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Besser, anders, schlechter – über den Verlauf der Zukunft

Sage niemand, aus dem Zeitgeist ließe sich nichts ablesen! Und behaupte niemand, der Verweis auf die Sprachhülsen, die für jedermann sichtbar auf der Straße liegen, sei nichts anderes als ein Dokument einer negativen Weltsicht. Nein, was ist, das ist und was gesagt werden muss, muss gesagt werden. Wie wäre es mit dem Vergleich dessen, sagen wir einmal, die Menschen hier, auf den Plätzen der westlichen Zivilisation, vor zwanzig, dreißig Jahren noch über die Zukunft redeten. 

Da war man in der Regel davon überzeugt, dass alles besser würde. Und irgendwann, als man so langsam merkte, dass dieser Konsens nicht mehr so ganz dem entsprach, was alle hofften, tauchten die ersten Sonderlinge auf, die sagten, es würde nicht besser, sondern anders. Da schmunzelten noch viele über die schrägen Vögel, die so etwas behaupteten. Und dann stellten die meisten Menschen fest, dass es tatsächlich nicht mehr besser wurde, aber anders. 

Aber damit konnte man noch leben. Und die Zeit verging, und eine Krise löste die andere ab. Da kam es vor, dass die Altersversorgung des einen oder anderen an einem Tag verbrannte,  da wurden plötzlich Arbeitsplätze gefährdet, weil sich auf der Welt so etwas wie Sanktionen als Mittel, eigene Interessen durchzusetzen, etablierte. Da brachen Kriege aus, für die natürlich niemand verantwortlich war, und Menschen flohen aus ihrer Heimat, die nach Menschenfleisch roch. Und es wurde geputscht und bombardiert, Vergeltung geübt und immer wieder blockiert. 

Dann kam eine Seuche und Mann begann, sich gegenseitig zu unterstellen, dass die Ursachen sowohl unter dem Mikroskop als auch in den Köpfen lag. Und irgendwann, wenn man sich fragte, wie wohl die Zukunft aussehen könnte, begannen die Leute zu antworten, dass sie befürchteten, dass alles noch viel schlimmer wurde. Nichts schien mehr dafür zu sprechen, dass es nur anders, geschweige denn sogar besser werden würde. Und selbst bei der Feststellung dieses Wandels konnte man feststellen, dass man sich mehr und mehr misstraute. 

Da wurde dann mal schnell unterstellt, dass denjenigen, die nichts Schlimmes ahnend diese Feststellung machten, der Verlust des Verstandes, eine Agententätigkeit für feindliche Mächte oder generell eine Gesellschaftsfeindlichkeit unterstellt wurde. Und viele von denen, die wachen Auges durch das Leben gingen, begannen, ihre Beobachtungen für sich selbst zu behalten.

Insgeheim hofften sie vielleicht, dass die Lauten, die von den besten Verhältnissen aller Zeiten sprachen, mit ihren Illusionsschiffen ordentlich havarieren würden. D.h., sie hofften, dass alles so richtig schlecht würde. So schlecht, dass allen plötzlich die Augen geöffnet würden und sie sich versammelten, um für eine bessere, gemeinsame Zukunft zu streiten, in der die ganze Zwietracht und Missgunst der Vergangenheit angehörten. Doch, und das war sehr ernüchternd, dann tauchten tatsächlich Zeitgenossen auf, die einwarfen, sie hielten auch das für eine Illusion.  

Geben wir der Zukunft neue Perspektiven!

In seinem Buch Russland-Kontainer stellt Alexander Kluge, angesichts der Fülle von Zukunftsprojekten, neuen Perspektiven, Utopie-Laboren etc. in Russland im Jahr 1917 die berechtigte Frage: „Gibt es in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts einen Utopie-Horizont?“ Es handelt sich um eine Punktlandung, denn besser kann der Mangel an Strategie, Zukunftsbildern und einer Vorstellung, wohin die Reise gehen wird, nicht hinterfragt werden. Zu betonen ist, dass die weiteren Betrachtungen sich auf Deutschland beziehen, denn, das ist gesetzt, auch wenn es viele nicht begreifen wollen, jedes Land hat seine eigene Betrachtung der Welt und ihrer Erscheinung. Der inquisitorische Imperialismus wird die Welt nicht verändern, sondern sie weiter zerstören.

