Die Idee, die entwickelten kapitalistischen Staaten vom Unrat einer ausufernden Sozialgesetzgebung und wuchernder Allgemeinkosten zu entschlacken, formuliert durch Politiker wie Ronald Reagan und Margaret Thatcher, ergriff zunächst die anglophonen Staaten und breitete sich dann auch auf dem europäischen Kontinent aus. Mit dem Jahr 1990 setzte dann die uneingeschränkte Herrschaft des Wirtschaftsliberalismus ein. Das Hosianna auf das Ende der Geschichte bezog sich auf den Zusammenbruch der Staaten, die versucht hatten, das Gemeinwesen nach sozialistischem Modell zu gestalten. Nun war der Weg frei für Kapitalismus pur.
Die Vorstellung, dass der Markt alles regele, dass der Staat nur dann intervenieren müsse, wenn bestimmte notwendige Branchen defizitär arbeiteten, aber ansonsten alles, was floriert, der privaten Steuerung zu überlassen, hat sich nahezu flächendeckend durchgesetzt. Das Ergebnis kann in den Musterländern des westlichen Kapitalismus besichtigt werden: in den USA, in Großbritannien, in Frankreich, in Italien und in Deutschland. Die vor allem in den anglophonen Ländern gepriesene Vorstellung, Wohlstand würde durch Handel an den Finanzmärkten geschaffen, hat zu einer Verblendung geführt, unter deren Auswirkung diese Länder nun massiv leiden.
Der Raubbau an den gesellschaftlichen Voraussetzung für Produktivität und Wertschöpfung hat seine Spuren hinterlassen. Die Bildungsstandards sind abgesunken, die Infrastrukturen veraltet, die Wissenschaften zu Auftragsservices degeneriert und das gesellschaftliche Klima steht allen Erwärmungstendenzen diametral entgegen. Wenn man so will, ist der Kapitalismus zu den Formen zurückgekehrt, die bei seiner Entstehung als „Manchester-Kapitalismus“ bezeichnet wurden. Dass dieser nur entstehen konnte durch aus dem Elend geborene Landflucht und einer kolonialen Ressourcenbeschaffung, dieses als historisch betrachtete Phänomen, ist zu neuem Glanz gekommen. Die Arbeitskräfte in den Werkstätten der Heuschrecken werden überall auf der Welt als Kriegsflüchtlinge eingesammelt und die Bereitschaft, für Ressourcen wieder Kriege zu führen, war seit den Hochzeiten des Kolonialismus nie so hoch wie heute.
Das, was den Kapitalismus groß gemacht hatte, Rechtssicherheit, qualifizierte Arbeitskräfte, eine funktionierende Infrastruktur und ein liquidier Binnenmarkt, ist, sieht man sich die Verhältnisse in den genannten Ländern an, in weiten Teilen nicht mehr gegeben. Und hört man sich die Pläne der meisten Regierungen an, dann ist diese Spur zumeist nicht zu finden. Da wird das alte Mantra von zu hohen Arbeits- wie Gemeinkosten in niemanden mehr überzeugenden Ritualen wiederholt. Angesichts dieses Zustandes ist es kein Wunder, dass sich in diesen Ländern eine Depression breit gemacht hat, die die Herrschenden nun versuchen durch Kriegsgeschrei zu kanalisieren.
Interessant ist allerdings, wie schnell sich das Blatt auch wenden kann. Nach dem Sieg der französischen Volksfront bei den Parlamentswahlen werden dort plötzlich die Diskussionen geführt, um die es eigentlich geht. Besonders die französische Linke hat den Mut aufgebracht, die Frage nach den Voraussetzungen für Wertschöpfung und Produktivität aufzuwerfen und sie mit der Ansage zu verbinden, dass nun investiert werden müsse in die Voraussetzung für ein Wirtschaften, das Wohlstand der Allgemeinheit generiert. Dass das die vereinigten Neocons im In- wie Ausland in den Wahnsinn treibt, ist kein Wunder. Ein Blick in die eigene nationale Presse genügt, um wieder einmal zu sehen, in wessen Lohn und Brot sie steht. Dank der Franzosen stehen jetzt wieder Fragen auf der Tagesordnung, um die es gehen muss. Und, an alle, die so sehr von den Zuständen der allgemeinen Depression aufgerieben werden: Noch ist nicht aller Tage Abend. Stellen Sie sich vor, wir stünden vor dem Ende der Geschichte – der Neocons! Ein lichter Augenblick, oder?

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„…Nun war der Weg frei für Kapitalismus pur.“
Ein verhaengnisvoller Irrtum. Der „pure“ Kapitalismus existierte fuer die ersten rund 100 Jahre nach Gruendung der USA, danach folgte Interventionismus verschiedenen Grades.
In Zeiten des Wohlstands bleibt diese Steuerung eben weitgehend unbemerkt. De moderne Sozialismus ist doch nur eine elitaere Form des Wirtschaftsliberalismus, die „neuen‘ Regierungen in Frankreich und England reiner Etikettenschwindel.
MFG