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Coronoia ist kein politisches Programm!

Die Gemengelage ist heikel. Da ist eine Pandemie, die einen intelligenten Umgang erfordert. Und da ist Politik, die zumindest hierzulande mit so etwas keine Erfahrung hat. Pläne für eine solche hätte es gegeben, wäre es nicht vielen Verantwortlichen so unwahrscheinlich erschienen, dass so etwas dann doch einmal kommen mag. Es waren vor allem die Deutschen, die vor wenigen Jahren eine Agenda zum Umgang damit in der EU vom Tisch wischten. Nun, es ist immer preiswert, sich im Nachhinein darüber zu empören. Was allerdings, auch und besonders im Kontext mit dem jetzigen Infektionsgeschehen, unverzeihlich wirkt, ist die Umwandlung des Gesundheitswesens in den letzten Jahrzehnten nach exklusiv betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten. Nicht die erforderliche Versorgung der Bevölkerung mit dem hohen Gut einer auskömmlichen medizinischen Versorgung stand mehr im Mittelpunkt, sondern Fallzahlen, Gebührensätze und Bettenauslastung. Ein Triumph des Wirtschaftsliberalismus, und zwar an einer neuralgischen Stelle.

Die Reaktion der Politik auf die Pandemie, die anfangs noch sehr gelobt wurde, hat sich nicht von den Maximen der technokratischen und betriebswirtschaftlichen Betrachtung gelöst. Die Zahlen, mit denen die Bevölkerung rund um die Uhr bombardiert werden, haben nur eine Bezugsgröße: nämlich die Kapazitäten im Gesundheitsbereich, die gegenwärtig zur Verfügung stehen. Das bezieht sich sowohl auf die gleichbleibende Anzahl der Intensivbetten als auch auf das zur Verfügung stehende Fachpersonal. Von dem vielen Geld, das im Zusammenhang mit der Pandemie ausgegeben wurde, ist seit dem Monat März, dem Beginn des ersten Lockdowns, nichts oder kaum etwas in die Ausweitung der bestehenden Kapazitäten geflossen. Allein die schäbigen Abschlüsse in den das Fachpersonal betreffende Tarifverhandlungen dokumentieren, dass kein Umdenken erfolgt ist. Anstatt die Wichtigkeit dieser Leistungen zu erkennen und diese attraktiver gestalten zu können, reiste der zuständige Minister nach Albanien, um billige Arbeitskräfte zu akquirieren. Nach Lernfähigkeit sieht das nicht aus. 

Und dann kommt noch ein Faktor hinzu, der sich als besonders gefährlich erweisen wird. Das Verhaften in dem Glauben, dass mit Regel und Sanktion allein derartige Situationen beherrschbar seien, ist ungebrochen. Das ist aber der eingeschlagene Weg. Und nun, in dieser Lage, kommt eine Versuchung hinzu, die in dem einen oder anderen Fall den Verdacht bestätigen, dass diese Krise instrumentalisiert werden soll, um die eigene politische Agenda weiter verfolgen zu können. Wie eine Überschrift steht da das Zitat des Bundestagspräsidenten, dass eine Krise, die heftig genug ist, die Menschen schon gefügig machen wird. Ja, dreister kann man sein eigenes Verweilen in den Gefilden absoluten Machtdenkens nicht illustrieren. Und der Mann steht da nicht allein. Da ist es nicht allzu überzogen, bei allen Gesetzesvorhaben und Verordnungen, die da durch die Gremien rauschen, die Augen offen zu halten.

Beflügelt wird diese Tendenz noch durch die im nächsten Jahr anstehenden Bundestagswahlen. Das Krisenmanagement als Messlatte für diese Wahlen mag ein kleiner Anhaltspunkt für pragmatische Geschäftsfähigkeit sein. Ein gravierendes Kriterium ist es jedoch nicht. Denn da geht es um wesentlich mehr. Da geht es um die digitale Revolution in Industrie und allen Lebensbereichen, da geht es um Krieg und Frieden, da geht es um die soziale Disposition der Gesellschaft und da geht es um den Erhalt der globalen Lebensgrundlagen. In diesem Kontext lohnt sich die Frage, ob ausgerechnet die Akteurinnen und Akteure, die sich in den zahlreichen Sondersendungen und Talkshows häuslich eingerichtet haben, einen nennenswerten Beitrag werden leisten können? Coronoia ist kein politisches Programm! 

