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Dirty Dancing

Hysterie ist nie ein gutes Mittel, um sich in Krisen zu orientieren. Manchen reicht auch schon die Normalität, um hysterisch zu werden und andere wiederum behalten selbst in nicht haltbaren Verhältnissen dermaßen die Nerven, dass sie alle anderen irritieren. Bei einem ganz normalen Verkehrsunfall kann man beobachten, dass eine Unterscheidung in Bezug auf die Katastrophe gemacht werden kann: In der Regel sind diejenigen, die sich von Berufswegen, d.h. professionell mit dem Unfall beschäftigen müssen, bei Bedarf Polizei, Sanitätsdienste und Feuerwehr, mit einer erstaunlichen Ruhe bewegen. Das haben sie trainiert und das ist gut so. Denn alle anderen Akteure sind durch Traumatisierungen, Schockzustände oder schlichte Emotionalisierung ein weiteres Sicherheitsrisiko.

Und so wie es im Zivilverkehr der Fall ist, sollte es auch in allen anderen Bereichen zugehen. Und auf dem Feld der Politik ganz besonders. Gesellschaftliche Krisen bergen das Höchstmaß an zu verursachendem gesellschaftlichen Schaden. Eine ganz besondere, delikate Krise kam mit dem Finanzcrash von 2008 daher. Aufgrund der Versuche, die Gesellschaft zu beruhigen, was sehr vernünftig war, weil Panik und Geld immer eine tödliche Mischung sind, hat sich jedoch eine Beruhigung eingeschlichen, die in hohem Maße gefährlich ist. Die Krise von 2008 ist nicht nur noch nicht ausgestanden, sondern sie ist die Ursache für die wachsende politische Destabilisierung der Welt. Und in einer solchen Situation keine Diskussion darüber zu führen, was die Entfesselung der Banken mit staatlicher Unterstützung an Gegenmaßnahmen erfordert, ist nur mit der Agenda zu erklären, den Kurs weiter zu verfolgen. Die Banken wurden ermutigt, so weiter zu machen, wie bisher. Dabei wird nicht gesehen, dass es eben jener Crash war, der den USA die ökonomische Grundlage für ihre Weltherrschaft entscheidend angeschlagen hat und diese nun darauf reagieren.

Die Reaktion der USA auf die Veränderung der Weltwirtschaft wiederum führt dazu, dass sie ihre Politik neu orientieren und vermutlich ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen neu definieren. In diesem Prozess ist für die alten Allianzen zunächst einmal wenig Platz. Und genau diese Erkenntnis führt zu der Hysterie im deutschen Regierungslager auf die Wahl Donald Trumps. Alles, was dieser bis jetzt zu weltökonomischen wie politischen Konstellationen von sich gegeben hat, spricht für diese Neuorientierung, die übrigens auch Obama im Gepäck hatte, die ihm jedoch misslungen ist. Die Bundesrepublik, die seit ihrer Gründung quasi mit einer Meistbegünstigungsklausel im Windschatten der USA gefahren ist, hat heftige Veränderungen zu befürchten, entweder finanziell oder sogar militärisch. Das macht die Regierung regelrecht kirre, weil es in ihren Szenarien nicht vorkam.

Es ist also nicht die Ursache der Krise, der Crash von 2008 und seine Folgen, der die Regierung in die Hysterie treibt, sondern die Reaktion des großen Verbündeten USA darauf. Und deshalb sind die staunenden Europäer mit einem Phänomen konfrontiert, das nur in die aberwitzige Psychologie deutscher Kalkulation passt, das sich jedoch als zunehmend real herauskristallisiert. Man scheint zu kalkulieren, dass eine militärische Konfrontation mit alt bekannten Größen dazu führen könnte, die alten Bündnisse konservieren zu können. Und deshalb gehen die Initiativen, vor allem gegen Russland, von Berlin aus, immer gepaart mit der Forderung an die USA, gefälligst mitzumachen. Das ist eine neue Erkenntnis, die unglaublich ist. Aber wenn man genau hinschaut, ist keine andere Erklärung zu finden.

