Das Prinzip der direkten Wirksamkeit

Das Wirre scheint sich zumindest für eine gewisse Zeit als semantischer Standard unserer Gesellschaft etabliert zu haben. Indiz dafür sind nicht nur die Erklärungsversuche für bestimmte Entwicklungen, sondern auch die Vorstöße, mit denen neue perspektivische Dimensionen erschlossen werden sollen. Gerade gestern noch war zu lesen, dass der deutsche Verteidigungsminister zwei wertvolle Bespiele für die genannte These lieferte. Zum einen sagte er, die Trennung zwischen ziviler und Kriegswirtschaft sei überkommen. Und zum anderen sprach er vom Sinn stiftenden Charakter des Militärdienstes. Vielleicht meint es der Mann nicht böse, aber als Referenz besitzen diese Worte eine derartige Absurdität, dass es sich verbietet, in eine solche Diskussion noch einzusteigen. Lasst ihm die Nacht, in die er sich hüllt, wenn der Morgen graut, ist er nicht mehr zu sehen!

Aber es ist nicht so, als seien alle in der Trunkenheit versunken. Ebenfalls gestern las ich von dem Vorschlag, immerhin eines Mitglieds des Europäischen Parlamentes, dass bei der Überlegung einer Wehrpflicht man zunächst auf das Prinzip der direkten Wirksamkeit zurückgreifen solle. Übrigens einer Denkweise, die der Idee von Demokratie sehr nahe kommt, aber in den Tagen ihrer gravierenden Krise nicht mehr beachtet wird. Was er damit meinte, war sympathisch. Er schlug vor, dass als erstes die Kinder derer eingezogen werden sollten, deren Eltern Aktionäre in der Rüstungsindustrie seien. Da wäre die direkte Wirksamkeit tatsächlich hergestellt. Wer am Krieg verdient, darf keinen Einsatz scheuen und sollte nicht darauf vertrauen können, für den eigenen Wohlstand keinen Preis zahlen zu müssen.

Die Idee sollte unbedingt wieder aufgegriffen werden! Man stelle sich bei der mehr als absurden Rentendebatte, in der ungeheurer Unsinn geschwafelt wird, weil lediglich auf die Demographie verwiesen wird, allerdings die zweckfreien Entwendungen aus den Rentenkassen genauso verschwiegen werden wie das Momentum, dass die Altersversorgung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist und deshalb alle gemäß ihrer Einkünfte dort einzahlen müssten, einmal vor, man teilte all denen, die von der Beteiligung befreit sind, mit, sie dürften zum Zeitpunkt ihrer Zurruhesetzung nur noch auf 48 Prozent ihres Vermögens zugreifen! Da wäre genau die Stimmung, die in einer Plutokratie oder einem Oligarchenstaat entsteht, wenn gesellschaftliche Aufgaben den Nutznießern des Gemeinwesens in Rechnung gestellt werden.  

Und der Gedanke muss weitergeführt werden! Warum zahlen nicht alle Menschen, die Finanztransaktionen, sprich Überweisungen vornehmen, nicht pro Aktivität eine Steuer von einem halben oder einem Prozent für die Kosten des Gemeinwesens? Das machte die Armen nicht ärmer und die Reichen auch nicht. Aber es flössen Milliardenbeträge in die Staatskassen und ermöglichten viele notwendige Investitionen ohne die Aufnahme neuer Schulden. Natürlich müsste das einhergehen mit einer radikalen Veränderung staatlicher Administration, keine Frage. Warum solche Überlegungen nicht existieren? Geben Sie selbst die Antwort!

Es ist an der Zeit, das Prinzip der direkten Wirksamkeit dahin zurückzubringen, wohin es gehört: in das Zentrum der politischen Diskussion! Die Wirrköpfe, die momentan die öffentliche Diskussion in Politik und Medien bestimmen und ihre abstrusen Vorstellungen absondern können, werden nicht zu einer Verbesserung der Verhältnisse beitragen. Wer freies Wirtschaften unter die Zuchtrute des Militärs stellen will und die Erziehung zum Krieg als Sinn stiftend bezeichnet, dem fehlt nicht nur das Licht der Sonne, sondern belegt auch die These, dass es dringend erforderlich ist, zu konstruktiven Betrachtungsweisen zurückzufinden.    

