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Das entsetzte Deutschland

Wir bewegen uns in Parallelwelten der Erkenntnis. Alles, was mit dem Thema Politik zu tun hat, wird in den unterschiedlichen Wirkungsebenen unterschiedlich interpretiert und verstanden. Im Wesentlichen ist das die Realität derer, die die Politik machen. Sie haben ein Bild von sich und ihren Taten, das sie mittlerweile relativ unreflektiert und ohne kritischen Filter via die Staatsmedien in die Fläche senden können. Dann gibt es eine breite Öffentlichkeit, die ihrerseits auf bestimmte Mechanismen konditioniert ist. Der größte Erfolg bei der Entmündigung der Bevölkerung ist die Minimierung der Fähigkeit, Politik als etwas Interessen geleitetes zu verstehen und statt dessen Politik als einen Vollzug moralischer und ethischer Verantwortlichkeiten erscheinen zu lassen. Das ist ein Massensymptom in dieser Republik und das ist die Ursache dafür, dass sich wohl in naher Zukunft ein Desaster an das andere reihen wird.

Über den Mainstream hinaus existiert noch ein Segment, das, fälschlicherweise, momentan als Rechtsradikalismus oder Neonazitum bezeichnet wird, aber etwas differenzierter zu betrachten ist. Es handelt sich zum einen um die Verlierer dieser Gesellschaft, die aufgrund der eigenen Chancen auf dem Arbeitsmarkt keine Perspektive haben und denen nie kommuniziert wurde, dass die Gesellschaft, die sie mit Transferleistungen alimentiert, etwas von ihnen erwartet. Sie ahnen, dass ihre Zeiten schwerer werden, wenn sich Konkurrenz hinzugesellt, die sich konstruktiver und produktiver verhält. Die Mitleidsmasche ihnen gegenüber war falsch, die Mitleidsmasche ist falsch und es muss klar gemacht werden, dass Leistung auf Gegenleistung beruht. Den Chefärzten und Anwälten, die sich auch in diesem Pulk bewegen, muss tatsächlich die harte Hand des Antifaschismus begegnen.

Und dann ist da noch eine Gruppe, die vielleicht als das entsetzte Deutschland bezeichnet werden muss. Es sind diejenigen, die die Politik in ihrer Entwicklung sehr kritisch begleitet haben und die es noch fertig bringen, Ursache und Wirkung in einen kausalen Zusammenhang zu bringen. Sie wissen, dass die Destabilisierung des Balkans zu den heutigen Zuständen dort geführt hat und kein Getöse über irgendwelche Schlepperbanden die Verantwortung dieser Republik an Not, Elend, Gewalt und Verfolgung in diesem Teil Europas tilgen wird.

Analog ist es mit den Positionen im arabischen Frühling, der Haltung gegenüber Libyen und den Waffenlieferungen in den Nahen Osten insgesamt, wer woanders Geschäfte mit Messer und Mord macht, darf sich nicht wundern, wenn die Gepeinigten dahin gehen, woher die Überlegenheit ihrer Gegner zuhause war. Diese Erkenntnisse verbreiten sich vor allem im Netz, ob dieses Faktum alleine zu einer Veränderung der Verhältnisse führt, ist zu bezweifeln. Aber zur Durchbrechung der Ideologie, die von denen verbreitet wird, die pausenlos neues Unheil anrichten, werden die Diskussionen einen Beitrag leisten.

Denn obwohl die gesellschaftliche Ratlosigkeit aufgrund der gegenwärtigen Geschehnisse groß ist, ist die Bundesregierung mit ihren Plänen zur Ukraine mitten in den Vorbereitungen der nächsten Katastrophe. Eine Beteiligung bei militärischen Handlungen wäre noch das kleinste Übel, da die Sache ohne Eskalation mit den USA schnell zugunsten Russlands entschieden wäre. Sicher ist nur jetzt schon, dass der zu erwartende Zuzug aus der Ukraine aus militanten Kriminellen und entrechteten Prostituierten bestehen wird. Die lieben Brüder und Schwestern, die für die Demokratie in ihrem Lande kämpfen, werden es nicht schaffen, dafür werden die geschätzten Oligarchen schon sorgen. Aber wie war das noch? Vor einem Vierteljahrhundert erschien ein Buch mit dem Titel Die Barbaren. Darin wurde die Politik des Westens geschildert und logisch einfach angenommen, was passiert, denn sich die Verlierer aus den destabilisierten Ländern auf den Weg über das Mittelmeer nach Europa machten. Niemand wollte es so richtig glauben.

