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Ein goldener Schuss, ein Raubzug und eine Legende

Die Schönheit ist längst gestorben. Dafür geht es um zuviel. Wer verliert ist draußen, da leidet der Hang zur Ästhetik gewaltig. So verwundert es nicht, dass auch die anderen beiden Viertelfinalspiele in hohem Maße von Taktik, Disziplin und dem Motiv dominiert wurden, Fehler zu vermeiden. Denn entschieden werden derartige Spiele entweder durch das, was im Slang des Metiers als individuelle Fehler bezeichnet wird oder den Geniestreich eines einzelnen. Passiert beides nicht und geht dennoch ein Sieger vom Platz, so war es dann das pure Glück oder die Stunde des Systems, erdacht und bestimmt vom Trainer.

Argentinien bezwang ein juveniles Belgien, ohne Glanz, mit viele Härte und eiserner Konsequenz und einem goldenen Schuss von Higuain, der so wirkte wie die Metapher, er zerstörte den Traum des europäischen Überraschungsteams wie bei einem tödlichen Trip. Das Tor selbst viel aus dem Nichts, ein abgefälschter Ball, den der Argentinier Volley nahm und in die Maschen versenkte. Danach kämpfte Belgien mit großer Wucht, aber die europäisch wirkenden Argentinier, die zumeist in Europas Ligen ihr Zuckerbrot verdienen, waren zu abgeklärt, als dass sie noch etwas zugelassen hätten.

Costa Rica, der amerikanische Sonnenstaat, war schon bei Anpfiff wesentlich weiter als kalkuliert und machte es der alten Kolonialmacht der Niederlande schwer. Der Trainer Costa Ricas, Jorge Luis Pinto, ein kleinwüchsiger Mann, der im eigenen Land auch General Gnadenlos genannt wird, hatte sich reiflich überlegt, wie er die holländischen Angriffsstürme zu überleben gedachte. Das hatte tatsächlich etwas von einem nationalen Befreiungskampf. Die Mannschaft, die seine taktischen Finessen ausführte, avancierte in diesem Match zu einer anti-kolonialen Ikone. Sie ließen tatsächlich nichts zu, auch wenn die Invasionstruppen um Robben und van Persie über Waffen verfügten, die weit überlegen waren und zuweilen mit Methoden operierten, die jenseits der guten Etikette lagen. Sie bezwangen Costa Rica weder nach 90 noch nach 120 Minuten.

Erst beim offenen Duell, dem Elfmeterschießen, da holte das Pendant von Pinto, van Gaal, der sich auch gerne den General nennen läßt, einen Fremdenlegionär aus dem Keller, dem bei seinem Gang ins Tor nur die berühmte Kette mit der Kugel fehlte. Wahrscheinlich hatte van Gaal diesem Krul, wie er sich nannte, die bedingungslose Freiheit versprochen, wenn er dieses eine Mal reüssierte. So war es auch, aber wohl eher, weil die vom langen Kampf zermürbten Costa Ricaner die Konzentration eingebüßt hatten. Costa Rica ging unter, erhobenen Hauptes, wie eine Nation, deren Zukunft noch vor sich liegt und die Niederländer kehrten noch einmal, abgenutzt, aber lädiert, mit dem Schatz eines dennoch gelungenen Raubzuges und einer weiteren Legende im Seesack in den Heimathafen zurück.

Obwohl das Spiel Argentiniens gegen Belgien auf einem fußballerisch anderen, weil höheren Niveau stattfand, wirkte es teilweise fade, weil die Emotionen, an die wir uns bei diesem Turnier so gewöhnt haben, einfach fehlten. Da bot das Drama zwischen den Niederlanden und Costa Rica wesentlich mehr, weil wieder mal ein David sich anschickte, dem Riesen Goliath heimzuleuchten. Und obwohl es nicht gelang, öffneten sich denen ungeahnte Horizonte, die sich bei dem profanen Spiel des Fußballs daran ergötzen, die Metaphern zu deuten, die gleich einer Fata Morgana bei einzelnen Spielszenen aufblitzen. Das liefern die Spiele, bei denen Ungleiches aufeinandertrifft, in Hülle und Fülle und dafür sollten wir dankbar sein. Das Unerwartete, wie sollte es anders sein, gibt nicht nur dem Leben, sondern auch dem Fußball das Flair, dem wir so gerne den Titel des Lebenswerten verleihen.

