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Asyl, Abschiebung, Deportation: Lügen in Zeiten des Krieges

Es scheint in vielen Ländern Europas ein Konsens darüber zu bestehen, dass ungesteuerte Migration ein Problem ist. Das findet sich in Parteiprogrammen wieder, es liegt den Bemühungen der Innenminister der Europäischen Union zugrunde, es reicht bis in das Regierungshandeln der Staatsspitzen. Die Ansätze sind unterschiedlich, der angestrebte Grad des Abschiebens, der Rückführung und der Abschottung unterscheidet sich. Konsens besteht offenbar in der Ablehnung des jetzigen Zustands. Nachdem das Recherche Team Correctiv von einem Treffen in Potsdam berichtete, in dem ein Referent das Wort Remigration verwendet hatte und den Kreis der Unerwünschten auch auf jene ausgedehnt hat, die bereits seit langer Zeit in den Ländern Europas leben, sind viele Dämme gebrochen. Medial wurde das Treffen von Afdlern, CDUlern, Mitgliedern der Werteunion etc. in die Nähe der Wannsee Konferenz gerückt, was aufgrund der Personen und ihres tatsächlichen Einflusses eine ausgemachte Schimäre ist. 

Es ist allerdings gelungen, Ängste bis hin in Familien zu senden, die nahezu typische Hintergründe für Verbände haben, die in den letzten Jahrhunderten als normal Deutsch galten. Immigrationswellen, ob gewollt oder nicht geplant, hat es immer gegeben, ein Spaziergang über einen Großstadtfriedhof in der Bundesrepublik Deutschland wird dieses ohne großes Aufsehen dokumentieren. Schnell drängt sich da die Frage auf, ob das Themenpaar Asyl und Immigration tatsächlich das größte Problem darstellt, mit dem man momentan zu kämpfen hat. Oder ob es sich nicht wieder einmal, wie so oft in der Geschichte, um ein Manöver handelt, um vom eigenen Handeln abzulenken. Einem Handeln, das sich in ökonomischen Feldzügen und kriegerischen Aktivitäten wiederfindet, das begründet ist in geostrategischen Schachzügen eines das eigene Land dominierenden Imperiums. Und auch in der Unzulänglichkeit, eine aus den eigenen Interessen resultierende Strategie zu entwickeln. Letztere würde und müsste auch beinhalten, wie mit der Not anderer Menschen auf diesem Globus umzugehen ist. Wenn jedoch die Politik sich generiert als das exklusive Genre von Eintagsfliegen, dann sind Nebenkriegsschauplätze nahezu eine Notwendigkeit.

Die Empörung gegenüber Provinzialität, Engstirnigkeit, Rassismus und Intoleranz ist auf diesem Globus immer von Vorteil. Sie allein reicht nicht, wenn sie sich exklusiv gegen arische Landpomeranzen richtet. Auch sie muss sich global entfalten und zu einer politischen Kraft werden, die die Protagonisten von Format in den Fokus nimmt! Es ist schon erklärungsbedürftig, wenn sich der Unmut über kulturell, rassisch und politisch unbedeutende Komparsen derartig entlädt und auf der anderen Seite die Pläne eines britischen Premier Rishi Sunak, in großem Maßstab die Asylsuchenden mit Militärmaschinen nach Ruanda zu entsorgen, auf den Kundgebungen nicht einmal erwähnt werden oder wenn die Zitate des Bundeskanzlers ( We Have To Deport People More Often And Faster) auf der Titelseite des Spiegel keine Aufmerksamkeit gewinnen. 

Es wird immer deutlicher, dass der politische Diskurs im Lande wie in allen in welcher Weise auch verbündeten Länder immer skurriler wird und unter einer Entleerung von Logik leidet. Das psychotische Glotzen auf Zustimmungsraten, verbunden mit dem Kalkül, wie viele Mandate für das eigene Interessensyndikat wohl noch herausspringen mögen, lenkt von Dingen ab, die zum Überleben unverzichtbar sind. Wer sind wir? Was wollen wir? Wie lösen wir Probleme und wie gehen wir dabei miteinander um? Wenn diese Fragen tabuisiert werden, wie die Probleme selbst, dann erntet man das, was wir zur Zeit erleben: Lügen in Zeiten Krieges! Ist übrigens der Titel eines zu empfehlenden Buches von Louis Begley. Seinerseits jüdisch-polnischer Immigrant in die USA, der heute als kulturelle Referenz seiner neuen Heimat gehandelt wird.  

Komfortzone war gestern!

