Die Anmaßung

Nicht jeden Tag scheint die Sonne. Und nicht an jedem Tag ist der Himmel voller Wolken. Die menschliche Existenz ist durchsetzt von unterschiedlichen Stimmungen. Sie werden verursacht durch äußere Anlässe oder durch innere Regungen. Das Spannende in einem sozialen Gefüge ist, inwiefern die einzelnen Individuen sich mit ihren Regungen, Neigungen und Wünschen arrangieren können. Denn es ist klar, dass weder die Gefühlswelt, noch Bedürfnisse oder Zielsetzungen analog verlaufen oder identisch sind. Immer, zu jeder Zeit, gibt es Menschen, die vorwärtsgehen, guten Mutes sind und wissen, was sie wollen. Und gleichzeitig existieren Zeitgenossen, die zweifeln, zaudern oder den Moment festschreiben möchten. Das, so weiß jedes Kind, das in der Lage ist, den Kopf zu benutzen, führt zu Friktionen. Mit dem schönen Wort, das sich schon ein wenig anhört wie eine feine Säge, sind Brüche zwischen den handelnden Menschen gemeint. In geringem Ausmaß sind es Irritationen, in größerem massive Konflikte. Der Mensch ist nie allein. Auch wenn manche der Auffassung sind, es wäre so. You ´ll never walk alone – das ist nicht nur ein Schlachtruf der Solidarität oder das Signé einer verschworenen Gemeinschaft, sondern auch eine Plattitüde für den Sachverhalt, dass der Mensch ein soziales Wesen ist.

Heute morgen mußte ich an einen Menschen denken, der in gewisser Weise wie ein Prototyp einer ganzen Epoche immer dabei war und immer dann auftauchte, wenn sich eine Gruppe von Menschen für einen Aufbruch entschieden hatten. Wenn dann die Tür aufging und er erschien, wechselten die anderen, die exzellenter Laune waren und sich einiges vorgenommen hatten, vielsagend die Blicke. Und sobald der Besagte herausgefunden hatte, um was es ging, entrollte er wie ein Auktionator der Unmöglichkeiten alles, was dem Plan entgegenstehen könnte. Und, glauben Sie mir, es waren niemals nur kleine Bedenken, sondern immer eine ganze Kanonade.

Da ging es dann um rechtliche Hürden, um Haftungsfragen, um Kollateralschäden, um mögliche Verwerfungen, um lauernde Kosten, um Ungerechtigkeiten, um Missbrauchsgefahren, um unterbliebene Autorisierungen und um überall lauernde unlautere Motive. Ich bin mir sicher, Sie kennen nicht nur solche Situationen, sondern auch derartige Menschen. Menschen, die es zu einer regelrechten Virtuosität gebracht haben, wenn es darum geht, anderen Menschen einen hoffnungsvollen Blick selbst in die nahe Zukunft zu verbauen.

Und weil wir alle solche Zeitgenossen kennen, sie keine Randerscheinung sind, sondern sie es zum Prototyp gebracht haben, können sie als eine Signatur der Zeit bezeichnet werden. In Bezug auf die psychologische Wirkung, die das jeweilige Auftreten des Besagten auslöste, nannten ihn alle schlicht „die Anmaßung“. Jeder, der bei der Entwicklung einer Strategie der Gestaltung beteiligt war und sich mit Haut und Haaren einem positiven Ziel verschrieben hatte, empfand es nämlich so, wie es ausgedrückt wurde. Was, so fragten sich alle, bildet sich dieser Mensch ein, immer dann zu erscheinen, wenn die Sonne aufging, um ohne Ankündigung das Licht ohne jegliche Empathie wieder auszuschalten? 

Und das, was alle am meisten ärgerte, war die Tatsache, dass die inkarnierte Anmaßung nahezu jede Ära, ob sie geprägt war von einzelnen Figuren oder von bestimmten Handlungskonzepten, unbeschadet überstand. Der Preis war eine gewisse Einsamkeit. Aber er schien sich in ihr sogar wohlig zu baden. Und da die Fleisch gewordene Anmaßung nicht nur eine Einzelerscheinung ist und, wenn wir ehrlich sind, in unserem nationalen Bett sogar faustisch-mephistophelisch gezeugt wurde, gehört sie wohl immer dazu. Trotz unablässig aufflackernder heißer Quellen der Hoffnung. 

Ein guter Freund brachte es immer wieder wunderbar auf den Punkt: „So ist unser Leben, mal Feuer, mal Asche. Und darüber zu klagen ist töricht und unangemessen“. 

Ein Gedanke zu „Die Anmaßung

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