Um den gegenwärtigen Zustand prägnant beschreiben zu wollen, kann festgestellt werden, dass wir es mit einer Hochkonjunktur von Dystopien zu tun haben. Impulsquelle dessen ist die Angst. Die alte, bekannte Weltordnung, befindet sich in Auflösung und eine neue zeigt ihr Gesicht noch nicht. Das verunsichert, hilft aber nicht weiter. Großer Konsens hingegen besteht darüber, was nicht passieren darf. Dazu gehören Verheerungen durch den Klimawandel und sozialer Abstieg. Kriegsgefahr, Krieg und die Auflösung der eigenen gesellschaftlichen Ordnung sind nicht im Fokus, obwohl diese Bedrohungen bei der gegenwärtigen Politik schneller real werden können, als viele sich unbewusst wünschen.

Aber Utopie? Eine gesellschaftlich verhandelbare Vorstellung davon, was anstelle dessen, was sich in Auflösung befindet? Bis dato Fehlanzeige. Das kann man beklagen, aber auch das führt bekanntlich nicht weiter. Die hier bereits vorgestellte Initiative von Futur II ist ein kleiner, bescheidener Schritt, um aus der strategischen Starre herauszukommen (http://futur-2.info/).

Bei den Diskussionen, die wir in diesem Projekt geführt haben, fanden wir uns allzuoft an einem Punkt wieder, den viele kennen werden: Wir wollten über die Zukunft sprechen und waren blitzschnell bei der Kritik der gegenwärtigen Zustände. Doch die wollten wir gerade durch eine Formulierung des Besseren aufheben. Bei den ersten Versuchen, etwas aufs metaphorische Papier zu bringen, waren wir unsicher, versicherten uns zurück und taten uns schwer. Und, das ist die Erkenntnis nach den ersten Gehversuchen, das wird noch eine zeitlang so bleiben. Da hilft nur eines: Üben! 

Um zu erklären, warum der Entwurf von Utopien, die eine Chance auf Realisierung haben, so schwer fällt, müssten wir wiederum in eine Kritik der gegenwärtigen Verhältnisse verfallen. Wir wären schnell bei einer auf Sicht fahrenden Politik, wir werden schnell bei dem affirmativen Charakter der Medien und wir wären schnell bei den Besitzverhältnissen, die vieles erklären. Das alles ist notwendig zu wissen, denn ohne Kritik kein neues Modell. Aber das Modellieren selbst, das müssen wir schleunigst wieder lernen, auch wenn wir bei den ersten Versuchen feststellen, dass das nicht mehr in unserem kulturellen Gen geprägt ist. Wir müssen den Nebel der kreativen Lethargie durchbrechen!

In dem Versuch, das negativ beschriebene Blatt zu wenden und einen positiven Entwurf der Zukunft zu schaffen, rufen wir alle, die des ewigen Klagens müde sind, dazu auf, sich mit eigenen Vorstellungen einzubringen. Und lassen Sie sich nicht von Bedenken und innerer Zensur davon abhalten! Auch das haben wir bereits am eigenen Leib verspürt. Die innere Zensur ist da, und sie zeigt, wie derb die kollektive Inquisition unsere Zukunftsfähigkeit bereits beschädigt hat. 

Wir selbst werden an weiteren Vorschlägen arbeiten, aber wir sind auf die vielen klugen Köpfe angewiesen, die bis heute geschwiegen haben. bringen Sie sich ein, wir werden Ihre Beiträge veröffentlichen (http://futur-2.info/). Mit einer Ausnahme: Beiträge, die faschistische Vorstellungen enthalten, werten wir als Dystopie und werden sie folglich nicht berücksichtigen. Insofern ist unser Motto folgerichtig:

Geben wir der Dystopie keine Chance, geben wir der Zukunft neue Perspektiven!   

