrheit

Seitdem die Waffenruhe in der Ost-Ukraine gilt, ist das Klirren der Unzufriedenen unüberhörbar. So, als sei die ganze Berufssparte enttäuscht über die unter großem Kraftaufwand zustande gebrachte Einigung, lechzen Zeitungen wie Fernsehsender gierig nach Gründen, warum die Waffenruhe hinfällig ist. Es ist unglaublich, aber wahr. Die öffentliche Meinung in der Bundesrepublik tendiert Richtung Bedauern über das Abwenden heißer Kriegshandlungen in der Ost-Ukraine. Keine, tatsächliche keine Situation nach dem II. Weltkrieg wurde von den Massenmedien derartig in eine Kriegslegende gepackt wie die heutige. Die Tageszeitung mit der höchsten Auflage appellierte schon immer an das tief in den Eingeweiden sitzende Ressentiment. Dass nun aber auch alles, was den bürgerlichen Mittelstand bedient, in dieses Horn stößt, dokumentiert den Ernst der Lage. Dass dabei sogar zu Dokumentenfälschungen gegriffen wird, um die vermeintlich gegnerische Seite der Verletzung von Vereinbarungen zu bezichtigen, zeigt, dass das Diktum, von deutschem Boden dürfe nie wieder ein Krieg ausgehen, eine romantische Verklärung eines falsch verstandenen Erbes geworden ist.

Es bringt nichts, die Kausalität des Konfliktes noch einmal, zum XXXXXXten Male, zu illustrieren. Logik und historische Authentizität sind unerheblich geworden. Mittlerweile existiert eine Kanaille in diesem Land, und keine aus Steuergeldern schlecht bezahlte, der jedes Mittel recht ist, um die Krise zu verschärfen. Da hilft nur die deutliche Polarisierung. Der Konflikt ist der martialische Vater der Erkenntnis.

Obwohl manche dieser Organe, die jetzt die Weise des Krieges anblasen, selbst bestimmte Verhältnisse enthüllt haben, die Anlass geben, an der so inszenierten Wehrhaftigkeit zu zweifeln. So z.B. der Bericht des Spiegel, dass seit Jahren Flüchtlinge, die über die Ukraine nach Europa wollen, dort aufgegriffen und ohne Verfahren bis zu mehreren Jahren ins Gefängnis gesperrt werden. Allein der Verdacht, dass die armen Teufel in einem EU-Staat einen Asylantrag stellen könnten, gilt bei den ukrainischen Sicherheitsbehörden für hinreichend, um stante pede zu inhaftieren. Die berstenden Knäste des Landes und die notwendigen Anbauten werden derweilen von der EU bezahlt.

Wie soll man so etwas nennen? Putative Freiheitsberaubung mit EU-Subvention? Oder ist es der Einkauf einer dreckigen Truppe, um den eigenen Vorgarten vor Eindringlingen aus einer Welt der Bedürftigkeit sauber zu halten? Abscheulich ist es allemal und es verrät die Mentalität, mit der die Aktionen der EU zunehmend durchdrungen sind. Ein Plädoyer für die Freiheit ist das nicht. Vielmehr handelt es sich um die zähnefletschende Verteidigung eines Besitzstandes, der nicht nur aus redlicher Arbeit resultiert.

Zurück zur schreibenden Zunft. Oft wird moniert, die heutigen Journalisten hätten kaum noch Spielräume, sie seien schlimmen Rationalisierungen ausgesetzt, für vieles sei kein Geld mehr da und deshalb arbeite man auch mit Textbausteinen. Und es fehle an Qualität was die Beherrschung journalistischer Techniken anbetrifft. Stimmt, das alles mag zutreffen und die Arbeit nicht leicht machen. Nur, so die nicht unbedingt neue Frage, was nützen alle Techniken, wenn es keine Haltung gibt, denen sie zu dienen hat. Ohne klare Positionierung, ob man für oder gegen den Krieg ist, sollte kein Mensch die Feder ergreifen und darüber schreiben, ohne deutliche Stellung darüber, ob die Ideen der Demokratie etwas Universales sind, sollte niemand die Impertinenz besitzen, sie woanders anzumahnen und ohne den Willen, die Wahrheit zu finden, und sei sie auch noch so unbequem, sollte niemand darüber nachdenken, über Politik zu schreiben. Es scheint, als sei eine ganze Generation dieser Berufsgruppe nie mit den entscheidenden Fragestellungen konfrontiert worden.

