Archiv des Autors: Gerhard Mersmann

Osans Wellen

Das quantitative Kontingent
Von Liebe
Ist schnell erschöpft
Wenn es brennt.

Wer zu zählen beginnt
Hat das Band verloren
Denn Takt allein
Schafft keine Melodie.

Im Ungewissen
Wohnt Risiko
Wie Herrlichkeit.

Sättigung schafft
Kein Verlangen
Manche Not
Das Tor zum Glück
Und Menschenliebe
Seine höchste Form.
Osans Wellen

Ostenmauer – 76. Die kränkelnde Blässe der Misanthropie

Die Zeiten, in denen der Dramaturg Heiner Müller zu Protokoll gab, zum Frühstück gebe es bei ihm ein Stück blutiges Fleisch und eine Tasse Benzin und ein Wolf Wondraschek verlauten ließ, der Tag beginne mit einer Schusswunde, ein Eric Burdon sang, er sei mit einer Pistole im Mund aufgewacht und Charles Bukowski der Menschheit bescheinigte, sie hätte einfach nicht das Zeug dazu, etwas Vernünftiges auf die Beine zu stellen und ein Gerhard Zwerenz brüllte, die Erde sei unbewohnbar wie der Mond, diese Zeiten liegen hinter uns. Was in den Ohren heutiger junger Mitbürger klingt wie ein universelles No Go, war damals der Ausdruck eines Lebensgefühls, das die Widrigkeiten der Verhältnisse anerkannte und gleichzeitig ein Trotzdem verlauten ließ. Es war eine lebensbetonte Kampfansage an Herrschaft par excellence, und es verriet eine Phantasie, die ihres gleichen suchte. Für Melancholie, Nostalgie, Lethargie und, nennen wir es beim Namen, blasierte Arroganz, war da kein Raum. Und die Zeiten, in denen diese Atmosphäre herrschte, waren besser. Nicht, weil die Verhältnisse besser waren, sondern weil die Bereitschaft da war, zu verändern und zu gestalten.

Heute sitzen diejenigen, die das kulturelle Schaffen für sich reklamieren, vor ihren sie steuernden Displays, sie folgen einem restringierten Code, der von den Herrschenden zertifiziert wurde und der nur noch suggerieren kann, man sei kreativ. Mental sind wir Zeugen einer pathologischen Passivität geworden, die zu keiner wirklichen, das heißt die Verhältnisse ändernden Vision passt. Die gerümpfte Nase ist vielleicht der signifikanteste Gestus, den diese Spezies der Misanthropie noch hervorbringt. Misanthropie deshalb, weil sie ein ungeheures Wissen darüber akkumuliert hat, was Menschen alles falsch, aber nichts darüber verlauten lassen, was sie richtig machen können und müssen, wenn sie die Verhältnisse ändern wollen. Die vielen Fehler lassen nur den Rat zu, alles so zu lassen, wie es ist, oder alles noch schlimmer machen zu sollen, als es sein könnte. Die weit verbreitete Aura unserer Tage, die sich als ein Vorabend erweisen werden, ist die kränkelnde Blässe der Misanthropie.

Was an diesem Vorabend, der Ausdruck einer bevorstehenden neuen Zeit ist, fehlt, was aber kommen muss und kommen wird, dass ist die Ansage mit offenem Visier, das Frühstück mit blutigem Fleisch und Benzin, die Schusswunde im Morgengrauen und die Bereitschaft, das zu sagen, was ist. 

Die kränkelnde Blässe der Misanthropie

Strategiepapier der USA: „Oh, welch ein Malheur!“

Jeden Tag fügen sich neue Steinchen in das Bild hiesiger strategischer Inkompetenz ein. Aus den USA heißt es nun, und zwar sowohl seitens der Trump-Administration als auch von scharfen Kritikern amerikanischer Außenpolitik, dass Russland für Europa keine Bedrohung darstelle. Das Papier zur Sicherheitsstrategie aus dem Weißen Haus, welches bezüglich der Einschätzung Europas und Deutschlands vieles enthält, welches ein Gros der hier Lebenden teilen würde, wird von den Miniaturstrategen aus den heutigen wie gestrigen Regierungsämtern mit Schaum vor dem Mund kommentiert. „Oh, welch ein Malheur! Der Krieg gegen Russland ist nicht in Stein gemeißeltes Interesse der USA!“ Die einzige Schlussfolgerung, welche die Bankrotteure jeglicher nationaler wie europäischer, an den tatsächlichen Interessen orientierten Außenpolitik zu schließen in der Lage sind, ist kriegerische Eskalation. 

Zu den Hauptdarstellern gehören die bissigsten Hunde am Nordrand der NATO, die bezeichnenderweise die geringsten Kosten tragen, und selbstverständlich das klappernde Skelett des British Empire, das taumelnde Frankreich und, wie könnte es anders sein, ein bereits demontiertes Deutschland mit einem Lobbyisten amerikanischer Konzerne an der Spitze. Und natürlich eine zum totalen Krieg entschlossene, durch nichts legitimierte EU-Kommission, die mit ihrem regulatorischen Totalitarismus jede Form wirtschaftlicher Leistung zunichte macht. Die Prognose für diesen Besatz: Alles, was sich in dem amerikanischen Papier an Befürchtungen über den Zustand und die Zukunft Europas lesen lässt, wird noch übertroffen werden.

Dass die Politik von Ländern sich an deren Interessen zu orientieren hat, ist ein weit verbreiteter Grundsatz der internationalen Politik. Nur von den hiesigen Dilettanten, die meinten, sie könnten immer so weiter machen unter dem Rock der amerikanischen Bellizisten und es nicht einmal für nötig hielten, die Möglichkeit der Änderung amerikanischen Interessen und einer daraus resultierenden anderen Außenpolitik mit einzukalkulieren, ist dieser Grundsatz aufs Schmählichste verraten worden. Und sie sollten sich darüber im Klaren sein, dass sie für den Verrat an ihren Gemeinwesen, die dabei sind, mit rasendem Tempo den Bach herunter zu gehen, zur Verantwortung gezogen werden. 

Und obwohl immer so schön von Werten und den Prinzipien die Rede war, zu deren Gusten man die Interessen des Landes auch einmal hinten anstellen müsse, haben sie alles verraten, was mit den Werten und dem politischen System zusammenhängt. Wem fallen bei der Betrachtung dieser Entourage noch Begriffe ein wie Freiheit, Recht, Einigkeit, Loyalität, Frieden, Solidarität, Vernunft, Gerechtigkeit, Vertrauen? Sehen Sie sich die Gesichter derer an, die aktiv auf den jetzigen Zustand hingearbeitet haben und beantworten Sie die Frage. Und vergessen Sie bitte nicht, sich bei der Lektüre der als gemäßigt geltenden Monopolistenblätter nach der viel beklagten Quelle von Hass und Hetze zu suchen! 

Und fragte man die Verantwortlichen, so wären sie sofort dabei, alle möglichen Delinquenten zu nennen: Putin, Trump, Xi Jinping, die AFD, den Rassemblement National, die italienischen Faschisten, die Aluhüte und Impfverweigerer und letztendlich das dumme Volk. Nur sie selbst, als diejenigen, die immer von Verantwortung reden, aber ihre eigene Unzulänglichkeit jedem nur möglichen Feindbild anzuhängen versuchen, tragen natürlich keine Verantwortung für den beklagenswerten Zustand. 

Wer, bitte schön, will diese Schreihälse, die nichts Konstruktives zu bieten haben, am Tisch sitzen haben, wenn es ums Ganze geht? Niemand, der bei Verstand ist! 

Oh, welch ein Malheur!