Von Schleusern und Moralisten

Es gehört sich einfach, Schreckliches, das passiert, durch eine eigene Stellungnahme zu kommentieren. So denken zumindest viele in der Republik. Vor allem Politikerinnen und Politiker, deren Geschäft die Republik selbst ist. Vielleicht ist alleine dieser Umstand schon ein Indiz für den Zustand des Gemeinwesens. Warum, so drängt sich schon auf, warum muss immer alle Welt, ob berufen oder nicht, den Mund aufmachen und zu Katastrophen, seien es Unwetter, Unglücke oder Wahnsinnstaten irgendwo auf der Welt, den eigenen Senf zu geben? Und, das wäre die noch wesentlichere Frage, warum versuchen diese Akteure dann nicht, die Vorkommnisse zu erklären – was, nebenbei, auch unerträglich wäre -, sondern warum geben sie ihren moralischen Standpunkt zu dem Geschehenen der Öffentlichkeit preis? Da ist dann immer nur zu hören, dass Abscheu, Entsetzen, Anteilnahme und Erschütterung im Spiele ist. Sind das die Statements, die wir von Profis erwarten, die das Schiff in einer Welt der Turbulenzen steuern sollen? Oder ist es ein Indiz für den Gesamtzustand, dass nur noch ein moralisches Bekenntnis ausreicht, um sich im Lager der Guten zu positionieren? Dann wäre allerdings aus dem Staatswesen, mit Verlaub, zumindest in geistiger Hinsicht, eine Sekte geworden.

Der massenhafte Tod von vermutlich syrischen Flüchtlingen in einem Kühlwagen auf eine Straße in der Nähe von Wien ist so ein Ereignis. Die zufällig in Wien bei einer Tagung mit Staaten des westlichen Balkans erwischten Politikerinnen und Politiker aus den europäischen Chef-Etagen waren tatsächlich bestürzt, was ihnen niemand wird absprechen wollen. Was verstört und beunruhigt, ist, dass das Gefühl, im Lager der Guten zu sein, anscheinend von einer zutreffenden Analyse wie einer den Zuständen begegneten Politik exkulpiert.

Umgehend ist die Diktion der Politik, die wieder einmal 1:1 von den öffentlich-rechtlichen, staatlichen, monopolistischen Medien übernommen wurde, dass das Übel bei den Schleppern liegt. Damit ist der Fall für die Handelnden besiegelt und alles, was sich nun als Konsequenz aus der Katastrophe ableiten lässt, ist eine Fahndung nach den Schleppern und keine Forschung nach der Ursache, erstens, warum Menschen massenhaft flüchten und zweitens, warum sie sich Schleusern anvertrauen, um in Länder zu kommen, die sie als sicher für Leib und Leben definieren.

Diese Fragestellungen sind alt und von deutscher Seite systematisch vor einer Beantwortung bewahrt worden. Die Fortsetzung dieser Politik der Tabuisierung wird noch schlimmere Verhältnisse nach sich ziehen, als diese heute noch harmlosen bereits offiziell dargestellt werden. Dabei ist die Beantwortung dieser Fragen sehr einfach: Erstens existieren in den Ländern, aus denen Flüchtlinge stammen, Verhältnisse, die die dortigen Menschen bedrohen und nicht befriedigen. Die wichtigste Frage dabei ist, inwieweit Länder wie die Bundesrepublik dafür verantwortlich zu machen sind, Länder bewusst destabilisiert zu haben. In Syrien war sie es nicht, auf dem Balkan hingegen die treibende Kraft. Zweitens sollte es möglich sein, legal einzureisen und sofort einen Antrag zu stellen. Solange das nicht geht, wird es einen Markt für Schleuser geben. Die Parole, nun mit aller Macht die Schleuser zu jagen, aber ansonsten alles so zu belassen, wie es ist, reiht sich ein in das allgemeine Programm der Absurditäten. Und drittens sollte es möglich sein, zu definieren, welche Menschen die Bundesrepublik besonders gerne hier begrüßen würde, weil Menschen mit ihren Fähigkeiten und Potenzialen hier fehlen. Selbst derartig einfache und plausible Überlegungen sind Akteueren fremd, die allen Ernstes glauben, die Kürzung von 4 Euro 86 Taschengeld pro Tag für Asylsuchende würde diese davon abhalten können, aus der Hölle von Aleppo zu fliehen.