Lebensmut speist sich aus Zukunft

Es kursieren immer wieder dieselben Geschichten über die Atmosphäre, die herrschte, wenn Systeme untergingen. Sehr anschaulich sind die, die erzählt werden von den letzten Zügen des deutschen Kaiserreiches. Da ist vielleicht der letzte, unwissende Spott des deutschen Kaisers zu erwähnen, der angesichts des bereits mit den illoyalen Kräften operierenden Cousins, dem Prinz Max von Baden, lediglich vom Bade-Max sprach und sich wiehernd auf die Schenkel schlug.

Das so genannte Dritte Reich war von Anfang an so dekadent, dass es sich kaum noch steigern konnte, zumal der totale Krieg die situative Pestilenz gar nicht mehr so zum Zuge kommen ließ. Vielleicht beeindruckte da noch die Haltung von Goebbels Frau, die im Moment des Untergangs, zusammen mit ihren Kindern in feierlicher Stimmung bei Mann und Führer sein wollte. Das war heroisch, so eindimensional borniert Heroismus eben auch sein kann.

Und dann gibt es noch die Geschichten aus der DDR, besser gesagt, den wiederum letzten Tagen, die dadurch geprägt waren, dass niemand mehr die Initiative ergriff, auch wenn die Optionen naheliegend waren. Da saßen Arbeiter in einer defekten Straßenbahn, morgens um Fünf, und warteten zwei Stunden auf den Reparaturdienst, obwohl sie hätten nur noch aussteigen und die letzten hundert Meter zum Werkstor gehen müssen.

Oder, um noch einmal auf ein richtig großes Ereignis zurückzublicken, da ging der letzte König Frankreichs, dessen gesalbtes Haupt kurze Zeit später abgetrennt in einem Weidenkorb landete, morgens auf die Jagd. Am selben Tag erstürmten drüben in der Stadt Paris die aufgebrachten Massen die Bastille. Und was schrieb der Unglückselige abends in sein Tagebuch? „Drei Hasen, zwei Fasanen.“

Wenn das Profane so ausgeprägt ist, dass das Große, womit eine fortschreitende Gesellschaft die Zukunft assoziiert, keinen Platz mehr hat, dann gewinnen Phänomene wie die erwähnten Überhand. Zu beobachten ist dann auch, dass der Missmut vieler wächst, erst heimlich, still und leise, später anwachsend grollend. Und auf der anderen Seite flüchten immer mehr Menschen in Spezialwelten, die nicht selten ein gehöriges Aroma von Dekadenz versprühen. Während die einen in den Abfalltonnen wühlen, um ihr Leben zu bereichern, legen die anderen tausende von Euro auf den Tisch, um für eine Mahlzeit Trüffel zu kaufen oder ein erlesenes Fläschchen Wein dazu zu trinken. Nicht, dass das nicht etwas Feines sein kann! Es fällt nur auf, dass das Auseinanderdriften der Existenzen etwas von der Agenda streicht, das jede Gesellschaft braucht: den Konsens.

Aus Zukunft und ihrer Perspektive speist sich Lebensmut. Folglich ist es naheliegend, dass eine Gesellschaft, die sich nicht mehr mit der Zukunft befasst, den Lebensmut verloren hat. Die Spezialität einer solchen Gesellschaft ist es, auf der einen Seite die Stimmung derer zu nähren, die sich nichts mehr wünschen, in einem finalen gewalttätigen Bacchanal mit allem abrechnen zu wollen, was den vorhandenen Verdruss genährt hat. Auf der anderen Seite wächst die Anzahl derer, die auf eine letzte, große Befriedigung hoffen, bevor alles verloren geht. Es handelt sich in diesem Falle um die Gier vor dem endgültigen Absturz.

Wem das im aktuellen Zeitgeschehen in irgendeiner Weise bekannt vorkommt, der ist was? Ein Defätist, oder ein Zyniker? Lebt er oder sie überhaupt noch?