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Nichts ist von Dauer

Empedokles, der damals große Denker in der Neuen Welt Sizilien, wohin die unruhigen Geister aus Griechenland zogen, brachte die Aporie der menschlichen Existenz lapidar, aber treffend auf den Punkt. Nach der Befindlichkeit seiner Mitbürger zu Agrigent befragt, antwortete er, sie bauten, als wollten sie ewig leben und sie äßen, als müssten sie morgen sterben. Besser kann der unausweichliche Widerspruch nicht charakterisiert werden. Nicht jede Gesellschaft löst die Frage so vortrefflich wie die Menschen aus Agrigent, aber sie scheinen nicht nur lebensfreudig und sich dennoch des Todes bewusst, sondern auch klug gewesen zu sein.

Der Wunsch, für die Ewigkeit zu bauen, ist ein Appell an die Verantwortung einzelner Generationen gegenüber der Spezies selbst. Und da taucht schnell die Frage auf, was denn die Substanz und Form für die Ewigkeit ist. An der Schwelle von der Antike zur Neuzeit waren es Gebäude und zunehmend Infrastruktur, beides ist aus dieser Zeit zum Teil noch zu bewundern, und im Vergleich zu heutigen Halbwertzeiten ist vieles von dem tatsächlich für die Ewigkeit entstanden.

Obwohl der Begriff aus den selben Zeiten entlehnt ist, als Empedokles und seines Gleichen die menschliche Existenz zu entschlüsseln drohten, beschreibt er ein Massenphänomen unserer Tage. Hedonisten, von Vereinfachern auch gerne Hedoniker genannt, beschreiben Individuen, die sich in erster Linie durch den Konsum definieren. Das muss nicht teueres Gut sein, was sie da verbrennen, aber es muss eben passiv verbraucht werden. Der Hedonismus ist das Resultat der Massenproduktion und Konsumgesellschaft und er lässt sich auch als eine Passivisierung des Individuums beschreiben. Passiv deshalb, weil Hedonisten ihrerseits kaum noch Produktives zur gesellschaftlichen Entwicklung beitragen.

Der Diskurs, der von Wirtschaftsliberalisten so gerne unter der Überschrift der schwarzen Null geführt wird, beruft sich ausdrücklich auf künftige Generationen und das, was wir, die Lebenden, ihnen überlassen werden. Das Hört sich sehr verantwortungsvoll an, entpuppt sich bei näherer Betrachtung jedoch als eines der profundesten Betrugsmanöver gegenwärtiger politischer Argumentation. Bilanzen sind das Letzte, was für die Ewigkeit bestimmt ist. Bei ihnen handelt es sich um Momentaufnahmen der Liquidität, die nichts, aber auch gar nichts über die Zukunft aussagen. Die Täuschung über die Generationenverantwortlichkeit gipfelt in dem Manöver, unter dem Vorwand der schwarzen Null Investitionen in Schulen, Bildung und Infrastruktur zu unterlassen.

Und das ist die Frage, die alle, die von der Maxime der Hinterlassenschaft sprechen, tatsächlich bewegen sollte: Was ist es, das ein Beitrag für die Ewigkeit sein könnte? Es wären tatsächlich Schulen, die durch ihre Architektur die Phantasie anregen, die von der Substanz Bestand haben und die als öffentlicher Raum eine Funktion haben. Es wären Bibliotheken, die moderne Arbeitsbedingungen aufweisen und in denen sich die Menschen gerne treffen, es wären Musikhäuser, die die Seele und das Empfinden inspirieren und zu einem Diskurs über das Schöne anregen und es wären Sportstätten, die dazu einladen, sich einfach nur zu bewegen oder sich um eines Zieles willen zu verausgaben. Es gäbe noch vieles, was sich sagen ließe, über eine ganz bescheidene Vorstellung von Ewigkeit.

Die zeitgenössische Menschheit vegetiert auch in ihren Diskursen am Rande der Selbstaufgabe. Unter den Maximen primitiver Gewinnideologien wird ins Unterbewusstsein das dumpfe Gefühl gesprüht, dass nichts von Dauer sei. Raub den Menschen die Zukunft, und du hast sie sehr schnell im Stadium der Barbarei.