Die Kritik im digitalen Zeitalter

Die digitale Revolution hat vieles hervorgebracht. Vor allem Beschleunigung durch Übertragungsgeschwindigkeit und omnipräsenten Zugriff. Gerade diese Phänomene werden sehr gerne als die Bahn brechenden Errungenschaften beschrieben. Nicht selten werden ihnen auch demokratische Tugenden zugeschrieben. Bei jedem Volksaufstand wird dieses Momentum wiederholt. Und nicht zu Unrecht wird bemerkt, dass Ausgangs- und Nachrichtensperren, verhängt durch diktatorische Regimes, keine Wirkung mehr haben. Zumindest bei jenen, muss eingeschränkt werden, die digitale Technologie zur Verfügung haben. Was auffällt, ist das das momentan Subversive z.B. nach einem Sturz nicht mehr weit recht. Qualitative Änderungen, die den Aufbau eines neuen, demokratischen Systems mit entsprechenden Institutionen zugrunde liegen müssen, gelingen nicht.

Spätestens im 17. Jahrhundert fand die Kritik als das Mittel der Meinungsbildung in Europa Einzug in die gesellschaftliche Entwicklung. Der Etablierung dieses Denkinstrumentes ist alles zu verdanken, was die zivilisatorische Entwicklung und die Etablierung der bürgerlichen Gesellschaften ausmacht. Der durch die Kritik verursachte gesellschaftliche Diskurs, die Legalisierung von Rede und Gegenrede, der damit verbundene Wechsel der Perspektiven, die Beschreibung und Bewertung von Meinungen und Zuständen, bildete sich in einem fortan dialektischen Prozess heraus, der nicht immer zu vernünftigen Schlüssen führte, aber dennoch das Despotische und Eindimensionale verbannte.

Vor allem mit der massenhaften Verbreitung der Social Media wurde, gemäß der Funktionsweise der digitalen Technik, die dieser zugrunde liegt, das binäre System der Betrachtung kulturell verankert. Die auf das Duale reduzierte Option von Like und Dislike ist mittlerweile in vielen Köpfen verankert. Zumeist handelt es sich dabei um die tatsächliche Entsprechung der englischen Begrifflichkeit von Gefallen und Missfallen und schließt, neben der Dualreduktion, auch noch eine rationale Betrachtung aus. Es handelt sich um das Ende der Kritik.

Umso logischer ist es, dass genau das stattfindet, wenn die klassischen Foren der Kritik untersucht werden. Das exklusiv den in den Social Media sozialisierten Zeitgenossen zur Verfügung stehende Denkwerk reduziert sich auf diese beiden Kategorien. Elektronisch kommunizierte Kritiken im klassischen Sinne finden sich in dieser Ödnis wieder. Rezensionen von kulturellen Werken werden gelikt, wenn sie dem Weltbild der Lesenden entsprechen und sie werden dislikt, wenn dieses nicht der Fall ist.

Allein der einfache Sachverhalt, dass z.B. eine Rezension im Sinne der Kritik gut geschrieben ist, spielt dabei keine Rolle. Sie kann sogar brillant sein, d.h. sie kann den Gegenstand der Betrachtung erfassen und beschreiben, sie kann die verschiedenen Dimensionen skizzieren, sie kann die unterschiedlichen Aspekte herauskristallisieren, sie kann die Stärken und Schwächen akzentuieren, sie kann die eigenen Maßstäbe kommunizieren und zu einem Urteil kommen, dessen Zustandekommen nachvollziehbar ist, alles vergeblich. Sie kann denen, die das Werk erschaffen haben, wiederum ihre handwerkliche Qualität wie ihr kreatives Potenzial bestätigen und sie kann ihre Motivlage illustrieren, es ändert nichts. Werden die gegebenen Urteile und Vorurteile nicht bestätigt, erfolgt in der Regel ein Dislike, weil bei der permanenten Öffentlichkeit des Urteils ansonsten die Gefahr aufleuchten könnte, in der Nähe einer Position zu sein, die dem politischen Mainstream widerspräche.

Im Grunde genommen haben wir es mit der Liquidierung der Kritik als Instrument des aufklärerischen Denkens zu tun. Auch wenn es sie noch gibt: Das Reservoir derer, die sie noch beherrschen, ist bedroht. Gleich voll gefressenen Aristrokraten im untergehenden Rom sitzt ein pauperisiertes Publikum vor dem Display auf dem Sofa und senkt oder hebt den Daumen über die geistigen Leistungen, die den Treibstoff für die Zivilisation der letzten Jahrhunderte ausmachten. Dies ist ein sangloses Ende eines heroischen Zeitalters. Bleibt zu hoffen, dass sie sich lange wehrt, die beißende Kritik.

