Archiv des Autors: Gerhard Mersmann

Berliner Gipfel: Gehe nicht über Los!

Gehe nicht über Los und begib dich gleich ins Gefängnis! Belohnung wird es für dieses Schauspiel nicht geben. Der so genannte Berliner Gipfel, bei dem nach dem Ansinnen der Initiatoren über das künftige Schicksal der Ukraine entschieden werden sollte, hat sich, wie von vielen Beobachtern prognostiziert, als ein Medienspektakel ohne praktische Relevanz entpuppt. Man fragt sich, ob es an der mangelnden intellektuellen Fähigkeit der Akteure liegt, oder ob sie bereits komplett von Lobbys gesteuert werden, die exklusiv am Krieg verdienen und denen jede Prolongierung desselben frisches Geld in die Kassen spült. Denn weder die dort vertretenden Staaten und ihre jeweiligen Bevölkerungen können ein Interesse daran haben, dass dieser Krieg in eine Endlosschleife geht.

Es wurde nicht erst im Vorfeld dieser Inszenierung immer wieder darauf hingewiesen, dass mit der Ignorierung der Motive Russlands, die zu dem militärischen Konflikt geführt haben, nämlich keine NATO-Truppen auf ukrainischem Territorium, kein Placet aus Moskau kommen wird. Das wäre nur möglich, wenn Russland nicht nur in der schwächeren, sondern in einer aussichtslosen Position wäre. Letzteres trifft aktuell allerdings nur für die Ukraine zu. Sie, als Staat, hat sich in einen Krieg treiben lassen, der nicht zu gewinnen ist und eine Fortführung der militärischen Aktionen auf Teufel komm raus wird letztendlich dazu führen, dass die Ukraine als eigenständiger Staat von der Landkarte verschwinden wird. Jeder Tag, an dem dieser Krieg auf Anraten der russophoben Hetzer in Brüssel und Berlin weiter geht, reduziert die Perspektive der Ukraine auf eine eigenständige Zukunft.

Wenn man von einer multiplen Wirkung sprechen kann, dann sind es die Konsequenzen aus dem Handeln der Westentaschenstrategen in Brüssel und Berlin. Denn nicht nur die Ukraine steht auf dem Spiel, sondern die eigenen Ökonomien befinden sich bereits im freien Fall. Mit dem geplanten Raub russischer Vermögenswerte auf ausländischen Banken und deren Verwendung zur Päppelung des eigenen Bellizismus entzieht man dem globalen Finanzsystem das Vertrauen mit fatalen Folgen. Und letztendlich wird es auch eine NATO im jetzigen Zustand nicht mehr geben. Denn es ist fraglich, ob die USA sich ihre Interessen durch den Blutrausch derer, die nicht kämpfen müssen, in einem solchen Verbund kontaminieren lassen. Und die Türkei hat bereits nach den Vorfällen im Schwarzen Meer warnend an der Roten Karte herumgefingert. 

Fassen wir zusammen: die Ukraine steht mit ihrer korrupten Nomenklatura vor dem existenziellen Aus, die Industriestaaten der EU, vor allem Deutschland, befinden sich im Sinkflug, die Zerstörung des internationalen Finanzsystems steht auf dem Plan und die NATO in ihrer jetzigen Form vor dem Auseinanderbrechen, übrigens genauso wie die EU. 

Alles richtig gemacht? Wer das glaubt, ist, mit Verlaub gesagt, ein Fall für die Psychiatrie. Dieser Glaube ist die Folge einer über Jahre andauernden, täglichen Überdosis an Propaganda und dem unerschütterlichen Glauben, dass ein Staat und seine Institutionen nicht durch Dekadenz und Dilettantismus gekapert werden kann. Zu therapieren ist das kaum. Die eingangs angeführte Weisung aus dem Spiel Monopoly ist für die beschriebene Situation noch eine von tiefem Humanismus geprägte Reaktion. Und dennoch, Gefängnis sollte schon sein für das Ensemble, das für diese Bilanz verantwortlich zeichnet. Oder nicht?

Gehe nicht über Los!

