Die Uhr auf Zukunft?

Wenn es stimmt, dass unsere Zeiten komplexer geworden sind, dann ist auch zu erklären, warum das Analysieren und Entscheiden schwieriger wurde. Komplexität verlangt immer nach ihrer eigenen Reduktion, um sich ein handhabbares Bild von der Situation machen zu können. Folglich ist es recht einfach, den Menschentypus identifizieren zu können, mit dem wir es zu tun haben. In der Regel treffen wir auf zwei Prototypen: der eine ist in der Lage, Komplexität auf das Wesentliche zu reduzieren und Entscheidungen zu treffen und der andere neigt dazu, das Phänomen immer mehr zu bereichern, d.h. die Komplexität immer weiter anzufüttern und irgendwann von ihr überwältigt zu sein. Selbstredend, dass dann keine Entscheidung mehr gefällt wird.

Das politische Spektrum in der Bundesrepublik nach der Wahl bietet ein Bild vorher kaum geahnter Komplexität. Wie Atompartikel werden Aspekte der unübersichtlichen Situation in den Orkus geschleudert und täglich kommt Neues hinzu. Das ist jedoch normal, denn in Zeiten des Übergangs stürzt das Alte donnernd zusammen und sprießt das Neue kraftvoll aus der Erde. Da noch die Übersicht zu behalten, ist keine einfache Sache.

Der schlimmste Feind eines klaren Kopfes in komplexen Zeiten ist das ungezügelte Assoziieren. Kommt irgendwann die Feststellung, dass alles mit allem zusammenhängt, ist der worst case erreicht. Zwar stimmt die Feststellung, nur erhöht sie den Schwierigkeitsgrad der Entscheidung ins Unermessliche. Auch der Hinweis darauf, dass nicht alle Ergebnisse vorliegen und man besser noch etwas abwarten solle, bevor man eine Entscheidung trifft, spielt der durch Komplexität gespeisten Lähmung in die nicht vorhandenen Hände.

Das Ergebnis ist die allgemeine Paralyse, der Stillstand, der zumeist dazu führt, dass von irgendwoher ein primitiver, brachial wirkender Entschluss alles zerschlägt und auf wundersame Weise eine neue Ordnung herstellt. Dazu sind Menschen erforderlich, die sich sehr sicher sind. Sie müssen vor allem eine Vorstellung davon haben, was sie wollen und sie müssen über ein Bild verfügen, wie das Morgen wohl aussehen wird. Sie sind die geborenen Führernaturen. Der große Unterschied besteht in der Regel in dieser Idee. Die Idee vom Morgen und der Überdruss gegenüber dem ganzen kleinlichen Sammelsurium des Gestern und Heute. Nur wer in Aufbruchstimmung ist und die Bereitschaft mit sich bringt, alles hinter sich zu lassen, wird psychisch in der Lage sein, neues Terrain zu betreten.

Da ist es ratsam, sich die Akteurinnen und Akteure unter diesem Aspekt einmal genauer anzuschauen. Sehen wir in den Gesichtern der gestrigen Protagonisten diesen Blick, der das Morgen wie die Entschlossenheit verrät, oder wirken sie allenfalls wie Pokerspieler, die einen kleinen Vorteil wittern, oder, die schlimmste Variante, kommt das Ganze als Ratlosigkeit herüber? Und wer, bitte schön, verkörpert den Willen zu einem Neuanfang in Denken und Gestalten? Man muss sich nicht immer nur die Programme anschauen, um so etwas zu identifizieren. Auch die Gesichter verraten, wo die Neuerung zuhause ist.

Nun gehen Sie das alte Kabinett mal durch und stellen das momentan zu verhandelnde, neue, daneben und versuchen Sie zu identifizieren, wo Komplexität reduziert worden ist und Entscheidungen getroffen wurden und wo das Wissen um das Morgen und seine Gestaltung vorhanden ist. Und urteilen Sie, ob die Uhr auf Zukunft steht!

5 Gedanken zu „Die Uhr auf Zukunft?

  1. Avatar von almabualmabu

    Ich fürchte, daß die Qualität unseres politischen Personals umgekehrt proportional zum Primat der Wirtschaft vor der Politik gesunken ist. Daran änderte auch diese Wahl nichts, höchstens in die falsche Richtung! Politik wird immer mehr zur Show-Veranstaltung. Sie karikiert sich selbst.

  2. Avatar von BludgeonBludgeon

    da braucht man gar nicht weit gucken. Wir (Ossies) sind von einer Stagnation in die andere geraten (Heiner Müller; NDR Talkshow ca 1993);
    Aus Kohl wurde Schröder, Und Raider heißt Twix; wir verändern die Namen – sonst ändert sich nix. (Hab vergessen, wie das Kabarett-Duo hieß…)

  3. Avatar von nandalyanandalya

    Die Uhr ist stehen geblieben. Irgendwo im gestern. Zur Zeit wird eine neue Uhr hergestellt. Sie ist fast fertig. Nur die Zeiger fehlen noch. Man spricht von Lieferschwierigkeiten, was immer das auch heißt.

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