Brennstoff für ein selbst bestimmtes Leben

Vielen wird in diesen Tagen deutlich, dass die spontane Geste, auf die man sich in der Vergangenheit so schön reduzieren konnte, nicht mehr ausreichen wird. In der Vergangenheit reichte sie nämlich auch nicht, nur war sie billig zu haben und sie wurde gefeiert. Das Problem, mit dem Gesellschaften wie Frankreich, Großbritannien und Deutschland konfrontiert sind, greift tief. Sehr tief. Und die Erklärung dafür, warum diese Gesellschaften auf einen Punkt zudriften, an dem ihre Statik nicht mehr hält, ist alles andere als einfach. Bei schnellen Lösungen, die jetzt in den Äther gedroschen werden, ist Vorsicht geboten. Und es notwendig, sich von einer Spurensuche fernzuhalten, die nach Schuldigen sucht. Das wäre das Ende. An diesem Prozess, der die Gesellschaften zu spalten droht, waren alle beteiligt, die vermeintlich Guten genauso wie die Schlechten.

Daher ist es ratsam, vielleicht nur im Staccato Fehler aufzuzeigen, die essenziell auf die jetzige Situation wirken, und die Befindlichkeiten außen vor zu lassen. Und es ist ebenfalls ratsam, die Frage zu stellen, die sich momentan viele Menschen stellen, weil sie die Entwicklung nicht einfach so hinnehmen wollen: Was kann ich tun? Was ist erforderlich, um aus einer Krise den Saft der Chance zu ziehen? Alles andere scheint nicht weiter zu führen. Und für derartige Übungen ist die Zeit zu kostbar.

Bei der Erklärung der Umstände, die zu einer politischen Radikalisierung führen, mögen zwei Dinge genannt sein, die schwerwiegend sind. Erstens hat sich die Bundesrepublik nie auf ein zeitgemäßes Recht der Staatsbürgerschaft einigen können. Das ius sanguinis, das Recht des Blutes, gilt bis heute, mit der seichten Einschränkung des Doppelpasses. Das ius solis, das besagt, Menschen, die auf dem Territorium der Republik geboren werden, sind sofort Bürgerin oder Bürger dieses Staates, ist aus Furcht vor „Überfremdung“ genauso wenig in Kraft wie eine nachvollziehbare und transparente Einwanderungspolitik.

Anstatt auf der bürgerlichen Gewissheit aufzubauen, dass die Religion das Recht eines jeden Individuums sei, hat mit der Einwanderung der Muslime ein wohl gemeintes, aber falsches Verständnis ihnen gegenüber Raum gewonnen, dass die eigene Befindlichkeit politisch weit zurück geworfen hat. Anstatt das individuelle Recht auf Religionsausübung zu respektieren, die Religion aber aus den politischen Prozessen und vor allem dem Staat herauszuhalten, wurden zunehmend Koran-Texte gelesen, um die Friedlichkeit des Islam nachzuweisen. Es hält ab von der einfachen Erkenntnis, dass der Islam vor einer Aufklärung steht. Die des Christentums hat mindestens fünfhundert Jahre gedauert. Und diese Dimension zeigt, wie lange alle, die guten Willens sind, die Verwerfungen in dieser barbarischen Form wohl noch ertragen werden müssen.

Und dann ist da der Prozess der Entmündigung und Verfettung. Demokratien leben von Auseinandersetzung und der Aktivität der Bürgerinnen und Bürger. Der Wohlstand, der nach dem II. Weltkrieg in Westeuropa hat angehäuft werden können, hatte etwas zu tun mit der Teilhabe derer, die ihn im Industriezeitalter schufen. Die Organisationen, die einst die Schlagkraft großer Teile der Gesellschaft ausmachten, führten aber auch zu einer Passivierung ihrer Mitglieder. Der Wohlstand hat deaktiviert und die Demokratiefähigkeit geschwächt.

Jeder Mensch, der sich jetzt auf die Freiheiten und Rechte der bürgerlichen Gesellschaft besinnt, hat die Chance, sein Leben zu ändern. Politik, die betrifft, findet jeden Tag in tausenden von Situationen statt. Die Entscheidung trifft jeder von uns. Nehmen wir hin und verweisen in ferne Parlamente oder widersprechen wir vor Ort, fordern wir Respekt, wenn es angebracht ist und reichen wir die Hand, wenn wir helfen können? Das selbst bestimmte bürgerliche Leben ist gefragt, und keiner ist außen vor.