Das letzte Hemd hat keine Taschen

Wenn erst einmal der Schmerz über die Verluste nachgelassen hat, dann lässt sich kälteren Gemütes resümieren, was alles falsch gelaufen ist und was wann hätte anders gemacht werden müssen. Dann werden irgendwann die großen Linien deutlich, die in der ohrenbetäubenden Kakophonie des Tages nicht zum Vorschein kommen. Und gerade daran erkennt man den Zweck dieses furchtbaren Getöses, das vor allem Angst und Entsetzen verbreiten soll. Nur nicht auf das Wesentliche stoßen! The Show Must Go On! Auch wenn sie gar nichts mehr zu bieten hat.

Jede Form der strategischen Erkenntnis hat etwas mit Abstand zu tun: zeitlich, emotional, kausal. Wer das einmal begriffen hat, weiß, wie man zu den richtigen Schlüssen kommt. Und wer sich verausgabt in dem glühenden Spiel mit den leeren Hülsen, der wird am Ende nichts erhalten als eine große Verwirrung.

Trotz allem leben wir nun in einer mehr als nur spannenden Phase. Weil zum einen deutlich geworden ist, was alles falsch gelaufen ist, wer dafür die Verantwortung trägt, wer die Regisseure sind und wer zur Kasse gebeten wird. Das Schlimme für die, die meinen, sie hätten Fortune wie Macht auf ihrer Seite, ist die Erkenntnis, dass auch sie mit falschen, ja grundfalschen Annahmen das Spiel eröffnet haben und dass sie sich bei der Reaktion der einzelnen Beteiligten gewaltig verkalkuliert haben. Sowohl bei denen, deren Hausstand sie plündern wollten, als auch bei denen, die die Kosten für den Aufwand tragen sollen. Bis vor kurzem sah alles so aus, als ginge die Rechnung auf. Aber jetzt bröckelt es bereits gewaltig. Das Blatt in der eigenen Hand ist relativ mickrig, und die anderen, denen man das Fell über die Ohren ziehen wollte, lassen sich nicht mehr bluffen. Bald liegen die Karten sichtbar auf dem Tisch und die falsche Strategie endet im Bankrott.

Und selbst im eigenen Haus liegt nahezu alles im Argen. Die eigenen Zustände sind keine Referenz mehr für die als Erlösung für andere proklamierten Kreuzzüge. Und jetzt kommt noch dazu, dass es im eigenen Lager zu brodeln beginnt. Doch lassen wir das. Es führt zu nichts. Niemand von denen, die diesen Weg gewählt haben, ist noch von irgend etwas zu überzeugen. Sie werden untergehen mit dem Bild einer Gesellschaft, an deren Demontage sie selbst die Hauptrolle gespielt haben. Für sie gilt jetzt „alles oder nichts!“ Und auch sie wissen, was der Großteil der Gesellschaft bereits spätestens seit der Einschulung weiß: Das letzte Hemd hat keine Taschen!

Jetzt ist nicht nur die Zeit, sich das Finale genau anzuschauen, um auch daraus seine Schlüsse zu ziehen und zu lernen. Nein, es geht jetzt zunehmend darum, sich Gedanken darüber zu machen, wie die großen Ruinen, vor denen wir stehen, abgerissen werden können und welche Gebäude man stattdessen errichten soll. Wie wollen wir zusammenleben? Was gehört der Gemeinschaft und was dem Individuum? Wie ist die Gemeinschaft, die an erster Stelle zu stehen hat, organisiert? Wer in ihr ist qualifiziert, von ihr Aufträge zu erhalten und wie wird sie in der Lage sein, jederzeit den Fortschritt und die Qualität zu kontrollieren? Fragen, auf die es in Zukunft ankommen wird. Und nicht, was aus den Komparsen eines schlechten Schauspiels werden wird! Das regt nur auf und verwirrt den Geist!

