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Monothematische Navigatoren

Diejenigen, die in liberaleren Zeiten ein Studium aufnahmen, können sich sicherlich auch an das Typische, noch etwas Pennälerhafte erinnern, das bei der Wahl eines Studiengangs zum Ausdruck kam, wenn eine Entscheidung gefallen war und man auf Bekannte traf, die sich für etwas anderes entschieden hatten. Da wurde dann über die Disziplinen gefrotzelt, die Weltfremdheit der Philosophen und Philologen, das Unzeitgemäße der Historiker, die Systembeschränktheit der Juristen, die Geldsucht der Mediziner, die Instrumentalisierbarkeit der Naturwissenschaftler etc.. Als das Studium dann richtig begann, haben sich alle, die auch nur etwas vom Wesen der Wissenschaften begriffen hatten, von diesem pubertären Schaulaufen verabschiedet, was nie ausschloss, dass es auch Menschen gab, die das Terrain der Dominanz ihrer eigenen Disziplin nie verlassen und sich auf dem Altar der Fachidiotie geopfert haben. 

Eine der grundlegenden Erkenntnisse eines wissenschaftlichen Studiums sind die der Grenzen, die durch die Wahl der eigenen Perspektive gesetzt sind. Die Beherrschung der wissenschaftlichen Methoden und die Anwendung der Instrumente der eigenen Disziplin sind kein Garant für die Entschlüsselung der überaus komplexen Welt, sie liefern nur einen Beitrag, um das große Rätsel zu entschlüsseln. Das ist viel, aber mehr auch nicht.

Daher kann zu den Errungenschaften des 20. Jahrhunderts gezählt werden, dass immer mehr Wissenschaftler zu dem Schluss gelangten, dass die Beschreibung und Analyse der Phänomene wesentlich besser gelänge, wenn sie in Kooperation mit anderen Disziplinen vorgenommen und durchgeführt würde. Der Begriff der Interdisziplinarität gewann zurecht eine große Anziehungskraft, es wurden gar Institute gegründet, die den Namen in sich trugen. Renommierte, wie der Soziologe Norbert Elias, verweilten am Institut für Interdisziplinäre Forschung und arbeiteten an so bedeutenden Werken wie dem „Prozess der Zivilisation“. 

Mit dem Einzug des Wirtschaftsliberalismus und der zunehmend monetären Abhängigkeit des Wissenschaftsbetriebes von der Zuwendung privater Gelder ging nicht nur das Schillernde, sondern auch das Multiperspektivische verloren. Der Streit der verschiedenen Disziplinen mutierte von einem um Erkenntnis zu einem um Geld. Das fortschreitende Verschwinden interdisziplinären Denkens wurde von dieser Entwicklung begünstigt und sollte, sofern noch einmal  Zukunftsperspektiven außerhalb dystopischen Debakels eine Rolle spielen, zu einer Grundvoraussetzung des Wissenschaftsbetriebes gemacht werden.

Und nicht nur manchmal, sondern allzu oft kommt es vor, dass die Architekten einer Politik ihr eigenes Opfer werden. Vieles, was als Wert an sich in den Geburtsstunden dieser Republik aufgrund der Schaufensterfunktion gegenüber dem Gesellschaftsentwurf im Osten beschrieben wurde, verfiel zum Stückgut beim Discounter, als diese Gefahr gebannt war. Der Wissenschaftsbetrieb wurde, politisch betrachtet, in Isolationshaft genommen.

Und dann kommt da eine epidemische Krise und plötzlich, über Nacht, beginnt die in der Verantwortung stehende Politik auf „die Wissenschaft“ zu hören und inszeniert damit ein Debakel, wie es betrüblicher nicht sein könnte. „Die Wissenschaft“ entpuppte sich nämlich als das Feld der Epidemiologie. Punkt. Alle weiteren Perspektiven wurden ausgeblendet, was zur Folge haben wird, dass das Konstrukt Gesellschaft in dieser Form bald nicht mehr existieren wird. Aufgrund von Einfältigkeit, Dilettantismus und Subjektivismus entstehen unauflösliche Schäden.

Ein Blick in die Geschichte hätte genügt, um zu erkennen, dass die Geschichte der Migration die Geschichte der tödlichen Krankheiten ist – in diesem Falle unter dem Aspekt der Globalisierung zu sehen -, ein Blick in die Volkswirtschaft würde reichen, um die strategische Interdependenz von Produktionsketten als problematisch zu begreifen, eine Betrachtung der Psychologie hätte ahnen lassen, wie das Unterbinden von sozialer Interaktion die Gemüter zerstört, Soziologen hätten auf die destruktiven Effekte sozialer Kasernierung hingewiesen, Bildungswissenschaftler hätten gute Ideen bezüglich einer auf gesellschaftliche Potenziale setzenden Pädagogik präsentiert und nicht zuletzt hätte der eine oder andere seriöse Jurist das heikle Thema der Verhältnismäßigkeit etwas mehr in den Köpfen verankert. Die Liste ließe sich fortsetzen. Aber der Zug ist abgefahren. Genießen wir weiter die monothematischen Exkurse der politisierenden Epidemiologen und der epidemiologisierenden Politiker. Es ist die Zeit der monothematischen Navigatoren.