Im Haus der Spekulanten sind noch Zimmer frei!

Vor fünf Jahren wurde das erste „Hilfspaket“ für Griechenland geschnürt. Es handelte sich um den ersten Akt einer Insolvenzverschleppung mit bundesrepublikanischer Beteiligung. Dass mit der heute zu beschließenden Maßnahme mittlerweile das dritte Kapitel dieses nach bundesrepublikanischem Recht schwere Vergehen aufgeschlagen wird, zeigt, wie immun die Öffentlichkeit gegen jede Art der Pervertierung von Politik geworden ist. Die Verschleppung der griechischen Insolvenz geschah und geschieht vor allem, um private Gläubiger, die größtenteils aus dem Bankensektor stammen, eine Rückversicherung zu geben für die eigene windige Kreditpolitik. Die Bürgschaften hierfür stammen aus den Etats der restlichen europäischen Steuerzahler. Deshalb ist es verständlich, wenn sich großer Unmut gegen diese Art der Bürgschaft in Europa breit gemacht hat und macht.

Was der Regierung gelungen ist, war den Eindruck zu vermitteln, dass die „Schuld“ für das griechische Debakel bei den Griechen liegt. Das stimmt sogar insofern, als dass Griechenland, übrigens wie der Rest Europas auch, über eine stark unpatriotische Elite verfügt, der die eigene Gefräßigkeit wesentlich wichtiger ist als das Befinden des Landes. Diese Elite, sowohl auf Seiten des Finanzsektors wie auf Seiten der Politik, ließ sich die Kredite von IWF, Weltbank und EU in den weit aufgerissenen Rachen werfen und blickte sich später unschuldig um, als die Rückzahlungsforderung ins griechische Haus trudelte. Zahlen sollten jetzt die Armen, während die Konsumenten der Üppigkeit begannen, ihre geklauten Revenuen auf dem Londoner oder Berliner Immobilienmarkt in witterungsfestes Futter zu verwandeln.

Der Zynismus aus Deutschland, der sich noch in der Wahlnacht auf die neu gewählte Regierung von Syriza ergoss, hatte etwas Tragisches an sich, weil er genau das Programm vorzeichnete, das in ganz Europa gefahren werden muss, um den Hasardeuren und Bankrotteuren, die in den mächtigeren Staaten momentan die Regierungsviertel dominieren, den Weg heraus zu weisen. Die Berliner Protestantengarde, eben noch Komplizen von den Schuldnerkabinetten, forderten Syriza nun auf, mit einer streng kommunistischen Politik dem griechischen Großkapital den Kampf anzusagen. Tragisch für die Ratgeber wird sein, dass sich der Zynismus in reale Programme verwandeln wird, weil die Massenbasis für die Politik wie die Demagogie derselben rasant schwindet. Das ist heute bereits in Athen, Rom, Madrid und Lissabon zu spüren. Erst wenn man in Berlin des Morgens den heißen Mistral irritiert zur Kenntnis nimmt, wird deutlich werden, dass das Spiel zu Ende ist.

Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland ist zu einem herausragenden Destabilisator in Europa geworden. Griechenland ist ein aktuelles Beispiel, der Balkan ein älteres, das jetzt verdeutlicht, wie die Welle der Zerstörung zurückkommen wird. Und zwar in jedem Fall, der noch folgen wird. Die Destabilisierung Jugoslawiens, zunächst durch die Genscher-Diplomatie und dann durch Fischers Kriegslogik, hat zu einem beherrschbaren, aber ebenso gefährlichen Provisorium geführt, das momentan durch Fluchtbewegungen auf sich aufmerksam macht. Die Reaktionen aus Griechenland, Italien, Spanien und Portugal werden ebenfalls folgen, und die aus der Ukraine erst recht.

Und in diesen Fällen führt der Weg zurück zu dem Zynismus, der in Berlin in der Nacht von Syrizas Wahlsieg formuliert wurde: Nehmt doch die Verursacher in die Verantwortung! Das ist ein guter Ratschlag, um auch hier, im Land der Designer, mit einem Programm zu starten, das bereits die Kontur für ein Europa der Zukunft trägt. Die Opfer der Destabilisierungspolitik, die nun als Flüchtlinge über die Grenze kommen, sind konsequent in den Quartieren der Verursacher unterzubringen. Im Haus der Spekulanten sind noch Zimmer frei! Es wäre allerdings nur ein Anfang.