Das kalte Herz des Jägers

Wer bei der Begegnung zwischen den Niederlanden und Mexiko auf eine eindeutige Angelegenheit der ersteren gesetzt hatte, wurde bitter enttäuscht. Eigentlich war es das Spiel Mexikos. Im Gegensatz zu ihren bisherigen Partien wartete Louis van Gaal mit einer Taktik auf, die dem bisherigen Verlauf des Turniers entsprechend das Attribut europäisch verdient hat. Abwarten, den Gegner kommen lassen, auf Sicherheit spielen und auf die Chance zum Gegenschlag lauern. Oranje spielte ohne Verve und Esprit, das Team wirkte wie ausgetauscht und lieferte besonders in der ersten Hälfte eine müde Vorstellung. Davon, den Löwen nicht untergehen zu lassen, war nichts zu bemerken.

Mexiko dagegen trat nicht nur couragiert auf, war gewohnt technisch gut und spielte sich mehrere Gelegenheiten heraus. Zu Beginn der zweiten Hälfte wurden sie mit einem sehenswerten Tor belohnt. Danach befreiten sich die Niederländer zwangsläufig von der selbst verordneten, auf Sicherheit zielenden Spielweise und versuchten auf Angriff zu spielen. Auch das war jedoch nicht überzeugend und Gefahr drohte immer nur dann, wenn Robben den Ball bekam und im Strafraum auf Elfmeter spielte. Das misslang zunächst und bis kurz vor Schluss sprach alles für ein verdientes, erkämpftes Weiterkommen Mexikos.

Doch dann holte van Gaal van Persie vom Platz und brachte einen Mann, den sie den Hunter nennen, Jan Klaas Huntelaar. Er war es, der das Spiel drehte. Zunächst gab er eine Flanke per Kopfball auf den gut und glücklich postierten Wesley Snijder zurück, der fünf Minuten vor Schluss mit einem gelungenen, wuchtigen Schuss das 1:1 erzielte. Und wiederum wenige Minuten später bekam Robben dann endlich, beim vierten oder fünften Versuch, den Elfmeter, diesmal sogar berechtigt. They call me the hunter, and that´s my name nahm sich kurz entschlossen den Ball und verwandelte den Strafstoß mit kaltem Herzen.

Wer glaubt, der Sieg der Niederländer sei das Ergebnis einer genialen taktischen Leistung, unterliegt einem Trugschluss. Es war das Glück, das selbst in wenigen Momenten auch dem Arroganten beschieden ist. Sollten daraus Analogieschlüsse für die nächsten Begegnungen europäischer gegen amerikanische Mannschaften auf diesem Turnier gezogen werden, so können sie nur ins Verderben führen. Wer sich dort nicht der Herausforderung des emotionalen Kampfes stellt, der wird bittere Enttäuschungen erleben. Das Bild sei erlaubt: Europa verwaltet die Verteilung des Kuchens, Amerika kämpft unerbittlich nicht um ein großes Stück davon, sondern um ihn in seiner Gesamtheit. Das hat symbolischen Charakter, es zeigt Tendenzen der globalen Entwicklung und dass nun auch die ansonsten weltbewanderten Niederländer zu provinziellen Kleingeistern mutierten, löst eine gewisse Traurigkeit aus. Noch reichte das kalte Herz des Hunters, ein zweites Mal wird ein solcher Schachzug nicht reichen.

Griechenland, im Spiel gegen Costa Rica, zeigt sich auf diesem Turnier unbeirrt von seiner kämpferischen, alles andere als hinhaltenden und einschläfernden Seite. Auch hier zeigt sich, dass die Lage der Nation auf dem Grünen Rasen immer eine Rolle spielt. Die Griechen, die in den vergangenen Jahren so gelitten haben, teils wirtschaftlich, was enorm ist, aber auch in Bezug auf ihr Selbstwertgefühl, zeigen eine Reaktion, die die richtige ist. Die Nation ist zu groß, sie ist zu wichtig als dass sie es sich erlaubte, depressiv im Staube zu versinken. Da ist Kampf die angemessene Antwort. Egal, wie es in dieser Nacht noch ausgehen wird, mit der vorher gesehenen Mentalität, einen abgezockten Coup landen zu wollen, ist weder bei Griechenland noch bei Costa Rica zu rechnen.

