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Animal Farm 4.0

Das Betrüblichste, was man erleben kann, ist die Erfüllung der Prognosen eine Dystopie. Die sozialen Horrorszenarien, mit denen ganze Generationen aufwuchsen und die zu Klassikern der Moderne wurden, waren Aldous Huxleys „Brave New World“ und die beiden Romane von George Orwell „1984“ und „Animal Farm“. Entstanden sind diese Werke aus den Erfahrungen im 20. Jahrhundert mit totalitären Systemen. In allen Werken geht es um die Perversion bestimmter Visionen, indem sie als Instrument der Macht missbraucht werden. Die tatsächliche soziale Realität hat mit der Vision nicht nur nichts mehr gemein, sondern sie  bekommt die Kontur des Gegenteils. Bei der Lektüre der drei genannten Romane fällt auf, dass sie diese Tendenzen illustrieren, nur die Aspekte der Machtausübung unterscheiden sich. Mal ist sie mehr ideologisch, mal mehr technisch. Entscheidend ist die Entmündigung der Beherrschten und der Angst als einem der probatesten Mittel der Züchtigung bei Widerspruch.

Schon vor Jahren haben selbst etablierte Politiker davon gesprochen, dass man auf dem Weg sei, diese Dystopien, die nahezu alle in der Schule gelesen hatten, verwirklicht zu sehen. Ich erinnere mich an ein Statement von Otto Schily, der noch vor dem Jahr 1984 in einem Interview darauf verwies, dass hinsichtlich der gesellschaftlichen Zustände die düstere Vision schon vorzeitig erreicht sei. Da war er noch Oppositionspolitiker, später, als er das Amt eines Innenministers bekleidete, wurden derartige Einblicke seinerseits nicht mehr gewährt.

Damit wären wir bei der zentralen Aussage von „Animal Farm“. Dort geht es darum, dass jede Revolution eine Klasse hervorbringt, die alles dieser Revolte verdankt, die das Glück, nach oben gespült worden zu sein, kaum fassen kann und kurz nach dem Aufstand damit beginnt, ein Konstrukt zu bilden, das den alten Herrschaftsverhältnissen sehr ähnelt. Nur die Herrschenden sind nun andere. Dabei genügt es nicht, die Masse der Gutgläubigen lakonisch mit dem Slogan „So ändern sich die Zeiten!“ abzuspeisen. Dazu bedarf es der Aufrechterhaltung der Illusion, dass sich die Verhältnisse geändert haben. Das Besteck, das sie dabei benutzen, ist das der Camouflage, der Produktion von Feindbildern und der Kultivierung von Angst.

Sehen wir uns die Entwicklung der letzten Jahre in unserem Gemeinwesen an. Kommt, in Anbetracht der erwähnten „Animal Farm“ nicht in den Sinn, dass vieles von dem, was George Orwell der Klasse der die Restauration betreibenden Schweine zugeschrieben hat, zu den Praktiken eines gesellschaftlichen Diskurses avanciert ist, der das Handeln der Regierenden begleitet? Immer werden Tatsachen vorgegeben, die nicht dem entsprechen, was aus der Sicht großer Teile der Gesellschaft dem entspricht, wie sie es sehen. Stattdessen lauern überall Feinde, im Inneren wie von außen, kaum ein missratenes Handeln der in Macht und Verantwortung Stehenden wird ihnen selbst zur Last gelegt, sondern besagten Saboteuren, Feinden und Wirrköpfen in die Bilanz geschrieben. Und alle, die sich dieser Logik erwehren, wird mit Stigmatisierung und Verfolgung gedroht. 

Ich empfehle, Orwells „Animal Farm“ unter diesem Aspekt noch einmal zu lesen. Das aus meiner Sicht wahrhaft Traurige an der Rezeptionsgeschichte dieses Buches ist, dass eine Kritik, die auf der Folie der Erfahrungen vor allem sowjetischer Entwicklungen geschrieben wurde, nun in massiven Zügen das Bild über die gegenwärtigen Praktiken einer gewählten Regierung und der sie eskortierenden PR erreicht. Animal Farm 4.0 – auch Dystopien schreiben sich fort. 

