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„Und da richten diese Würmer von Mathematikern ihre Rohre auf den Himmel…“

Bertolt Brecht. Das Leben des Galilei

Als Bertolt Brecht an seinem epischen Stück Das Leben des Galilei im dänischen Exil arbeitete, wurde auf der nicht weit entfernten Insel Usedom unter der Leitung von Werner von Braun fieberhaft die Entwicklung der so genannten Vergeltungswaffe 2 (V 2), einer ballistischen Boden-Boden-Rakete gearbeitet. Nach der Niederlage Deutschlands wurden sowohl die dortigen Forschungseinrichtungen als auch das entscheidende wissenschaftliche Personal in die USA transportiert, um die Entwicklung der Atombombe zu unterstützen.

Es ist kaum anzunehmen, dass Brecht die fatalen Folgen dieser machtgetriebenen Instrumentalisierung der Wissenschaften in der grausigen Dimension antizipierte. Aber wieder einmal spricht vieles, was in dem 1943 im Züricher Schauspielhaus uraufgeführten Leben des Galilei thematisiert wird, für Brechts tiefes Verständnis vom dialektischen Wesen der Erscheinungen.

Das Mittelalter lieferte mit seinem Antagonismus von wachsender Erkenntnis und von Kirchendogmata gesteuerter irdischer Macht die Blaupause. Das tatsächliche Leben des Mathematikers Galileo Galilei musste nicht sonderlich moduliert werden, um den einen, großen Widerspruch, der die gesamte Epoche des Mittelalters kennzeichnete und der auch in der Moderne immer wieder aufbrach, zu behandeln: Den Umgang der Macht mit Erkenntnissen der Wissenschaften, die dem die Macht legitimierenden Weltbild widersprachen. Galileo Galilei entdeckte durch ein von ihm konstruiertes Fernrohr die Phänomene, die das ptolemäische Weltbild mit der Erde als Mittelpunkt falsifizierten und das kopernikanische mit der Sonne als Zentrum und der Erde als kleinem Satelliten bestätigte. Das zentristische Weltbild in Italien, dem Sitz des Papstes, zu widerlegen, war folgerichtig eine Sache für die Inquisition.

Brecht illustriert die Befindlichkeit des Wissenschaftlers in seiner existenziellen Doppelbödigkeit. Als Wissenschaftler muss er den Gesetzen dieser Disziplin folgen. Es sind dies die vorurteilfreie Beobachtung, das kontextfreie Experiment, der Vergleich und die Prinzipien der induktiven wie deduktiven Logik. Auf der anderen Seite war Galilei ein Mensch seiner Zeit, der die Annehmlichkeiten des mittelalterlichen Patriziers, die aus gutem Essen und erlesenem Wein bestand, nicht missen wollte. Die Ansicht der verfügbaren Folterinstrumente durch die Inquisition reichte in diesem Falle aus, um Galileo Galilei zu einem Widerruf seiner Lehren zu bewegen. Dass er heimlich weiter schrieb und seine Erkenntnisse der Nachwelt erhalten blieben, spielt bei der Fokussierung der entscheidenden Fragen kaum noch eine Rolle.

Das Leben des Galilei ist ein Stück, in dem der Umgang der Macht mit der die Legitimation der Macht zersetzenden Erkenntnis illustriert wird. Eine auch zur damaligen Zeit zwar immer wieder erschütternde, aber keineswegs revolutionäre Erkenntnis. Die andere, wesentlich brennendere Frage war die nach der Entscheidung des Wissenschaftlers selbst. Im Stück wird der Aspekt direkt erörtert, indem nach der Durchsetzbarkeit eines gleich dem hippokratischen Eid für Mediziner für die Wissenschaften gefragt wird. Es geht dabei nicht nur um die Durchsetzung und Verbreitung von Erkenntnissen, sondern auch um eine Art Moratorium für das, was wissenschaftlich und technisch möglich wäre, ethisch aber nicht vertreten werden darf.

Auf einer Folie, die zunächst den Eindruck eines breiten Konsenses von Zustimmung zur Freiheit der Wissenschaften erweckt, auch aufgrund der historischen Vorlage, tauchen dann doch beide dem Dialektiker Brecht wichtigen Aspekte, sowohl der der Fremd- wie der der Selbstbeschränkung der Wissenschaften auf. Aufgrund der bis heute virulenten Thematik hat es auch Das Leben des Galilei zu einem Klassiker der Moderne geschafft.