Deutschland badet sich einmal mehr in einer Auseinandersetzung, in der verschiedene Lager nicht mit herben Vorwürfen gegenüber den jeweils anderen sparen. Das müsste nichts Schlechtes sein in einer Gesellschaft, die sich definierte als eine des Streites und der Auseinandersetzung um einen gemeinsamen Weg, der trägt. Nur leider ist es nicht so, der Vorwurf der Dekadenz hier und des Klientelismus dort wird nicht getragen von Vorschlägen, die einen fundamentalen gesellschaftlichen Konsens ermöglichten. Denn ein Konsens erwiese sich dann als stabil, wenn er denn trotz harter Gegensätze dafür stünde, worauf sich strategisch alle einigten. Wer das gleiche Ziel verfolgt, der ist durchaus bereit, auf dem Weg dorthin das eine oder andere Mal in einen sauren Apfel zu beißen.
Was momentan jedoch zu beobachten ist, kann am besten mit der Geschichte der feindlichen Brüder aus dem einstmals ritterlichen Rheinlande umschrieben werden, die sich beide ruinierten, um sich am Untergang des jeweils anderen zu ergötzen. Je mehr unsere heutige Geisteslage in einem Gemisch aus Unmut über die Zustände, Wut auf das Vorgehen einzelner Gruppen und Verzweiflung über die Sprachlosigkeit beschrieben werden kann, desto größer wird die Lust der großen Interessengruppen, ihre eigene Positionierung ins Extreme zu treiben. Die ehemals gemäßigte Position des rheinischen Kapitalismus driftet zunehmend mehr zu einer preußisch-protestantischen Variante des Manchester-Kapitalismus. Die Seele des freien und verantwortlichen Unternehmertums scheint verkauft zu sein an den streunenden Abkocher, der dort verweilt, wo er das meiste herausholt und weiterzieht, wenn sein Wohlstand ihm zur Pflicht wird.
Demgegenüber steht ein zunehmend in der globalen Ökonomie gehetzter Partner von Arbeitnehmern und deren Interessenorganisationen, die ihr Heil in den Philosophien der alten Zeiten suchen, in denen protektionistisches oder gar merkantilistisches Handeln für begrenzte Zeiträume noch möglich war. Zwar ist die Verzweiflung verständlich, denn die Zeiten, in denen organisierte Arbeitnehmer im Einklang mit einer wirtschaftlich gedeihlichen Entwicklung ihr Geschick materialisieren konnten, gehen dramatisch zur Neige. Dass diese Verzweiflung mehr und mehr in einem tiefen Glauben an das Staatsmonopol mündet, macht die Sache desaströs.
In einer derartigen Situation ist Strategie und Führung gefragt, die dadurch besticht, dass die Gemeinsamkeiten einer Gesellschaft deutlich gemacht und der Wert einer gemeinsamen Anstrengung plausibel werden. Der momentane Status ausschließlicher und sich zudem widersprechender Moderation aus der Regierung trägt zu einer weiteren Verwirrung bei. Hinzu kommt, dass das Streiten tabuisiert wird und der Terminus der Konsensdemokratie in weitgehender Weise die Hirne in tiefen Nebel führt. Denn der in diesen Prozessen hergestellte Konsens ist nichts als der kleinste gemeinsame Nenner, der alles verwässert. So bleibt nichts als Dissonanz, und die Metapher des Turmbaus zu Babel erfährt eine dramatische Aktualisierung. Nur wenn heftig gestritten wird, besteht eine Chance, dass die Konturen, um die es geht, deutlich werden.
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