Wie schrieb mir ein politischer Journalist, dessen seismographische Fähigkeiten ich in den letzten Jahren zu schätzen gelernt habe? Noch kreuzen sich die verschiedenen Strömungen und es ist nicht abzusehen, was für eine Richtung aus dieser diffusen Bewegung wird. Was er damit meinte? Die Bewegungen, die momentan in der Parteienlandschaft zu verbuchen sind. Einerseits ein schlingern der so genannten Etablierten, dann die angekündigten Neugründungen jenseits von SPD und CDU und der immer noch anhaltende Trend hinsichtlich der AFD. Hinzu kommen nicht an bestimmten Parteiprogrammen orientierte Manifestationen wie die Bauernproteste, ihrerseits unterstützt durch verschiedene Gewerbe wie dem des Transports und der Streik der Lokführer. Und, nicht zu vergessen, die Demonstrationen gegen vermeintliche Pläne von Remigration in großem Maßstab. Für eine Prognose, so der kluge Mann, ist es zu früh.

In guter Tradition werden nun alle möglichen Experten befragt, wie sie die Lage einschätzen und ihr Ausblick aussieht. Zur Beruhigung kann man feststellen, dass diese auch nicht wissen, wie das Ganze ausgeht. Was sie nahezu alle an den Tag legen, ist die Diskreditierung aller möglichen dieser Regungen, je nach Standpunkt. Mal sind es die Rechten, mal die Linken, mal die begriffsstutzigen Bauern – man kann es drehen, wie man will, sicher ist nur eines, und das sollten sich alle beherzigen: so, wie es läuft, kann es nicht weitergehen. 

Die Perspektive für eine radikalere Veränderung im Spektrum der politischen Parteien ist gewaltig. Wohin die Reise geht, ist bis dato jedoch ungewiss. Und wieder sind wir an jenem Punkt angelangt, wo die Spekulation um Parteien und ihre Anteile darauf hindeuten, dass sie in einer Sackgasse landen. Es ist erforderlich, sich Klarheit über die angestrebten Ziele zu verschaffen und sich gleichzeitig von dem Gedanken zu verabschieden, man könne die Lösung der anstehenden Probleme in altbewährter Weise an die Parteien delegieren. Selten war die Gewissheit so groß, dass es auf alle Bürgerinnen und Bürger ankommt. Und, auch das sollte klar sein, dass damit nicht die Teilnahme an der einen oder anderen Veranstaltung reichen wird, um das Schiff auf einen vernünftigen Kurs zu bringen. Komfortzone war gestern!

Zudem ist gut zu wissen, welche Fehler und Fehleinschätzungen zu Entwicklungen geführt haben, die die gegenwärtige Krise ausgelöst haben. Es sind nicht, wie immer wieder behauptet wird, „Corona“ oder der „Ukraine-Krieg“ als abstrakte Veranstaltungen einer höheren Gewalt, sondern sehr konkrete Entscheidungen der eigenen Politik, die zum Erfolg oder Misserfolg führen. Wer an dem Desaster beteiligt war und gleichzeitig reklamiert, alles richtig gemacht zu haben, hat hinsichtlicher zukünftiger Gestaltung seinen Platz verloren. Das hat sich bei vielen Apologeten bis heute noch nicht herumgesprochen, aber es gehört zu den wenigen Sicherheiten, über die wir zur Zeit verfügen: ihre Zukunftsprognose ist düster.

Die Fragen, um die sich vieles drehen wird, liegen auf dem Tisch: Was ist erforderlich, um das eigene Land zu verteidigen? Welche Bündnisse würden das garantieren und welche führen in das Abenteuer kontinuierlicher Kriege? Welche Investitionen müssen getätigt werden, um die Bildungsabschlüsse in diesem Land auf ein Niveau zu bringen, das eine gesellschaftlich prosperierende Perspektive bietet? Wie muss eine Infrastruktur beschaffen sein, die den Erfordernissen von Wirtschaft und Gesellschaft entspricht? Welches Gesundheitssystem ist erforderlich, um allen Bürgerinnen und Bürgern eine Versorgung zu garantieren, die dem angestrebten Zivilisationsgrad entspricht? 

Alleine diese fünf Fragen reichen aus, um zu verdeutlichen, was im Argen liegt und wo strategische Versäumnisse zu verbuchen sind. Entscheidend wird jedoch sein, die Weichen so zu stellen, dass derartige Fragen sehr konkret und positiv beantwortet werden können.  

