Die Diplomatie der Moderne wurde nicht vom Bürgertum entwickelt, sondern sie reicht zurück in das royalistische Frankreich, in das monarchistische Österreich und das erzkatholisch hegemoniale Spanien. Die großen europäischen Adelshäuser hatten ein gerütteltes Interesse daran, ihren Vorteil jenseits der Schlachtfelder dennoch zu erzielen. Neben allem, was die Geschichtsbücher an Ranküne und Spinnennetzen enthüllen, hatte sich dennoch auch ein Kodex von Prinzipien im Spiel der Kräfte etabliert, der sich als die guten Tischsitten bis in das bürgerliche Zeitalter, über die zwei Weltkriege hinaus und bis auf den heutigen Tag hat behaupten können.
Dazu gehört das selbstverständlich von den Geheimen Diensten immer wieder missachtete Prinzip der Souveränität von Staaten. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass es sich nicht ziemt, mit Teilen einer Gesellschaft, die die Politik des eigenen Staates teilen, zu fraternisieren, solange diese Meinung nicht als die offizielle dieses Landes autorisiert wurde. In heutigen Zeiten sind das demokratische Mehrheiten und daraus resultierende gewählte Regierungen. Wer dieses Gesetz missachtet, der beschädigt die Ordnung der Nationen und die Grundlagen des Völkerrechts. Nur in ganz seltenen Fällen kann es geschehen, dass sich die Staatengemeinschaft zu anderem entschließt, aber nur, wenn die gemeinsame Ordnung durch ein drittes Regime in ihren Fundamenten gefährdet ist.
Dazu bedarf es dann gemeinsamer Entschließungen, die das Vorgehen legitimieren. Was die europäische Diplomatie, angetrieben von einem tollwütigen französischen Staatspräsidenten angesichts der Entwicklungen in Libyen treibt, ist bereits skandalös genug. Um die eigenen Verstrickungen in das Treiben des Terroristen Gaddafis zu kaschieren, wurden bereits eine handvoll Staaten, darunter prominente wie Großbritannien und die USA, in eine militärische Operation verwickelt, die keinerlei diplomatischer Handlung eine Chance gab.
Das Entsagen der Bundesrepublik zu einem Militärschlag entpuppte sich, obwohl eine Isolation im eigenen Bündnis vorausging, als eine der seltenen richtigen Entscheidungen der letzten vierundzwanzig Monate. Wer jedoch gedacht hatte, es sei eine Referenz an die Gepflogenheiten des gesunden Menschenverstandes oder die politische Hygiene gewesen, der muss nun herausfinden, dass es sich anscheinend um das gehandelt hat, was ein irrsinnig schäumender Sarkozy der Bundesregierung immer offener vorwirft: nämlich nackte Angst.
Wie anders sollte es sich erklären, dass nun, nach den Wochen der politischen Isolation, ausgerechnet der Außenminister zusammen mit dem Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf dem Boden des im Bürgerkrieg befindlichen Libyen landet und ohne Mandat sowie einseitig eine Rebellengruppe als die rechtmäßige Vertretung des libyschen Volkes anerkennt. Wären da nicht die Zwänge des eigenen Bürgerkrieges, müssten die Rebellen selbst diese Intervention strikt von sich weisen, da es sich um die Verletzung des Völkerrechts genauso handelt wie um die Ramponierung des diplomatischen Kodex. Das ist das Format von Desperados und Strauchdieben, die nichts im Sinn haben als die nächste Dosis demoskopischer Daten.
