Schlagwort-Archive: Demagogie

Proteste: Tesla oder BILD?

Es ist bemerkenswert, wie sich die Sichtweisen verschoben haben. Das Halali, welches eine monopolisierte Presse bläst, scheint für alle, die sich auf dem Feld der Meinungsbildung tummeln, das verbindliche Signal zu sein. Zuerst und zubitterst sieht man das bei einer substanzlosen politischen Kaste, die sich auf alles hetzen lässt, was von den Marionettenspielern im Hintergrund auserkoren wird. Das beste Beispiel ist das der aktiven Parteinahme in einem imperialistisch inszenierten Krieg in der Ukraine. Die Schößlinge der monopolistisch veröffentlichen Meinung merken dabei nicht einmal mehr, dass sie wortgetreu den Ressentiments der alten Nazis folgen. Heutige Minister reden wie die Galgenvögel aus der Reichspropagandaabteilung während des II. Weltkrieges und niemand, bis auf die längst als aussätzig Erklärten und wo möglich Relegierten scheint es zu bemerken. Der Geist des historischen Faschismus ist längst zurück. Und zwar mitten in Regierung und Parlament.

Dass die Art der Verhetzung keine Grenzen mehr kennt,  liegt an der Willfährigkeit derer, die über Jahre hinaus an die beschämende Schlichtheit der Massenbeeinflussung gewöhnt wurden. Machen Sie einmal den Test und stellen sich vor, wie manche Tagesmeldungen von heute vor zwanzig Jahren auf die damals noch nicht gemietete,  sondern real existierende Zivilgesellschaft gewirkt hätte! Es hätte einen Sturm der Entrüstung gegeben, auch aus den Medienhäusern, in denen noch Menschen saßen, die das Handwerk des Journalismus in Übersee gelernt hatten und das damals auch dort noch seiner Aufgabe nachkam: die Mächtigen zu kontrollieren.

Stattdessen wurde der Boulevard zum Qualitätsmaßstab erhoben und es vergeht kein Tag, an dem nicht mit Hass und Hetze auf das Publikum eingewirkt wird. Und, bitte achten Sie auch darauf, diejenigen, die am lautesten gegen Hass und Hetze schreien,  sind diejenigen, die dieses Medium lediglich als Monopol für sich reklamieren. Keine Plattitüde ist ihnen zu frivol, und kein Amt zu heilig, um es nicht mit den eigenen Wort-Fäkalien zu beschmieren.

Und wieder werden wir Zeugen, wie weit das führen kann. Ein Beispiel sind die Elektroautos aus den Fabriken eines amerikanischen Milliardärs. Die waren vor einiger Zeit noch Referenzstücke für einen neuen Zeitgeist und sind nun zum Hassobjekt gegen eine nicht mehr genehme Politik verkommen. Und die Fahrt ist frei für Kampagnen gegen das Industrieprodukt bis hin zur öffentlichen Begeisterung über dessen Demolierung. Wenn man dokumentieren will, wie weit eine Gesellschaft mental und intellektuell am Boden liegt, dann sehe man sich diese Form der Verirrung an. 

Es sei denn, man richtete seine überall befeuerte Wut gegen die Stellen, die diesen ganzen Irrsinn initiieren und in Massenproduktion verfertigen. So etwas gab es auch in der Geschichte der Bundesrepublik schon einmal. Da wandte sich ein Teil der Gesellschaft gegen die medialen Demagogen und Kriegstreiber.  Da wurde die Auslieferung dieser Hetzblätter verhindert und die Initiatoren an den Pranger gestellt. 

Bei der gegenwärtigen, politisch hoch brisanten und gefährlichen Lage, wäre vielleicht doch noch einmal zu überdenken, ob eine Ansage an den Produzenten von Tesla tatsächlich etwas bewirkte oder ob es nicht angebrachter wäre, den Springern und Schaubs und den vermaledeiten Mediengruppen ab und zu martialische Grüße zu schicken, damit sie realisierten, dass das Feuer, das sie täglich schüren auch dazu führen kann, dass sie selbst sich gehörig die Finger verbrennen. 

Proteste: Tesla oder BILD?