Die agrigentinische Weisheit

Die Aporie scheint vorgegeben. Wie erhalten wir noch Lebensfreude in einer Welt, die sich im Augenblick berauscht, aber heruntergerissen wird durch das schlechte Gewissen hinsichtlich einer Zukunft, an die keiner mehr glaubt? Die Inflation des Begriffs der Nachhaltigkeit ist ein eindringliches Symptom für das Auseinanderklaffen eines auf den Moment fokussierten Hedonismus und eine Abstinenz auf eine kollektive positive Prognose. Einmal abgesehen von den Zweifeln, ob die Vergeudung von Ressourcen und die Enthüllung aller weltlichen Geheimnisse tatsächlich zu einer Erhöhung des Genusses führt, die Nonchalance auf die Zukunft ist Abgrund tief.

Es hilft in der Regel nicht, auf historische Entwicklungen zu verwiesen, die den gegenwärtigen Zustand erklären. Zumindest nicht in Bezug auf eine Lösung des Problems. Alles war schon irgendwann mal da und nichts könnte durch eine neue Undurchdringlichkeit überraschen. Gewiss ist, dass die Beschleunigung des Kapitalismus zunächst zu einer Entzauberung und dann zu einer Entsinnlichung der Welt geführt hat. Es ist kein Zufall, dass ernst zu nehmende Kulturkritiker, die jenseits des Mainstreams zu denken gedenken, von einer kollektiven Phase der Pornographie sprechen: Die Gesellschaft als ein Artefakt der totalen Entblößung, die die Aura, den Zauber und den Eros mit einem Schlag ins Jenseits befördert.

Die Pornosemantik tut sich schwer, über den Augenblick hinaus eine Welt zu denken, in der Freiräume existieren, die es ermöglichen, nicht Vorhersehbares Wirklichkeit werden zu lassen. Die Transparenzgesellschaft hat es zur Meisterschaft gebracht, wenn es darum geht, jegliche Form der Existenz in grellem Lichte auszustellen, aber sie hat in gleichem Atemzug zu dieser Meisterschaft die Dynamik der einzelnen Existenzen selbst genau der Zone beraubt, die erforderlich ist, um kreativ wirken zu können. Es handelt sich um den Bereich des Negativen, des Widersprüchlichen, des Absurden, welches nicht positiv darstellbar ist und insofern nicht sein darf. Der Mensch ist verkommen zum Ausstellungsstück, das nicht mehr Mensch sein darf samt seiner Geheimnisse und Gelüste.

Auch wenn die Geschichte nicht immer hilft, so kann sie dennoch auf Augenblicke verweisen, in denen ein heute als modern begriffenes, aber vielleicht auch schon immer vorhandenes Makel in der lichten Stunde einer besonderen Beobachtung aufgehoben wurde. Einer, der sich schon immer im Zwielicht aufhielt und überall, nur nicht in der Eindeutigkeit lokalisierbar war, ist der Kosmogoniker Empedokles. Vor nunmehr 2500 Jahren wirkte er, dachte quer und wurde aus seiner Heimat vertrieben. Er strandete im heutigen Sizilien, für das damalige antike Griechenland die Neue Welt. In Agrigent ließ er sich nieder und war fasziniert von der Lebenseinstellung seiner neuen Landsleute. Sie waren nicht verloren im Kampf um Besitzstand, sie hingen dem Traum einer besseren Welt nach, der geprägt war von dem Wunsch nach der Teilhabe am Augenblick und beseelt von der Mission, etwas schaffen zu wollen, auf das die Nachwelt noch mit Begeisterung schaut.

Empedokles, der vergleichen konnte mit seiner Heimat, in der die Vision erloschen war, drückte seine Bewunderung und Liebe zu den Agrigentinern in einer Beschreibung aus, die bis heute fasziniert und eine Botschaft in sich trägt, die den Zusammenhang von einer sozialen Vision und augenblicklicher Genussfähigkeit so auf den Punkt bringt, eine, Definition, die bis heute Leuchtkraft besitzt. Die Agrigentiner, so Empedokles, bauen, als wollten sie ewig leben, und sie essen, als müssten sie morgen sterben. Schöner kann man es nicht sagen.