Das Prinzip der direkten Wirksamkeit

Ostenmauer – 75. Das Ei des Kolumbus

Ja, wir leben in unruhigen Zeiten. Und ja, viele Menschen fühlen sich verunsichert. In unzähligen Gesprächen, egal, wo sie geführt werden, ob im Büro oder morgens beim Bäcker, ob in der Straßenbahn oder abends mit Freunden, immer mehr wird der Wille deutlich, dass etwas geschehen muss, um das destruktive Treiben derer, die die Macht haben, durch Wille und Vernunft zu beenden. Warten, dass ist der Tenor, Warten ist keine Alternative. Wenn gewartet wird, dann kommen andere, die vorgeben, Lösungen parat zu haben. Was daraus wird, hat die Geschichte gezeigt. Insofern ist die positive Botschaft dieser Tage, dass sich immer mehr Menschen darüber im Klaren sind, dass sie etwas machen müssen, um die Verhältnisse zu ändern.

Die negative Nachricht kann jedoch nicht unterschlagen werden. Immer mehr von denen, die bereit wären, etwas zu tun, beklagen die Wirre im Kopf, wenn es darum geht, herauszufinden, was richtig und falsch ist. Sie beklagen, die Orientierung verloren zu haben. Es ist ein Massenphänomen, das zurückzuführen ist auf die heiße Schlacht um die Wahrheit, die nicht selten endet in einem Duell beiderseitiger Fake News. Da ist guter Rat teuer. Deshalb ist ein Anliegen, auf Narrative zu verweisen, die jeder kennt und die deutlich machen, dass es gut ist, dem eigenen Verstand und der eigenen Erfahrung zu trauen und daraus die entsprechenden Schlüsse und Entscheidungen abzuleiten.

Als kleines Beispiel soll das berühmte Ei des Kolumbus gelten. Was war da noch geschehen?

Als Kolumbus mit seiner ramponierten Flotte zurückkam von der Entdeckung der Neuen Welt, löste das selbstverständlich großes Aufsehen aus. Auf einem der vielen Bankette, auf denen sich Kolumbus zeigen musste, stellte ihn der berühmte und berüchtigte Kardinal Mendoza zur Rede. Man bedenke, diese Begebenheit spielte im Jahr 1493 und es war bei weiten nicht die Geburtsstunde der Aufklärung im Land. „Wenn ich dich so reden und erzählen höre“, so richtete Kardinal Mendoza sein Wort direkt an Kolumbus, „so komme ich zu der Auffassung, dass deine Reise, die du so herausstreichst, von einem jeden hier im Saale hätte gemacht werden können!“

Christoph Kolumbus forderte in seiner Replik die gesamte Tischrunde auf, doch bitte ein Ei mit der Spitze nach unten zum Stehen zu bringen. Zwar etwas verwirrt, aber dennoch begann gleich der Versuch eines jeden, der Aufforderung nachzukommen. Logischer wie bekannter Weise scheiterten die Versammelten allesamt. Dann nahm Kolumbus ein Ei und schlug es mit der Spitze nach unten leicht auf die Tafel, so dass es zum Stehen kam. Und noch während die Runde, allen voran Kardinal Mendoza, begann, gegen die Methode des Kolumbus zu protestieren, sendete er ihnen die Botschaft, um die es ihm ging: „Ihr sagt, so hättet ihr es machen können, ich aber habe es getan!“

Das Narrativ, das sich seit einem halben Jahrtausend hält, stellt heraus, dass es darum geht, den eigenen Verstand zu benutzen und bereit zu sein, pragmatisch das zu tun, von dem man überzeugt ist und dass es zum Ziel führt. Ein sehr einfacher Sachverhalt, der besonders in Zeiten der ideologischen Verkomplizierung des Lebens von besonderem Wert ist. Bitte denkt an das Ei des Kolumbus, wenn sich die nächste Gelegenheit bietet, etwas zu tun, das vernünftig ist und etwas Courage erfordert. Ihr werdet neue Kontinente entdecken!