Yes, it’s the fucking Economy

Manchmal liegt die Wahrheit auch im Falschen. Boris Johnson, der neu entdeckte Teufel in der internationalen Politik, der sich aufgemacht hat, Großbritannien in einen ungeregelten Brexit zu treiben, hat mit der Instinktsicherheit eines Demagogen den Slogan gefunden, mit dem er große Teile der Bevölkerung fangen kann. Fuck the Economy. Mit diesem Satz, der alle, die von der bestehenden Wirtschaftslogik vereinnahmt sind, in das blanke Entsetzen treiben muss, hat er den Nerv der Zeit getroffen. Denn die Wirtschaft und die in ihr dominierenden Maximen sind verantwortlich für viele Erscheinungen, die die Menschen zunehmend in Angst und Schrecken versetzen. 

Machen wir uns nichts vor: Die Globalisierung wird vorangetrieben von der neoliberalen Interpretation des Wirtschaftens. Überall und immer geht es um Bodenschätze, Treibstoffe und billige Arbeitskräfte. Und es geht um die Schaffung neuer Märkte und die Eroberung anderer, noch unberührter Märkte. Das, was funktioniert oder funktionieren könnte, wird durch eine anonym erscheinende Kapitalmasse niedergemacht und für die Maximierung der großen, globalen Player sturmreif geschossen. Entweder über den Schuldenknüppel oder mit ballistischem Werkzeug.

Und so kommt es, dass lokale Märkte zerstört werden und die Menschen, die dort ihre Arbeit verlieren und keine neue mehr finden, sich aufmachen, um woanders ihr Glück zu versuchen. Dass das allerdings mit Glück nichts zu tun hat, merken sie sehr schnell, wenn sie dort ankommen, wohin man sie treibt. Sie unterbieten die Preise derer, die dort noch Arbeit haben, und sie merken schnell, dass das auch so kalkuliert war. Und die, die im neuen Paradies ihre alte Arbeit verlieren, sind entsetzt über die, die zu niedrigen Preisen hinzugekommen sind. Wir reden hier nicht nur über Afrikaner, die in Süditalien oder Andalusien nun in der Landwirtschaft unterwegs sind, weil EU-Zölle die Produkte aus ihrer eigenen Heimat unverkäuflich gemacht haben. Wir reden hier auch und vor allem über Polen, die es nach Großbritannien und Deutschland trieb, wir reden über Portugiesen die in Frankreich, Deutschland und England ihre Arbeitskraft anbieten, über die Rumänen in Italien und all die aus dem Balkan, die nach Zentraleuropa kommen. Machmal, wie im letzten Fall, war nicht die Zerstörung der Märkte die Ursache, sondern die Zerschlagung ihre Staates.

In einem Land wie Großbritannien, das seit der wenig glorreichen Inszenierung des Wirtschaftsliberalismus aus der Zeit einer Margaret Thatcher zudem darauf setzte, sich endgültig aus der Wertschöpfung zu verabschieden und sich exklusiv auf die Finanzmärkte zu konzentrieren, können ca. 4 Millionen ehemalige Proletarier, deren Arbeit niemand mehr braucht, ein Lied davon singen, was The Economy ihnen in den letzten Jahrzehnten angetan hat. Ihnen zuzurufen, Fuck The Economy, ist ein kluger Schachzug, weil es aus ihrem eigenen Munde stammen könnte.

Dass ein Boris Johnson genau zu der Klasse gehört, die Großbritannien auf diesen Weg der sozialen Zerstörung geführt haben, schert den Demagogen wenig. Und es sollte nicht dazu führen, ihm für diese Äußerung Applaus zukommen zu lassen. Nichtsdestotrotz hat er Recht. Es sind nicht die armen Teufel, die, getrieben von dem Zerstörungswerk der internationalen Kapitalmärkte aus ihren Ländern vertrieben und auf neue Arbeitsmärkte getrieben werden, die das Leben derer, die bereits dort ihr Leben finanzieren wollen, bedrohen. Es ist tatsächlich die Ökonomie, dieses abstrakte Unwesen, das die Lebensgrundlagen systematisch zerstört. Die Art und Weise, wie diese Ökonomie funktioniert, wurde zum Leitmotiv von Politik. Das zu ändern, darum geht es.