Krise IX: Die Legitimation von Politik durch Wissenschaft

Die gegenwärtige Krise verstärkt eine Tendenz, die mit der Fridays For Future-Bewegung eingesetzt hatte. Es geht um die Legitimation von Politik mit dem Verweis auf die Wissenschaft. Das wohl wichtigste Argument dieser Bewegung sind Aussagen von Wissenschaftlern zum Klimawandel. Unabhängig von der notwendigen Betrachtung von Wissenschaft fiel auf, dass dieser Verweis bei weitem nicht auf so offene Ohren stieß wie die folgende Welle mit der Pandemie. Da griff die Politik schleunigst zu, zu jeder politischen Entscheidung, die getroffen wird, werden die Politiker von nickenden Virologen und Epidemiologen umrahmt. Anscheinend ist in diesem Fall auch die Akzeptanz derer, die die politischen Entschlüsse mittragen sollen, uneingeschränkt vorhanden.

Aufgrund dieser Erfahrung ist zu erwarten,  dass sich die Politik in Zukunft vermehrt das Testat der Vernunft und Seriosität aus dem Lager der Wissenschaft holen wird. Wäre die Wissenschaft so, wie sie vielen erscheint, könnte das hilfreich sein. Doch so heilig ist die Wissenschaft nicht, auch sie hat in den letzten Jahrzehnten sehr unter Sparprogrammen einerseits und Privatisierung andererseits gelitten. Längst kursieren Begriffe wie Auftrags- und Gefälligkeitswissenschaften, die Zustände beschreiben, in denen die Wissenschaft sich dafür hergibt, die notwendigen Botschaften derer, die als Geldgeber in Erscheinung treten, mit dem Instrumentarium der eigenen Disziplin zu untermauern. 

Bei den vielen Zitaten aus den Wissenschaften, mit denen wir bereits heute konfrontiert werden, empfiehlt es sich, zunächst einmal zu fragen, aus welchem Haus die Untersuchung, auf die man sich beruft, tatsächlich kommt. Meistens sind es private Institute oder Stiftungseinrichtungen, während staatliche Universitäten relativ selten für politische Legitimation zur Verfügung stehen. Ein weiteres Indiz ist der Umgang mit unterschiedlichen Auffassungen. Selten wurden Wissenschaftler derartig demontiert, wie in diesen Zeiten. 

Was als typisch für die Inquisition galt, ist durchweg gesellschaftsfähig geworden. Man sehe sich alle an, die sich der offiziellen Meinungsversion als Wissenschaftler nicht anschließen. Über Nacht sind Menschen, die bis dahin eine unangefochtene professionelle Reputation genossen, mit dem Label des Verschwörungstheoretikers, des Scharlatans oder des Psychopathen versehen.

Andererseits sei der kleine Hinweis auf den wissenschaftlichen Dienst des Bundestages erlaubt. Selbiger ist gerade in der jüngsten Zeit immer wieder zu Ergebnissen gekommen, die der Politik der Bundesregierung diametral entgegenstanden. Der Verweis auf die Wissenschaft bleibt in solchen Fällen aus. Es sollte allen klar sein, dass die Wissenschaft instrumentalisiert wird, auch wenn die Legitimation von Politik durch die Wissenschaft punktuell vernünftig und sinnvoll sein kann. Generell, als politisches Paradigma, ist es ein Desaster.

In Erinnerung ist das Bild, das Dürrenmatt einst von einem Physiker zeichnete, der endlich die Formel für die H-Bombe gefunden hatte und müde, aber glücklich in seinen Sessel sackte. Dann ließ er den Blick schweifen und entdeckte, dass er während der fieberhaften Forschungsarbeit vergessen hatte, seine Pflanzen zu gießen. Sie waren eingegangen. Als er das realisierte, entlockte es ihm eine Träne. 

Es sollte im Kopf sein, dass das Interesse von Wissenschaft nicht kongruent sein muss mit dem, was politisch vernünftig ist. Und es sollte immer bewusst sein, dass die größten Verbrechen der Menschheit von Wissenschaftlern begangen wurden, denen man zu „Forschungszwecken“ Macht gab. Auschwitz wäre ohne ihr Zutun nicht so möglich geworden und, als der Krieg vorbei war, sorgte der amerikanische Geheimdienst dafür, dass man diese Kriminellen in die USA holte, um den militärisch-industriellen Komplex aufzubauen. 