Das Ei des Kolumbus

Rüstung: In dulci jubilo!

Irgend etwas scheint nicht zu stimmen mit der aktuell verbreiteten These, man habe keinen Blick auf die Geschichte. Bei der Frage, ob etwas daraus gelernt wurde, mögen die Zweifel zumeist zutreffen, allerdings sind in Phasen großer Veränderungen die Blicke immer auf die Geschichte gerichtet. Da versucht man zumeist, historische Vorbilder zu finden, die das eigene Handeln erklären oder sogar legitimieren. Immer lauert irgendwo die Antike, oder irgend eine Revolution oder sogar ein Denker, der das, was viele Menschen an der momentanen Situation so verunsichert, erklären kann. 

Und tatsächlich: die Beispiele sind zahlreich, in denen in der Geschichte man davon sprechen konnte, dass, wenn Herrschaftsformen und deren Akteure sprichwörtlich mit ihrem Latein am Ende waren, man zu den Waffen griff, um dem semantischen Elend zu entkommen und erst einmal Tabula rasa zu machen. Koste es, was es wolle. Weil den Preis in der Regel andere zahlen müssen als diejenigen, denen nichts anderes mehr als Krieg und Zerstörung einfällt.

Das schwedische Institut SIPRI, unabhängig und international anerkannt, veröffentlichte jetzt die Erfassung der Militär relevanten Zahlen für das Kalenderjahr 2024. Daraus geht hervor, dass in diesem Jahr global 2,7 Billionen US Dollar für Militär ausgegeben wurden. Aktueller Anlass seien verschiedene Kriege, vor allem der in der Ukraine und der in Gaza, die dafür verantwortlich seien. Ca. 60 Prozent der weltweiten Militärausgaben wurden von den USA, China, Russland, Deutschland und Indien getätigt. Zum Vergleich: bei der jüngst im brasilianischen Belem abgehaltenen Klimakonferenz wurden weltweit Ausgaben von ca. 100 Milliarden zum Schutz von Mensch und Natur beschlossen. Wer die Relation vor Augen hat, weiß, wo die Prioritäten liegen. Kein Wunder, dass die Analyse von SIPRI mit der Feststellung endet, dass durch die Aufrüstungsspirale langfristig die globale Sicherheitslage instabiler werden wird.

Die einzigen, die sich über diese Entwicklung erfreuen können, sind die Rüstungsunternehmen, die wohlweislich einige der ideologisch wildesten Kriegstreiber bereits auf ihren Zuwendungszetteln haben. Dort singt man in der Vorweihnachtszeit nun das „In dulci jubilo“ , man befindet sich in süßer Freude angesichts der Mut- und Ratlosigkeit der politischen Klassen in der sich veränderten Weltlage.

Bei dieser Anlehnung an die Geschichte drängst sich noch der nichts beschönigende Satz Bert Brechts auf, in dem es hieß:

„Das große Kathargo führte drei Kriege. Nach dem ersten war es noch mächtig. Nach dem zweiten war es noch bewohnbar. Nach dem dritten war es nicht mehr zu finden.“

Mit einem Blick auf die politischen Klassen, die sich an diesem Wettlauf beteiligen und deren Perspektive sich in einer illusionären Machtfrage auflöst, sei an die wachsende Instabilität der jeweiligen Ordnungen erinnert, sofern sich die Menschen, die als Kanonenfutter bereits einkalkuliert sind, der Lage bewusst werden. Dann kann dieser falsche Rekurs auf die Geschichte auch noch zu einem richtigen werden. Dann brechen die trotz aller Waffenstarre fragilen Gebilde zusammen wie die sprichwörtlichen Kartenhäuser. Manchmal fehlt ein Wimpernschlag, um die Verhältnisse umzukehren und dem Fiasko ein Ende zu bereiten. 

Und schon sind die unzählig oft Enttäuschten zu hören, die da rufen werden: schön geträumt! Mir fällt in solchen Situationen immer der Satz einer alten Partisanin ein, die als junge Frau dabei war, als ihr Land von fremder Herrschaft befreit wurde: „You never know where the ball rolls!“ 

Rüstung: In dulci jubilo!