Das Dramatische ist die Verblendung

Ein Bekannter, der sich in den letzten Monaten in verschiedenen asiatischen Ländern aufgehalten hatte, schilderte seine Eindrücke über die Berichterstattung der Ereignisse, die sich hier in Europa zutrügen. Das schlimmste, was er in den dortigen Medien erlebt habe, seien die Berichte über die französischen Polizeieinsätze gegen die eigene Bevölkerung gewesen. Immer wieder sei er gefragt worden, was denn in Europa bloß los sei, dass eine Regierung dermaßen ungezügelt gegen das Volk vorgehe. Und tatsächlich hätten die Bilder, die er dort gesehen hätte, dieses Entsetzen unterstützt. 

Ich frage mich, was das geschilderte Szenario wohl bei denen auslösen würde, die sich  momentan im Europawahlkampf befinden? Bei den Mitgliedern der Regierung bin ich mir ziemlich sicher. Sie hätten sehr schnell Begriffe wie Fake News im Mund und würden versuchen, die großen, massenhaften Proteste gegen eine Politik, die sehr viel mit dem zu tun hat, was die Europaidee bis auf die Grundmauern diskreditiert hat, einfach zu verharmlosen oder gar zu leugnen. Täglich ist zu erleben, wie die Proteste gegen eine Europa zerstörende Politik entweder instrumentalisiert oder ignoriert werden. Gestern war wieder so ein Tag, der den Zweifel über die Unparteilichkeit der Medien ausräumte: Während die Demonstrationen in Großbritannien für den Verbleib in der EU großen Raum einnahmen, fand der Militäreinsatz in Paris gegen die seit Monaten anhaltenden Massenproteste kaum Beachtung.

Einmal abgesehen davon, dass der Brexit auch eine Reaktion auf eine europäische Politik ist, die vor allem darauf ausgerichtet war, die militärisch-industriellen Komplexe in Deutschland und Frankreich wie den Finanzsektor in Großbritannien zu großen Zuwächsen zu verhelfen, während andere Länder und Regionen verarmten, ist das Ausmaß der Proteste gegenwärtig in Großbritannien wie Frankreich im Maßstab zur Nachkriegsentwicklung, also seit 1945, beispiellos. Nie gab es gegen eine Wirtschaftspolitik und deren Auswirkungen derartig massenhafte und nachhaltige Proteste. Wenn man so will, erlebt Frankreich gerade seinen 17. Juni. Und das unter der Regierung eines hierzulande als europäischer Hoffnungsträger titulierten Präsidenten.

In diesem Zusammenhang eine kritische Perspektive als Populismus zu bezeichnen entbehrt nicht einer Dreistigkeit, die gefährliche Züge trägt. Das Dramatische an dieser Denkfigur ist die eigene Verblendung. Da sich die argumentativen Chiffren nie ändern, ist davon auszugehen, dass ein gehöriger Teil der für das Desaster Verantwortlichen sich darauf geeinigt hat, dass die Kritik am Zustand des gegenwärtigen Bündnisses nichts anderes sei als das Werk von Populisten und Demagogen. Und, so hört man täglich aus prominentem Munde, dass zwar vieles kritisch sei, aber längst nicht so kritisch, wie behauptet. Und selbstverständlich liege die Lösung in einem Weitermachen wie bisher, was immer wieder in der Formulierung vom notwendigen Mehr statt Weniger Europa.

Sie sind verblendet und sie sind verbockt und sie wollen auf keinen Fall in die Verantwortung für den gegenwärtigen Zustand gezogen werden. Deshalb wird dieser beschönigt. Und wie von Zauberhand erscheint plötzlich zunehmend der Begriff der Vereinigten Staaten von Europa auf. Doch das ist etwas anderes als das, was in den letzten Jahren propagiert wurde. Vereinigte Staaten von Europa beinhalten eine klare Linie der Souveränitätszuordnung. Das ist das, was heute wahrscheinlich die große Mehrheit der 500 Millionen Europäerinnen und Europäer wollen. Es ist die letzte Option, die auf dem Tisch liegt. Sie denen zu überlassen, die den jetzigen Zustand zu verantworten haben, wäre unverzeihlich.