Harmlos ist die Legitimation von Politik durch die „Wissenschaft“ also nicht. Auge, sei wachsam!     

„Wozu dann überhaupt eine Wissenschaft?“

Ganz so edel waren die Ursprungsmotive nicht, aber genauso berechtigt wie die jetzige politische Aussage. Die Wissenschaftler, die als Reaktion auf den Präsidenten Donald Trump in Washington auf die Straße gingen, protestierten gegen die drastischen Kürzungsmaßnahmen für alle Arten der Forschung, die Trump angekündigt hatte. Es ging also um Geld und Arbeitsplätze. Also eine individuell existenzielle Bedrohung, die sich schnell ausweitete auf die Frage einer gesellschaftlich existenziellen Bedrohung. Denn wir erleben das Paradoxon einer Epoche, die sich auf die Allverfügbarkeit des Wissens beruft und gleichzeitig die Bedingungen, derer es bedarf, um Licht in die dunklen Geheimnisse dieser Welt zu bringen, gnadenlos privatisiert. Das ist kein neues Phänomen, das mit Donald Trump aufgetaucht ist, sondern eine Begleiterscheinung des Wirtschaftsliberalismus, der entgegen seiner programmatischen Aussage im Namen knallhart aus der Freiheit der Wissenschaften den Zwang zur Auftragswissenschaften geformt hat.

An den Hochschulen der freien westlichen Welt ist seit Jahrzehnten eine Entwicklung zu beobachten, die auf Ökonomie, Technik und Recht setzt und alle Formen der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften zu marginalisieren trachtet. Die materiellen Bedingungen sind entlehnt aus dem Modell des Prekariats. Die meisten Forschungsbereiche sind zeitlich limitierte Projekte, die Wissenschaftler erhalten folglich Zeitverträge, die dann immer wieder so lange unterbrochen werden, bis die Klausel des Kettenvertrags nicht mehr greift. Und diejenigen, die das Geld aufbringen, bestimmen, in welche Richtung geforscht wird.

Die systematische Instrumentalisierung der Wissenschaften, um Markt affine und Markt kompatible Einsichten zu gewinnen, hat ihren immer auch latent vorhandenen subversiven Charakter erheblich reduziert. Eine Erkenntnis, die die bestehenden Verhältnisse weder als Endzweck noch als Erstrebenswertes darstellt, ist nicht gewollt. Das Dilemma, in das die zunehmend im Verborgenen operierende kritische Wissenschaft geraten ist, sind die mangelnden Möglichkeiten der Disseminierung ihrer Erkenntnisse. Das Bildungssystem und seine Absicherung gegen einen breiten Bildungserfolg haben dazu geführt, dass die Form von Kritik an den bestehenden Verhältnissen, die aus wissenschaftlicher Sicht einer breiten Massen zugänglich wäre, entweder von dieser nicht mehr gefunden oder nicht mehr verstanden wird.

Und so ist es auch ein Zeichen der bereits seit Jahren um sich greifenden Mystifikation, dass die ganze Wut gegen diese Entwicklung, die nun Donald Trump entgegentritt, den Regierungen der eigenen Länder gebührt, die es verstanden haben, die Wissenschaftsbetriebe zu Appendices der Industrie umzuwandeln und in ihren Schulsystemen zu garantieren, dass sich dort nur die nach oben durchsetzen, die aus den Stämmen und Clans der Verwertung stammen, einige Ausnahmen eingeschlossen.

Die Verhältnisse, die in den Demonstrationen für die Wissenschaft angeprangert werden, sind zu kritisieren. Mehr noch, sie sind zu bekämpfen. Im Arsenal der Aufklärung liegen noch Instrumente, die dabei behilflich sein können.

„Ich bin der Geist, der stets verneint! Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht!“

Die Radikalität, mit der Mephistopheles in Fausts Studierzimmer sein Verständnis formuliert, ist in diesem Unterfangen durchaus angebracht. Und wer sich dann fragt, wie das in den Zusammenhang passt, der findet die Antwort an des Teufels literarische Figur natürlich bei Karl Marx, der schrieb in einem jener berühmt gewordenen Briefe an Kugelmann die Antwort nieder:

„Wozu dann überhaupt eine Wissenschaft? (…) Mit der Einsicht in den Zusammenhang stürzt, vor dem praktischen Zusammensturz, aller theoretische Glauben in die permanente Notwendigkeit der bestehenden Zustände.“