Die neue, anti-republikanische Krankheit

Während die einen um ihre Existenz fürchten, malen die anderen Szenarien an die Wand, die weit dramatischer sind als der Tod einiger Branchen. Auch bei nüchternen Betrachtung drängt sich das Urteil auf: die Coronoia herrscht. Jene neue, anti-republikanische Krankheit, die gefährlicher ist als das neu entdeckte Virus selbst. Nicht, dass nicht schon andere Herausforderungen gewesen wären, vor denen die Gesellschaft gestanden hätte. Mal waren es Kriege, mal gab es kein Öl, mal waren es Epidemien und dann crashten die Finanzen. Was neu ist bei Coronoia, das ist das hohe Maß an Hysterisierung und das damit einhergehende Krisenmanagement, das sich vor allem durch eines auszeichnet, nämlich durch die Weigerung, um einen Konsens zu werben.

Das, wovor viele berechtigt große Angst haben, nämlich die Liquidierung ganzer Branchen durch einen zweiten Lockdown, wird das Ergebnis eines technokratisch durchdrungenen Managements sein. Nicht, dass es nicht richtig wäre, die Wissenschaft zur Beratung an den Tisch zu holen. Nur, Wissenschaft ist in ihrem Streben nach Erkenntnis immer streitbar, sonst versinkt sie im Sumpf der ideologischen Verhärtung. Indem alle, die eine andere Meinung vertreten, als Scharlatane dem medialen Mob zur Verspeisung aufgetischt werden, ist die Tendenz beschlossen. Es wird apodiktisch im Land. Widerspruch ausgeschlossen. Ansonsten Ächtung. 

Dass sich in diesem Milieu die Scharlatanerie, der Obskurantismus, die Hybris und das Sektierertum ausbreiten wie das Flächenfeuer im trockenen Kalifornien, hat sehr viel mit den politischen Verhältnissen zu tun, die eine Entfremdung von den tatsächlichen Lebensbedingungen derer liegen, die man eigentlich für ein stimmiges Konzept gewinnen will. Technokraten denken in Instrumenten, in Verordnungen und in Betriebsanleitungen. Das kann nur funktionieren, wenn flächendeckend die perfekten Untertanen bereits die Mehrheit bilden. Ist das nicht der Fall, dann bedarf es anderer Tugenden als der der Fähigkeit zu instruieren.

Es mutet grotesk an, wenn nun darüber gestritten wird, ob die Gastronomie, die Kinos oder die Mucki-Buden wieder geschlossen werden sollen. Denn erstens ist – eben auch wissenschaftlich durch einen breiten Konsens getragen – das größte Infektionsrisiko im zwischenmenschlichen Bereich zu suchen, egal in welchem Gebäude, und zweitens ist bekannt, dass die Empfehlungen an jede Person der effektivste Weg zur Prävention sind. Die Frage, warum diesen Empfehlungen viele nicht folgen, stellt lieber niemand, denn ihre Antwort offenbarte genau die neuralgischen  Punkte, unter denen das ganze System leidet. Mental herrscht seit langem das Recht des Stärkeren, es existieren unterschiedliche Grade der Bedrohung aufgrund von Besitz und Verfügung und bei vielen gilt die Parole „Nach mir die Sintflut!“ Der Begriff des Gemeinwohls, einst das Paradestück der bürgerlichen Idee, verstaubt im kaum noch frequentierten Museum der Modernen Geschichte.

Während die technokratische Nomenklatura wieder einmal darüber nachdenkt, mit welchen Instrumenten sie der Lage Herr werden kann, auch im Sinne immer dirigistischerer Machtaneignung, und während außer Rand und Band geratene Esoteriker wie die Pilze aus dem herbstlichen Waldboden schießen, stehen viele, die noch im Vollbesitz von Blick und Verstand sind, vor dem existenziellen Ruin, weil die Macht der Technokraten zuschlägt, um das Häuflein der Irrationalen zu regulieren, und dabei alle außen vor lässt, die zu gewinnen wären, nähme man sie nur ernst. Wie es darum bestellt ist, haben die Tarifabschlüsse der letzen Woche gezeigt. 

Es wird zunehmend deutlich, dass die Macht der Technokraten auf einen Punkt zusteuert, an dem das Fass des Überdrusses explodieren wird. Es wird nicht versucht, zu überzeugen, es wird angeordnet. Wer Einwände hat, kommt an den Pranger. Und wer das Spiel der Machtergreifung einmal durchspielen will, der lebt in goldenen Zeiten.

Coronoia

Suum cuique. Jedem das Seine. Jeder das Ihre. Seit einiger Zeit könnte noch eine andere Variante hinzukommen. Allen das Irre. Ja, seit Corona hat sich die Welt verändert. Genau genommen, hierzulande seit zwei vollen Monaten. Seitdem sitzen viele zuhause und inhalieren nicht das Virus, aber die täglichen Journale, Reports, Kommentare und Glossen. Je länger der Prozess dauert und je erfolgreicher der Versuch wurde, die Ausbreitung des Virus den hiesigen Krankenhauskapazitäten anzupassen, desto wirrer wurden die Reaktionen und Statements, die überall zu lesen und zu hören waren. Und wer wollte und will, der bekommt von allem etwas. Das ist der Vorteil dessen, was viele Demokratie nennen.