Desinformation: Zeit für die Umkehrung aller Werte

Während momentan die Sirenen aus allen Kanälen tönen, ich mich an die Erzählungen meiner Mutter die Bombardements erinnere und die Hunde in meinem Viertel zu einem protestierenden Rudel zusammenfinden, denke ich über eine Definition nach, die mehr und mehr unseren Alltag durchdringt und die alles aussagt über den mentalen Zustand, in dem wir uns befinden. Es ist der der Desinformation. 

Folgte man der eigentlichen Wortbedeutung, dann handelt es sich bei einer Desinformation um das gezielte Platzieren von Unwahrheiten, um bei den Empfängern der Nachricht eine Reaktion hervorzurufen. Diese wiederum behandelt den falsch dargestellten Sachverhalt als gegeben. Das Ergebnis einer Desinformation ist eine fehlgeleitete Handlung. Ob es sich dabei um eine tatsächliche, aktive Tat oder um eine Meinungsbildung handelt, sei zunächst einmal dahingestellt. Insofern ist das Vorgehen gegen Desinformation eine vernünftige Angelegenheit, wenn man der Auffassung ist, dass nur die Wahrheit das richtige Terrain für vernünftiges Handeln darstellt.

Das für mich Beängstigende, oder besser formuliert, das Verstörende bei der nunmehr vonstatten gegangenen Vergesellschaftung des Begriffes der Desinformation hat mit der vorausgeschickten Definition und Bedeutung nichts zu tun. Es handelt sich dabei um die schlichte Behauptung, dass alles, was den Statements der Regierung und dem vorherrschenden Mainstream widerspricht, als Desinformation zu werten und zu behandeln ist. Wer eine andere Meinung hat, wer Fakten anführt, die der öffentlichen Darstellung widersprechen, wer sich erlaubt, eine andere Sichtweise darzulegen, betreibt also Desinformation.

Diese Art der Deutung hat sich in den letzten Jahren eingeschlichen und wird von allen, die an ihr gearbeitet haben, weiter propagiert und von denen, die sich daran gewöhnt haben, ihr nicht zu widersprechen, weiterhin geduldet. Dass es sich dabei um die Implantierung totalitären Staatsdenkens handelt, ist noch nicht genügend kommuniziert. Wer wäre noch vor wenigen Jahren auf die Idee gekommen, sich vorstellen zu können, dass der Widerspruch zu den Aktionen einer Regierung oder der Darstellung bestimmter Sachverhalte in den Leitmedien behandelt werden könnte als eine subversive, staatsfeindliche und undemokratische Angelegenheit. Hätte man das erzählt, wäre lautes Gelächter die allgemeine Reaktion gewesen.

Kommt man zudem zu der ursprünglichen Definition von Desinformation zurück, dass nämlich das bewusste Setzen falscher Fakten zu einer bestimmten Reaktion führen soll, dann sind es gerade diese Instanzen, die sich allenthalben über die zunehmende Desinformation beklagen, genau diejenigen, die die Desinformation gesellschaftsfähig gemacht haben. Die Desinformation gehört mittlerweile zu ihrem Tagesgeschäft. Nachrichtensendungen der öffentlich-rechtlichen Anstalten sind schlichtweg nicht mehr zu ertragen, weil eine Falschbehauptung die nächste jagt. 

Das Szenario, das sich rund um den Begriff der Desinformation rankt, gehört eigentlich in das Genre der literarischen Dystopie. Das Signifikante dabei ist, das ein George Orwell in „1984“ und  „Animal Farm“ diese Phänomene so beschrieben hat, als wären sie unserem heutigen Alltag entnommen. Das Kuriose dabei ist, dass zumindest meine Generation diese Bücher noch in der Schule lesen sollte und mit Gewinn gelesen hat, mit dem pädagogischen Ziel, als Demokraten solche Verhältnisse nicht mehr zuzulassen. 

Das Recht, eine andere Meinung und Sichtweise haben zu können, kann durch die Etikettierung mit dem Begriff der Desinformation nicht genommen werden. Ein solches Vorgehen entlarvt  totalitäres Denken. So etwas ist ein Manöver derer, die im Genre der Desinformation ihrerseits zuhause sind. Es ist mal wieder Zeit für die Umkehrung aller Werte.  