Das letzte Hemd hat keine Taschen

Imperialismus ohne Schminke

Wir alle kennen die hier weit verbreitete Klage über die Verlogenheit unserer Tage. Was die hiesige Polit-Provinz-Bühne anbetrifft, so trifft das sicher zu. In Bezug auf das Stadium des Gesellschaftssystems, in dem es sich befindet, kann das hingegen nicht behauptet werden. Die USA, das die Geschicke der Bundesrepublik seit 1945 maßgeblich mitbestimmende, wenn nicht gar ordinierende Imperium, war da nie so heuchlerisch. Lange Zeit fanden immer wieder die direkten Protagonisten der entsprechenden Wirtschaftslobbys direkt in politische Funktionen und dort stieß das nie auf sonderlich große Empörung. Nach einer relativ langen Periode, in der immer wieder Manager aus dem Bankensektor politische Ämter erhielten, sind es heute Vertreter aus dem militärisch-industriellen Komplex, aus Kapitalfonds, aktuell aus der Bauindustrie und dem Bereich IT. Sieht man sich die amerikanische Verhandlungsdelegation an, die einen Frieden in der Ukraine bewerkstelligen will, um danach zügig zur wirtschaftlichen Nutzung zu kommen und liest man dann den Namen des CEOs von Black Rock, dann weiß man, was die Uhr geschlagen hat. Imperialismus ohne Schminke.

Lenin schrieb zu seiner Zeit eine Abhandlung mit dem Titel „Der Imperialismus als höchstens Stadium des Kapitalismus“. Darin befasste er sich vor allem mit den zunehmend die ganze Gesellschaft umfassenden Wirtschaftsformen, die im Gegensatz zum privaten Eigentum standen. Dieser Zustand war zu seiner Zeit in Ländern wie Deutschland, England und Frankreich fortgeschritten, allerdings nicht in Russland. Dennoch nutzte er die Erkenntnis, um seine Anhängerschaft davon zu überzeugen, dass die Zeit reif sei für die Expropriation der Expropriateure. Revolutionstaktisch war ihm das schließlich auch gelungen. Die These sei allerdings erlaubt, dass alles, was in dieser Schrift stand und aus ihr folgte, gänzlich anders verlaufen wäre, hätten die damaligen Zustände die Form gehabt, über die sie heute verfügen. Die Eigentumsverhältnisse unserer Tage sind das kurioseste, was Kapitalismus und Imperialismus je hervorgebracht haben. Marxens häufig kolportierter Satz, dass etwas mit einer Gesellschaft, die ungeheure Dimensionen von Reichtum schafft, aber nicht in der Lage sei, die Armut zu verringern, nicht stimmen könne, war nie zutreffender als heute.

Es ist kaum zu ertragen, mit welcher Naivität und historischen Unterbelichtetheit, oder eben auch Unverfrorenheit, eines sich im imperialistischen Vollrausch befindlichen Gesellschaftssystems von den monopolisierten Meinungsmaschinen Narrative geschaffen werden, die alles Mögliche erklären, die Feindbilder jenseits der tatsächlichen Verantwortung aufmalen, die die Menschen emotional für den nächsten Raubzug zu präparieren suchen, nur nicht das zu transportieren, was sichtbar im Scheinwerfer der Evidenz liegt. 

Wer sich da noch blenden lässt und tatsächlich von einer Krise der Demokratie faselt, die durch böse Geister, nur nicht die, die am Werke sind, zu verantworten ist, hat entweder nie die Fähigkeit einer kritischen Analyse besessen, oder sich durch die seichte Brise eines lauen Konsumismus korrumpieren lassen oder ist, was leider bei vielen unserer früher einmal als intellektuell Bezeichneten zutrifft, einer mentalen Impotenz erlegen. 

Aber auch das ist nichts Neues. Ist das Stadium der Dekadenz einmal erreicht, verschwinden zahlreiche Figuren quasi über Nacht schon in der Biotonne, bevor es zum Showdown mit einer neuen Epoche kommt. Alles wie gehabt. Imperialismus ohne Schminke. Nur an den Schlauesten der Schlauen geht dieses Phänomen spurlos vorbei. Was allerdings nichts am Ergebnis ändern wird.  

Imperialismus ohne Schminke