Libyen: Todesschiffe und Seuchenfracht

Von März bis Oktober 2011 war die NATO wieder einmal im Einsatz für Demokratie und Menschenrechte. Sie flog zu diesem Zweck 26500 Lufteinsätze, wovon 9700 die Aufgabe hatten, Bomben abzuwerfen. Ziel: Tripolis und weitere Ziele in Libyen. Die amerikanische Regierung hatte  zu einem Einsatz für die Freiheit aufgerufen. Dass dieses einherging mit der Aufforderung, den damaligen Präsidenten Libyens, Muammar al-Gaddafi, zu stellen und umzubringen, wurde kaum kaschiert. Die Außenministerin der USA, Hillary Clinton, konnte ihren Jubel nicht verbergen, als der Präsident eines souveränen Landes umgebracht worden war („We have got him!“). Es sollte erwähnt werden, dass sich die damalige Regierung der Bundesrepublik Deutschland nicht an der „Operation“ der NATO beteiligt hatte.

Die tatsächlichen und vermeintlichen Vergehen Gaddafis sind bis heute nicht geklärt. Was ihm allerdings das Todesurteil einbrachte, war sein Vorhaben, sich vom Petrodollar zu verabschieden und die anderen Erdöl produzierenden Länder davon überzeugen zu wollen da gleiche zu tun. Das reichte aus, um die „liberale Demokratie“ in Gefahr zu sehen. 

Gaddafi hinterließ ein Land, das zu den wohlhabendsten des Kontinents zählte, mit dem besten Schul- und Gesundheitssystem, einer modernen Infrastruktur und mit den weitgehendsten Frauenrechten und den besten Gehältern. Das Bombardement der NATO zerstörte alles davon. Die Einsätze hinterließen ein zerrissenes Land, Bandenkriege und einen ständig schwelenden Bürgerkrieg, Gesetzlosigkeit, Massenarmut und Menschenhandel. Die Bilanz ist katastrophal und die Nachwirkungen sind bis heute zu spüren.

Heute, 12 Jahre nach der Intervention der NATO, ist Libyen weder ein Land noch ein Staat, sondern ein Terrain, auf dem die Reste der einstmaligen Zivilisation nicht mehr zu finden sind. Die Beschreibungen derer, die sich an und ab dort noch hinwagen, sind grauenhaft. Mord, Raub und Menschenhandel bilden das Tagesgeschäft. Dass gerade von dort die Todesschiffe mit menschlicher Fracht mit dem Ziel Europa ablegen, ist eine nahezu logische Folge der Verhältnisse. Dass nach Naturkatastrophen wie den gerade erfolgten Regengüssen nichts mehr an Rettung funktioniert, weder die Bergung von Opfern, noch die Wiederherstellung lebensnotwendiger Infrastruktur noch die medizinische Versorgung der Geschädigten und dass aufgrund dessen sich Seuchen ausbreiten, ist ebenso folgerichtig. 

Der gegenwärtige Bundeskanzler hat in Bezug auf die Vorgeschichte des Ukraine-Krieges die Formulierung benutzt, ihn interessiere nicht, was irgendwann in der Vergangenheit geschehen ist,  sondern nur das Hier und Jetzt. So kann man natürlich an Ereignisse herangehen, vor allem, wenn man in keinen Konflikt mit den „Partnern“ geraten will,  die im Grunde genommen sagen, wohin der Hase zu laufen hat. 

Und so ist es nur folgerichtig, dass die kritische und freie, in Wahrheit aber monopolisierte und regierungstreue Presse nicht einmal auf die Idee kommt, nach den Hintergründen zu fragen, die zu der libyschen Tragödie geführt haben. Da sind 12 Jahre bereits eine Ewigkeit, in der niemand mehr herumwühlen sollte. Und so wird eifrig an dem stereotypen Kolonialbild gearbeitet, dass die „Afrikaner“ eben nichts hinkriegen. Korruption und Verbrechertum wird den Nachkommen einer Zivilisation angelastet, die man mit vereinten Kräften tot gebombt hat.

Und dass man seitens der EU bisher Italien, wohin die meisten Todesschiffe steuern, allein gelassen hat, aber heftigst gegen den geplanten Zaun im Süden der USA protestiert hat, zeigt einmal mehr: Aus der Geschichte lernen wollen sie nicht und sie betreiben das Spiel der Doppelmoral aus großer Passion.  

Ein Gedanke zu „Libyen: Todesschiffe und Seuchenfracht

  1. Pingback: Libyen: Todesschiffe und Seuchenfracht | per5pektivenwechsel

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.