Das Wörterbuch des Unmenschen

Kann das, was in dieser schönen neuen Welt der Kommunikation vonstatten geht, in einer Weise beschrieben werden, die sich dem Klischee und der Polemik enthält? Nur sehr schwer. Denn der Konsensus über das, was gesagt werden darf und was nicht, ist groß und wirkt mächtig. Ja, es ist bekannt, die erste Replik des domestizierten Mainstream auf die Klage, dass es gefährlich sei, sich zu äußern, ist immer das Statement, man dürfe alles sagen. Das stimmt. Nur, wenn die Abweichung von dem vorgeblichen Common Sense zu groß ist, dann sind die sozialen Sanktionen erheblich. Die Etikette liegen bereit: Verschwörungstheorie, Freund des einen oder anderen Feindes, Verwirrung. Das skurrile an diesem Mechanismus ist die Reversiblität. Alles, was den vermeintlich Abtrünnigen vorgeworfen wird, trifft auf den Prozess der Konsensbildung selbst zu: Verschwörungstheorie, Freundschaft mit Feinden, Verwirrung.

Allein die letzten Wochen haben es wieder sehr deutlich gemacht: Wer fragen stellt, die die Vorverurteilung anzweifeln, wird per se zum Komplizen des Feindes. Das, was als der Wert der Rechtsstaatlichkeit im Kampf gegen Schurkenstaaten reklamiert wird, wird, wenn es um die Interessen der eigenen Machteliten geht, mit Füßen getreten: regelmäßig und systematisch. Dass diese Eliten sich einen Dreck um die Wirkung ihres Handelns scheren, sei es bei Produktionsmethoden, bei Kriegen um Ressourcen oder bei der Vernichtung der Umwelt, wird nicht thematisiert. Dafür gibt es immer wieder Skandale in der Ferne, die von der Dimension des höchstens mittelbaren Schadens in keinem Verhältnis zur eigenen Liste der Vergehen stehen. Das ist der Clou. Doch die von einem Corps bezahlter Medienagenten chronisch irritierte Masse folgt den Ablenkungsmanövern. Mit einer Sicherheit, die apokalyptische Ausmaße besitzt. Und mit einer Wirkung auf die Irritierten, dass Zweifel am Verstand in den Regionen des eigenen Lebensraums berechtigt sind.

Die bei der Bändigung der freien Willens eingesetzte Sprache hat sich längst über das hinaus entwickelt, was George Orwell in seiner vermeintlichen Dystopie „1984“ als IncSoc bezeichnet hatte. Es wimmelt von Konstruktionen, die vormals in den Arsenalen der Linguistik allenfalls in den Aufzeichnungen aus der Inquisition zu finden sind. Da geistern Attribute durch die Welt, die von Werbeagenturen geschaffen wurden, die nach einer bestimmten Systematik arbeiten: Schaffe einen diskriminierenden Begriff und sozialisiere ihn. Wende ihn immer wieder an, egal in welchem Kontext, bis er sitzt. Dann hast Du die Lufthoheit. Und so wurden bereits Kriege vorbereitet.  Wenn sich, wie im zu beobachtenden Fall, die Medien bereits in den Händen derer befinden, die das Spiel betreiben, existiert keine Chance, diesem ein Ende zu bereiten. Kaum hast Du einen klaren Gedanken gefasst, bricht über Dich bereits der Shitstorm herein. 

Und die Logik ist gefährlich. Wer sich dagegen stellt, wird genau mit dem Gegenteil dessen identifiziert, was er beabsichtigt. Es folgt der Rechtfertigungszwang, der zumeist bei jedem Versuch, ihn aufzulösen, im Debakel endet. Während die Agenten der Macht jeden Tag unwidersprochen, stündlich, einen semiotischen, syntaktischen und grammatischen Müll absondern, der es in der Zukunft wird aufnehmen können mit dem von Dolf Sternberger erstellten Wörterbuch des Unmenschen. Diese Lektüre ist zu empfehlen. Denn es tauchen dort Begriffe auf, die es bis in die Gegenwart geschafft haben, ohne dass es noch jemand merkt. Wer diesen Prozess aufspürt, bekommt eine Idee davon, auf welchem grausamen Weg wir uns befinden.