Und plötzlich wird es existenziell. Da wird simultan noch über eine gemeinsame europäische Armee geredet, über die gemeinsamen Werte diskutiert, und da kommen auf der anderen Seite ein Unabhängigkeitsbeschluss und eine Studie aus dem Militär, die Europas Auflösung als konkretes Szenario beschreiben. Es scheint so, als wären diejenigen, die Europa als den Gedanken der politischen Einheit hochhalten zu sehen wie die Kreuzfahrer mit dem Kruzifix taten, bevor sie blutend in den Wüstensand fielen. Andere wiederum halten die These, Europa sei als Idee am Ende, für die Spekulation von bösartigen Defätisten, sofern es so etwas überhaupt geben kann.
Wenn Situationen sehr komplex werden, empfiehlt sich die Analyse. Und die ist nicht sonderlich schwer, wenn sie nicht mit ideologischen Vorbemerkungen überladen wird. Hier ein Versuch im Staccato: Zentral- und Westeuropa repräsentieren im Großen und Ganzen noch die Länder Europas, die über eine Wirtschaftsunion zu einer politischen Idee zusammenfanden. Sie würden, ließe man sie machen, auch ohne Großbritannien eine halbwegs vernünftige Kooperation zustande bringen und damit das Gewicht der gemeinsamen Stimme potenzieren. Vielleicht gelänge noch eine Allianz mit Nordost-Europa, wäre dort nicht das Träume der russischen Bedrohung, welches Europa und NATO nur zusammen denken lässt.
Ost-Europa, als jetzige Staaten der EU, hat sich auf einen Weg gemacht, der vor allem von Ungarn und Polen als der der illiberalen Demokratie beschrieben wird. Sowohl die Pressefreiheit wie die Judikative in diesen Ländern wurden demoliert. Das, was immer als letztes Pfund in die Waagschale geworfen wurde, die gemeinsamen Werte, kommen dort nicht mehr zur Geltung. Und in Süd-Europa, das sich immer noch die Augen nach der von Deutschland protegierten Austeritätspolitik reibt, kommen nun Szenarien zum Vorschein, die zwischen Separatismus und sozialen Revolutionen fluoreszieren.
Nach Großbritannien, dass sich nie als integraler Bestandteil Europas gefühlt hat und das nach dem Brexit darauf setzt, in einer engeren Liaison mit den USA wirtschaftlich wie sicherheitspolitisch besser zu fahren, wäre es an der Zeit gewesen, über die Grundfesten der Idee Europas zu sinnieren. Denn Großbritannien war den Werten Europas immer näher als der Osten und der Süden, die Ideen des modernen Staatswesens mit seiner Gewaltenteilung wurden dort ebenso generiert wie in Frankreich, wo sich momentan vielleicht das letzte Drama abspielt, das in einem gemeinsamen Europa aufgeführt wird. Dort wurde die gesamte politische Klasse nach Hause geschickt und ein Parvenü aus dem Nichts versucht gerade, das Land im Sinne wirtschaftsliberalistischer Ideen zu reformieren. Und ob nicht gerade die wirstchaftsliberalistischen Doktrinen es waren, die Europa an das Verfallsdatum gebracht haben, das wäre ein wichtiger und entscheidender Punkt der Analyse.
Aber, Freunde der Nacht und des Untergangs, für Analysen ist natürlich keine Zeit. Da überlässt man es lieber irgendwelchen Kretins ohne Mandat, sich über Europa das Maul fusselig zu reden und es damit gleichzeitig weiter zu demontieren. Dass etwas Entscheidendes fehlt, ist daran zu sehen, wie unterschiedlich und wie vorsichtig in der Diplomatensprache mit dem separatistischen Unterfangen in Katalonien umgegangen wird. Es wird deutlich, dass die Idee fehlt. Plötzlich wird von einer Konkordanz von Nationalstaaten und dem Europa der Regionen gesprochen. Jedem, wie er es möchte. Es könnte auch minimalistisch klingen, wenn es einen Kern Wahrheit hätte. Es müsste weit weg sein von dem antiquierten Traditionalismus, wie er sich gerade in Katalonien manifestiert. Vielleicht täte es der schlichte römische Satz: Ubi bene, ibi patria. Etwas kalt zwar, aber für jedermann verständlich.
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Den Artikel unterschreibe ich glatt, bis auf die Aussage des lateinischen Zitates, das in Zeiten der Neo-Nationalismen praktisch täglich widerlegt wird! Denn das Motto wäre ebenso pragmatisch wie rational und Beides sind die aktuellen Krisen wie Brexit, Katalonien, Ungarn, Polen eben nicht!
Das Motto ist ja auch gedacht als Antipode zu dem, was wir erleben.
Der eigentliche Krebsschaden liegt meiner Meinung nach im Unterschätzen(Fehleinschätzen von Nationalismus bzw. dessen oberflächliche Gleichsetzung mit Nationalsozialismus. Nationalismus kann eine brauchbare Klammer sein. Internationalismus erweist sich bisher immer als „zu groß gedacht“ und somit nicht massenkompatibel.
Ohne Nationalismus kein Sieg über Napoleon.
Nationale Empfindungen waren immer „kleinen Mannes letztes Hemd“. Wenn man ihm das nimmt und keinen Ersatz dafür in Aussicht stellt, der die Möglichkeit „stolz sein zu können“ beinhaltet, dann fliegt denen, die solches tun früher oder später der ganze Laden um die Ohren.