Der Flaneur mit den Kroko Schuhen

Um es gleich zu sagen. Die ersten Spiele besagen noch gar nichts. Abgerechnet wird am 13. Juli. Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Auch wenn die Niederlande Spanien demontierte, der stolpernde König kann sich noch erholen. Und auch wenn Costa Rica das stämmige Uruguay im Schweiße unaufhaltsamer Euphorie niederkämpfte, am Lohntag wird sich zeigen, wer gebummelt hat. Selbst Griechenland hat immer wieder bewiesen, dass es nicht so schnell stirbt, wie die Tagesbörse glaubt. Ein Spiel jedoch hat gezeigt, was sich wohl auch in diesem Turnier nicht mehr ändern lässt. Wenn alte, imperiale Größen aufeinander treffen, dann ist vieles gesetzt. Italien gegen England war wieder einmal so ein Spiel.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Die Deutschen mögen die italienischen Tugenden nur in der Gastronomie oder im Urlaub, aber nicht im Fußball. Da bilden sie eine Klasse, an die die Helden aus Germanistan nur selten heran reichen. Der Reporter im deutschen TV dokumentierte bereits sehr früh, woran das meistens scheitert. Man kann das Spiel der Italiener nicht lesen. Diese wussten sehr genau, welchen Belastungen sie über die Gesamtdauer des Spieles ausgesetzt sein würden. Deswegen spielten sie lange Zeit One-Touch-Stafetten und ließen die motivierten Engländer laufen, die nach Jahren der Capello-Intervention zu begreifen scheinen, was Spielkultur ist, aber ihren Meister gefunden hatten. Und als der Kommentator bereits von italienischen Verzweiflungstaten sprach, schossen diese das Führungstor. So kann es kommen. Und zu Boden gehst du nur, wenn du den Schlag nicht kommen siehst, das wusste schon Muhammad Ali.

Inszeniert durch ihr Genie Andrea Pirlo! Er allein ist es wert, sich die Spiele Italiens anzuschauen. Er, von dem man glaubt, es flaniere ein Gigolo in Kroko Schuhen mit einem Schoßhündchen an der Leine über eine üppige Wiese der Po-Ebene und der dann plötzlich aus dem Fußgelenk alle Formationen auf dem Platz ad absurdum führt und Gladiatoren wie Balotelli die Möglichkeit gibt, mit einem einzigen Hammerschlag dem langweiligen Gewese ein Ende zu bereiten. Pirlos Freistoß in der Nachspielzeit, der die Latte Englands noch einmal küsste, beschrieb eine Flugbahn außerhalb der physikalischen Gesetze. Das ist große Kunst, der etwas innewohnt, das die im Profanen materialisierte Welt zum Träumen verführt.

Was immer wieder die Gemüter beflügelt ist die Frage, warum die englische Liga so stark und das Nationalteam vergleichsweise so schwach ist. Die Erklärung scheint kein Mysterium zu sein. Das Verhältnis bildet den Irrweg ab, den das Land seit Margaret Thatcher beschreitet. Es ist die Abkehr von der Eigenleistung und die Glorifizierung der Börse. Wer Leistungen nur noch einkauft, ohne selbst zumindest eine Ahnung davon zu besitzen, wie sie erstellt wird, wacht irgendwann auf und hat einen Brummschädel wie nach Unmengen Bitter Ale. In den Topp-Klubs der Insel sind Engländer Mangelware. Und die Leistungsträger spielen in Brasilien gegen England. Es ist zu hoffen, dass man das in London so langsam begreift, die jetzigen Erfahrungen böten einmal wieder eine Chance.

Den Deutschen, die sich mit Italien so schwer tun, sei zum Trost gesagt, dass es sich natürlich um eine Ambivalenz handelt. Wir, die ehrlichen Arbeiter, wir lieben den Luftikus, der das Schöne schafft. Nur gewinnen darf er nicht, das ist ungerecht. Umgekehrt ist es übrigens ähnlich. Viele der italienischen Tifosi sind erbost über die Erfolge der Teutonen, wenn sie nur durch Blut, Schweiß und Tränen zustande kommen, aber so ganz ohne Grazie. Im internationalen Projektmanagement ist man übrigens weiter: Da werden deutsch-italienische Teams als optimale Lösung gesehen. Da gilt die Kombination aufgrund ihrer jeweils unterschiedlichen Qualitäten als das Nonplusultra. Liebt euch, ihr mögt euch doch!