CDU: Opfer der eigenen Erzählung

Kennen Sie das? Da erzählt jemand eine Geschichte, packend, mit Witz und ernsten Passagen. Sie reißt so richtig mit, und alle, die sie hören, wissen, dass sie nicht so ganz stimmt, dass da bestimmte Sachen ignoriert und andere überbetont werden. Aber alle finden die Geschichte so toll, dass sie das beiseite lassen. Denn sie möchten, dass die Geschichte tatsächlich so gewesen ist, wie sie gerade erzählt wird. Und deshalb halten alle auch an dieser Version fest. Immer wieder wird sie erzählt, bis, ja, bis fast alle glauben, dass die Version, die erzählt wird, sich mit der historischen Wahrheit deckt. Und wenn es das Schicksal will, dann kommt irgendwann, zu einem ungünstigen Zeitpunkt, denn er ist in einem solchen Fall immer ungünstig, dann kommt die Wahrheit zutage und zerstört die allseits so geliebte Geschichte, die man sich bei jeder Gelegenheit erzählt hat. Das Mindeste, was dann dahin ist, ist die eigene Glaubwürdigkeit. Für menschliche Wesen eine ganz gefährliche, existenzbedrohende Angelegenheit.

Wer hätte je gedacht, dass es ausgerechnet die CDU einmal ereilen würde! Sie, die sich selbst immer als die Mitte der Gesellschaft definiert hat. Sie, die stets bei politischen Gegnern sehr schnell von Rändern sprach und dazu immer eine Theorie parat hatte, nämlich die des Totalitarismus. Rechts wie links agierten die Feinde der Demokratie und die CDU war die große Kraft des Maßes und der Integration. Und die anderen, in deren Gesellschaft man schnell kommen konnte, wenn man sich nicht der CDU anschloss, die anderen konnten im Handumdrehen zu Feinden der Demokratie abgestempelt werden, wenn sie unbedacht handelten.

Und nun, ausgerechnet in einer ohnehin schon turbulenten Zeit, kommen genau die Fakten wieder hoch, die in dem Narrativ der Partei nie eine Rolle gespielt haben. Denn die Funktionseliten, die in jeder Partei, in der sehr viel organisiert werden muss, eine dominante Rolle spielen, diese so genannten Funktionseliten stammten historisch gleich mehrmals aus dem Arsenal des Totalitarismus. Die erste Welle kam nach dem Krieg in die West-CDU und spielten eine dominante Rolle. Hans Globke, Mitverfasser der Rassegesetze, Kurt-Georg Kiesinger, antisemitischer Propagandist im Rundfunk des Außenamtes, Hans Filbinger, Marinestabsrichter; Kanzlerberater, Kanzler und Ministerpräsident, sie hatten das Parteiabzeichen der NSDAP getragen, waren dort in mächtigen Positionen und wurden zu Markenzeichen der Nachkriegspartei der Mitte. Eine Aufarbeitung dieser Geschichte fand nie statt, weil sie in dem Narrativ, das alle so lieben, nie vorkam.

Und hätte eine Partei nicht genug mit dem Totalitarismus einer Generation zu tun, bei der großen Stunde der Wiedervereinigung wurde die komplette Ost-CDU, ihrerseits in der indigenen Bevölkerung des inhalierten Gebietes auch gerne als Blockflöten tituliert, mit einem kräftigen Zug einverleibt. Auch deren kooperative Ausmaße mit dem SED-Regime wurden nie erwähnt, auch das fand in der Erzählung, die alle so gerne hören, nie statt. Und was nicht stattfand, muss bekanntlich nicht aufgearbeitet werden. 

Umso emsiger wird aus den Reihen der großen Totalitär-Kontingente der Vorwurf gegen alle anderen laut formuliert. Nahezu grotesk mutet es an, wenn ausgerechnet diese Partei der Linken vorwirft, sie verkörpere den Totalitarismus der einstigen DDR. Ehrlich gesagt, im Vergleich zur CDU hat die Linke unerbittlich und schmerzhaft über die eigene Geschichte nachgedacht und ihre Schlüsse gezogen. Es heißt nicht, dass sie nicht so manchen Reflex noch pflegte, der aus den alten Tagen stammt. Aber, auch personell, lassen sich keine Parallelen zur CDU, bei der nahezu flächendeckend die kompletten Organisationseinheiten umgewidmet wurden und über Nacht die Absolution erhielten. Und wer die hat, der hält besser die Schnauze, wie es so treffend heißt. 

Die schöne und so gerne erzählte Geschichte von der Mitte ist leider auserzählt. Es sind Zeiten für Menschen mit guten Nerven!