Den Teufel mit dem Beelzebub

Im Deutschen existiert eine Formulierung, mit der das, was sich momentan in der Parteienlandschaft abzeichnet, sehr gut beschrieben werden kann. Den Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Damit ist das unsinnige Unterfangen gemeint, etwas Schlechtes mit etwas anderem Schlechten bekämpfen zu wollen. Manchmal mag das zwar gelingen, kurzfristig, in der Regel ist es aber zum Scheitern verurteilt. Allerdings kommt es so häufig vor, dass sich sogar über einen großen Zeitraum eine Redewendung dafür etabliert hat. Und momentan, da treibt die Bundesregierung, aus Sorge vor dem Abschneiden bei anstehenden Landtagswahlen und der Bundestagswahl 2017, in vielerlei Hinsicht mit dem Teufel den Beelzebub aus. Besserung ist nicht in Sicht und der Schaden, der damit angerichtet wird, wird groß sein.

Das wohl prominenteste Beispiel für diesen Mechanismus liefert die Befürchtung, plötzlich könnten wieder größere Mengen von ungerufenen Schutzsuchenden, Einwanderern, Flüchtlingen vor den Toren stehen. Diese, 2015 für bundesrepublikanische Verhältnisse große Zahl von ca. 1 Million, hat die Gesellschaft tief gespalten. Einerseits ist nach einer anfänglichen Überforderung der Bürokratie dann doch ein relativ gut funktionierender Prozess daraus geworden, bürokratisch. Was die tatsächliche Integration anbelangt, ist es noch viel zu früh, um das Gelingen oder Misslingen evaluieren zu können. Was allerdings bestimmte Parteien nicht davon abgehalten hat, ein ungeheures Desaster zu beschreiben und an die Wand zu malen.

Die Zeichnung war so groß und so furchterregend, dass die Kanzlerin von ihrer positiven Prognose der Eingliederung abwich und mit der Türkei ein Abkommen einfädelte, das die Flüchtenden an der syrischen Grenze oder in der Türkei festhielt. Das Versiegen des so genannten Flüchtlingsstroms hat dazu geführt, das geglaubt wird, man könne die Gefahr als gebannt bezeichnen und somit wieder vor die zum Teil beunruhigte Wählerschaft treten. Der Pakt mit Präsident Erdogan hat sich allerdings als ein Pakt mit dem Beelzebub erwiesen. Um die Erzählung von dem gebannten Flüchtlingsstrom weiter erzählen zu können, werden Erdogan Dinge zugebilligt, die das Ansehen der Bundesregierung bei einem anderen, ebenfalls großen Teil der Bevölkerung erheblich beschädigt.

Es werden nicht nur Menschenrechtsverletzungen in der Türkei hingenommen, sondern nahezu alles, was als Konsens für die demokratische Gesellschaft als gegeben gilt. Die Verfolgung und Kriminalisierung von Journalisten und Richtern, die Festnahmen ohne Haftbefehl, die Inhaftierungen ohne Prozess und jüngst eine schwere Verletzung des Völkerrechts durch das militärische Überschreiten der syrischen Grenze ohne Kriegserklärung und die Bekämpfung der kurdischen Peschmerga, ihrerseits unterstützt durch die ebenfalls NATO-Mitglieder USA und Deutschland. Alles, was der Despot vom Bosporus treibt, wird toleriert, Hauptsache, es kommen keine Flüchtlinge mehr ins Land. Die neueste Posse dieses fehlgeleiteten Verhaltens der Bundesregierung ist die Relativierung der im Bundestag verabschiedeten Armenien-Resolution, in der die Türkei des Völkermords angeklagt wird. Es wird besänftigt und appeased, was das Zeug hält.

Grundlage dieser untauglichen wie aberwitzigen Haltung sind Annahmen, die die demoskopischen Institute liefern, die alle Negativtrends mit der Flüchtlingsbewegung korrelieren. Was jedoch diese positivistischen Hurra-Agenturen nicht auf dem Radar haben, ist der schwerwiegendste Aspekt, unter dem die Regierung zu leiden hat, nämlich dem der Glaubwürdigkeit. Und alles, was sie treibt, um die vermeintliche Gefahr zusätzlicher Flüchtlinge zu verhindern, wirkt bei vielen Wählerinnen und Wählern bereits weitaus schwerer als die geglaubte Gefahr. Die Liaison mit Erdogan sorgt für mehr Unmut als die Flüchtlingsfrage. Der Wählerschaft geht es zunehmend um Haltung, man mag es kaum für möglich halten, aber es ist so.