Da ist zum einen die offizielle Information von Bundesregierung und dem Robert-Koch-Institut. Beiden ist anzumerken, dass sie ankämpfen gegen den Verdacht, sie besäßen eine zweite Agenda, weil sie Positionen, die sie heute vertreten, manchmal morgen revidieren müssen. Viele hätten es gern eindeutiger. Dass das bei Lernprozessen mit großen Unbekannten nicht geht, wollen viele sich nicht vorstellen. Oder sie können es nicht. Wer weiß. 

Und dann sind da die, die glauben, dass alles sei ein von einigen dunklen Mächten ausgeheckter Plan, um die Welt endgültig unter ihre Knute zu bekommen. Wenn dem so ist, so könnte man sagen, dann sind das ziemlich geniale Freaks, die ohne Waffengewalt in kurzer Zeit das hinbekommen, was vorher weder dem Hunnenkönig, noch dem großen Alexander und auch nicht Napoleon und Hitler gelungen ist. Auch wenn wir dann alle totgeimpft und geschippt werden, um unseren willenlosen Korpus zu steuern, einmal klatschen wird man vorher hoffentlich dürfen, für diesen genialen Putsch.

Und da sind wiederum andere, die seit dem ersten Tag quasi à jour, sie halten sich an alles, was es an Rat gibt und sie werden mit Sicherheit die ganze soziale Dürreperioden überleben. Das ist schon einmal ein Asset. Manche von ihnen werden danach das Business as usual suchen, das es dann aber so wie in der Erinnerung nicht mehr gibt. Andere von ihnen werden sehr genau darauf achten, dass die Ausnahme- und Sonderrechte der Exekutive schnell wieder außer Kraft gesetzt werden und wiederum eine Gruppe wird nicht mehr merken, dass das Virus besiegt wurde und den Rest ihrer Tage in häuslicher Quarantäne bis zum bitteren Ende verweilen. Auch wenn sie aus dem Radio hören werden, dass sie wieder heraus dürfen, sie werden es für eine Verschwörung halten und schlau zuhause bleiben.

Es wird derzeit viel darüber spekuliert, was sich wohl alles ändern wird, wenn diese ganze Krise auf ihr Ende zusteuert. Es ist spannend, darüber nachzudenken, es ist auf der anderen Seite aber auch gar nicht so schwer, zu Ergebnissen zu kommen. Es hängt nämlich nicht von den Einsichten derer ab, die sich mit allem möglichen beschäftigen, sondern von denen, die in der Masse den Ausschlag geben. Sie benötigen schon lange keine Priesterkaste mehr, die ihnen die Welt erklärt. Folglich wird es nicht mehr über Parteien laufen, sondern über schnelle Wahrheiten, die sich auf einzelne Punkte beziehen und nicht über komplexe Programme. Auch schon vor Corona war das alles deutlich, die Pest hat diesen Prozess nur noch beschleunigt.

Manche Erscheinungen werden bleiben, vorerst. Es sind die staatlich alimentierten Kommentatoren des Zeitgeschehens, die von allen Jahrgängen, die nach 1986 geboren wurden, gar nicht mehr gehört werden, was aber die Institutionen, für die sie unterwegs sind, noch nicht gemerkt haben. Sie haben, nicht im Gegensatz, sondern im Angesicht der nostradamischen Gegenwelt in dieser Zeit zuweilen einen Unsinn verbreitet, der – ohne Frisör! – haarsträubend war. 

Vor wenigen Tagen, morgens beim Bäcker, wo es wunderbares Brot gibt, aber auch eine schlechte Zeitung ausliegt, starrte ich auf die Titelseite, wo eine dieser Kolumnistinnen des medialen Zeitgeschehens abgebildet war. In dem Moment, als ich mir das ansah, rief ein Kunde, mit Maske, mir zu,  „Ja, für Geld tun die alles. Ich weiß, wovon ich spreche. Und ich sage: Alles! Hahaha.“ Während ich schmunzeln musste, da mir bekannt ist, dass der Mann früher eine Größe im Rotlichtmilieu war, kam sein Einwurf nicht gut bei den anwesenden Frauen an. Eine Dame wankte regelrecht und man konnte froh sein, dass sie eine Maske trug, sonst wäre sonst etwas passiert. Nur eine der Frauen hinter der Theke, die immer alles im Griff haben und mit jedem fertig werden, stand seelenruhig hinter der Kasse und brachte den Frieden zurück: „Es ist immer gut, wenn jemand hier ist, der uns die Welt erklärt!“ Dabei lächelte sie gütig wie die Göttin der Weisheit.