So nicht!

De Maizière, der Sprechautomat, hat das Rennen für die kommende Bundestagswahl eröffnet. Es geht um keine politische Perspektive, die den Namen verdient hätte, sondern es geht um die Reaktion auf emotionale Unsicherheiten in der Bevölkerung. Letztere resultieren vor allem aus einem Hype, den das mediale Sommerloch verursacht hat. Einzeltäter, ihrerseits wiederum medial inspirierte Irrläufer, mutierten zu einem wohl geplanten, strategischen Angriff auf die Republik. Im Zentrum der Berichterstattung über die Folgen stand das gewünschte Resultat. Niemand fühlt sich mehr sicher, das Land ist kurz vor der Hysterie.

Da ist es, vor allem im Kopf vor allem juristisch sozialisierter Systemimmanenz, nur folgerichtig, die Sicherheitsgesetze zu verschärfen. Das ist ein alt bewährtes Rezept, das mit der Realität nichts gemein hat. Denn wer genau hinschaut, sieht die Diskrepanz zwischen allem, was gesetzlich möglich ist und der exekutiven Potenz. Was nützen Gesetze, wenn der Apparat, der sie umsetzen soll, durch Sparmaßnahmen immer weiter ausgehöhlt worden ist. De Maizières Rhetorik ist ein alt bekanntes Placebo, das die Deutschen immer wieder beruhigt und eines verdeckt: Die mangelnde strategische Ausrichtung der Politik.

Ob es die Immigrationsbewegungen des letzten Jahres ist, oder der so genannte Deal mit der Türkei, ob es die Politik gegenüber der Türkei wegen dieses Deals ist, ob es die Waffenexporte an kriegstreibende Parteien im Nahen Osten sind, ob es die Demontage und Instrumentalisierung der Ukraine ist, oder ob es die Austeritätspolitik innerhalb der EU ist, nichts spricht für eine Konzeption, die mit einer konstruktiven Perspektive verbunden wäre. Es scheint nur einen Konsens zu geben. Und das ist der Konsens über eine immer weiter führende Reglementierung in allen Lebensbereichen. Wer in dieser Regierung noch von Freiheit spricht, der leidet unter Amnesie. Unter ihrer Verantwortung existiert keine einzige Maßnahme, die die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger vergrößert hätte. Nehmen wir sie beim Wort, es sind die Meister in der Restriktion, die nicht einmal eine Ahnung davon haben, wie ein Leben in Frieden und Freiheit aussehen könnte.

Fragen wir uns also, was vonnöten wäre, um eine Regierung zu finden, die das beantworten würde, was das Leben und Überleben in den nächsten Jahren gewährleisten könnte. Es wäre ein klarer Standpunkt, wieviel Freiheit eine EU, die den Namen verdiente, den einzelnen Gliedern garantierte. Es wäre die Frage, wieviel Friedenssicherung der NATO ins Pflichtenheft und wieviel Kriegstreiberei ihr verboten würde. Es wäre die Frage, wieviel Freiheit innerhalb der eigenen Grenzen denen gewähren wollte, die sie missbrauchen, um autoritäre Regimes zu unterstützen. Und es wäre die Frage, wer die Courage hätte, den USA, der schlimmsten kriegstreibenden Fraktion der letzten Jahrzehnte, die Stirn zu bieten.

Das sind nur wenige, aber essenzielle Punkte, die eine Bundesregierung der Zukunft beantworten müsste, würde sie von einem Souverän gewählt, der seinerseits noch den Willen hätte, sich zu verweigern und auf die Straße zu gehen. Die Welt, in der wir leben, bietet schon lange nicht mehr das Privileg, dem Müßiggang des Konsumismus zu frönen und bei jeder Frage, von der Menschenleben und Menschenwürde zur Disposition stehen, Fünf gerade sein zu lassen. Wenn von der Unfähigkeit einer Regierung die Rede ist und dennoch diese eine große Zustimmung genießt, dann muss auch von einer wie auch immer gearteten Verwahrlosung der Massen die Rede sein. Das zu benennen und zum Gegenstand der Diskussion zu machen, ist die Aufgabe einer Politik, die diesen Namen verdient.